Der Fall einer jungen Patientin mit unerklärlichen Arrhythmien nimmt einen dramatischen Verlauf. Erst nach langer Ursachenforschung finden die Ärzte den Übeltäter.
Eine junge Frau stellt sich in einer kardiologischen Klinik vor und klagt über mehrere synkopische Episoden mit Schwächegefühl und Benommenheit. Die Ohnmachtsanfälle begannen 12 Monate zuvor und traten zu verschiedenen Tageszeiten nach minimaler körperlicher Aktivität auf. Die Vorgeschichte der 25-Jährigen umfasst Angstzustände, psychogene Krampfanfälle und Migräne. Sie trank gelegentlich, rauchte aber nicht und gab auch nicht an, andere Drogen zu konsumieren. Ihre Familienanamnese war unauffällig.
Im Elektrokardiogramm zeigte sich ein Sinusrhythmus mit AV-Block 1. Grades, ein atypischer Rechtsschenkelblock mit Brugada-ähnlichem Muster und QRS- und QTc-Verlängerungen. Das Echokardiogramm war unauffällig. Wegen der regelmäßig auftretenden Synkopen ordneten die Ärzte einen Eventrekorder an. Dieser zeigte erneut die Brugada-ähnlichen EKG-Befunde – aber keinen hochgradigen AV-Block, der die Synkopen erklären würde. Im MRT fanden die Ärzte einen leicht dilatierten rechtsventrikulären Ausflusstrakt (RVOT), der ansonsten aber normal aussah und keine offensichtliche Narbe aufwies.
Elektrokardiogramm mit Sinusrhythmus und atypischem Rechtsschenkelblock, verlängertem QRS von 180 ms und verlängertem QTc von 657 ms. Credit: Hegde et al.
Aufgrund des Brugada-ähnlichen Musters im EKG wurde bei der Patientin eine elektrophysiologische Untersuchung mit Isoproterenol durchgeführt. Dabei kam es zu einer ventrikulären Tachykardie (VT), was die Ärzte dazu veranlasste, der jungen Frau einen Kardioverter-Defibrillator (ICD) zu implantieren.
Am Tag nach dem Eingriff klagte die Patientin plötzlich über Schwindel und wurde kurz darauf hypotensiv. Die Geräteabfrage während der Episode zeigte eine VT mit langsamer Frequenz, für die Sotalol verabreicht wurde. Die Echokardiographie zeigte eine biventrikuläre Insuffizienz mit einer linksventrikulären Ejektionsfraktion von 40 % und einer stark eingeschränkten rechtsventrikulären Funktion, aber keinen Perikarderguss. Ein CT zeigte keinen Hinweis auf ein Gerinnsel. Der Zustand der Patientin verschlechterte sich zusehends, und die Frau musste schließlich reanimiert werden.
Auf der Intensivstation zeigte sich in der invasiven Messung eine Rechtsherzinsuffizienz. Der niedrige Herzindex deutete auf einen kardiogenen Schock hin, weswegen die Ärzte ihr Dobutamin verabreichten. Bei der Anpassung der basalen Rate des Herzschrittmachers von 90/min auf 70/min, zeigte der EKG-Monitor plötzlich eine Torsade-de-Pointes an. Daraufhin erhielt die Patientin zur Arrhythmiekontrolle Amiodaron und Magnesium, außerdem wurde der Herzschrittmacher neu programmiert.
Telemetrie-Rhythmusstreifen mit Torsade-de-Pointes. Credit: Hedge et al.
Die Patientin erholte sich zunächst gut und die Ärzte machten sich auf die Suche nach der Ursache: Zu den anfänglichen Differentialdiagnosen gehörten eine autoimmune/infiltrative Kardiomyopathie und eine arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie; weitere Überlegungen betrafen eine ischämische Herzerkrankung sowie seltenere kardiale Erkrankungen, darunter die Lev-Lenegeres-Krankheit, Natriumkanalopathien sowie toxisch bzw. metabolisch bedingte Kardiomyopathien.
Zur Abklärung der Kardiomyopathie sollte die Patientin zwei Tage später einen Laufbandtest absolvieren, um belastungsinduzierte Veränderungen zu untersuchen. Aufgrund erneuter präsynkopaler Symptome konnte die junge Frau den Test allerdings nicht durchführen. Sechs Tage nach dem ersten dramatischen Zwischenfall verschlechterte sich der Zustand der Patientin ein weiteres Mal: Sie erlitt erneut einen plötzlichen Herzstillstand. Nach Reanimation führten die Ärzte eine sofortige Links- und Rechtsherzkatheteruntersuchung mit Endomyokardbiopsie (EMB) durch. Die Katheterbefunde waren erneut mit einem schweren kardiogenen Schock kompatibel. Die EMB zeigt allerdings ein normales Myokard ohne Myokarditis oder morphologische Anomalien.
Noch immer rätselten die Ärzte über die Ursache für den Zustand ihrer Patientin und befragten ihre Familie ein weiteres Mal – und dann endlich fanden sie den Auslöser. Im Rahmen einer erneuten Medikamentenanamnese stellte sich heraus, dass die junge Frau zuletzt mindestens 100–150 Tabletten Loperamid 2 mg täglich eingenommen hatte. Die empfohlene Höchstdosis beträgt 16 mg, was lediglich 8 Tabletten entspricht.
Der gemessene Loperamidspiegel war mit 190 ng/ml tatsächlich erhöht, der Metabolit, Desmethyl-Loperamid, fand sich in einer Konzentration von 520 ng/ml. Laut ihrer Familie hatte die Patientin das Durchfallmittel seit einer Magengeschwüroperation 2019 wegen chronischer Diarrhö immer wieder eingenommen.
Neben der Behandlung der ventrikulären Arrhythmien und des kardiogenen Schocks beschlossen die Ärzte wegen des starken Verdachts auf eine Loperamid-Vergiftung, die Patientin mit einer Intralipid-Emulsionstherapie zu behandeln. Innerhalb von 72 Stunden verbesserte sich ihr Zustand, und 6 Tage nach Beginn der Therapie war Loperamid nicht mehr nachweisbar. Einige Tage später – während einer Beratung zum Absetzen von Loperamid – verließ die Patientin entgegen ärztlichen Rats die Klinik und erschien für keine weiteren Follow-Up-Termine.
Die Autoren des Fallberichts machen darauf aufmerksam, dass Ärzte in unklaren Fällen von Arrhythmien neben anderen Dingen auch eine Loperamid-Vergiftung in Betracht ziehen sollten. Untypisch für eine akute Vergiftung sei allerdings, dass sich der Zustand der Frau während des Klinikaufenthalts erneut verschlechterte. Diese Tatsache erklären die Autoren des Fallberichts damit, dass die Patientin in der Klinik möglicherweise heimlich weiterhin Loperamid eingenommen hatte.
Warum die Patientin überhaupt so viel Loperamid schluckte, darüber spekulieren die Autoren nicht. Es gibt allerdings Berichte über Loperamid-Missbrauch, um eine Opioid-ähnliche Wirkung zu erzeugen. Insbesondere unter Drogenabhängigen scheint sich herumgesprochen zu haben, dass das rezeptfreie Medikament in hohen Dosen Entzugssymptome lindern oder sogar ein „High“ erzeugen kann. In therapeutischen Dosen hat das Mittel dagegen keine Wirkung auf das zentrale Nervensystem. Das liegt daran, dass es als Scheinopioid die Blut-Hirn-Schranke nicht in ausreichender Menge überwinden kann und somit nicht die zentralen Opioidrezeptoren erreicht.
Bildquelle: Planet Volumes, Unsplash