In den USA wird rege mit embryonalen Stammzellen geforscht – in Deutschland ist das ein heikles Thema. Sollte Embryonenforschung im Sinne des medizinischen Fortschritts auch hierzulande erlaubt werden?
Bei Typ-1-Diabetikern sind die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse durch Autoimmunprozesse zerstört. Die Krankheit lässt sich daher nur mit lebenslanger strikter Blutzuckerkontrolle und Insulintherapie in den Griff bekommen – eine Heilung existiert bislang nicht. Lisa Hepner, die seit 30 Jahren an Typ-1-Diabetes leidet, gibt die Hoffnung aber nicht auf. Im Gespräch mit den DocCheck News sagt die Filmemacherin aus Los Angeles: „Ich bin nicht nur optimistisch, sondern glaube, dass es in 5 Jahren soweit sein kann!“
Hepner hat fast 10 Jahre lang eine experimentelle Studie des Biotech-Unternehmen ViaCyte verfolgt, das an der Entwicklung einer künstlichen Bauchspeicheldrüse arbeitet. Die Idee: Die zerstörten Betazellen des Pankreas sollen durch von Stammzellen abgeleitete Zellen ersetzt werden. Inzwischen wurde ViaCyte von Vertex Pharmaceuticals übernommen, das eine ähnliche Therapie entwickelt und bereits bedeutende Fortschritte erzielt hat. Mit ihrem Dokumentarfilm „The Human Trial“ will sie „der Öffentlichkeit zeigen, was nötig ist, um medizinische Innovationen voranzutreiben, visuell zu erfassen, wie es ist, mit Typ-1-Diabetes zu leben […] und die Teilnehmer an klinischen Studien ehren, die sich selbst aufs Spiel setzen, um die Ersten zu sein.“
Aus deutscher Sicht ist der Film auch deswegen interessant, weil er ein höchst umstrittenes Thema behandelt: Die in der Studie untersuchte Therapie verwendet Stammzellen aus ausrangierten Embryonen, die im Rahmen einer In-Vitro-Fertilisation (IVF) entstanden sind – ein hierzulande seit jeher kontrovers diskutiertes Thema. Tatsächlich hat Deutschland eines der strengsten Gesetze Europas, was den Umgang mit Embryonen angeht.
Das Embryonenschutzgesetz (ESchG) von 1990 verbietet jegliche Forschung an oder Verwendung menschlicher Embryonen – mit der einzigen Ausnahme der Herbeiführung einer Schwangerschaft im Rahmen einer künstlichen Befruchtung. Das Gesetz gilt auch für sogenannte überzählige Embryonen, die bei einem IVF-Verfahren entstanden sind, aber nicht mehr benötigt werden. Diese Embryonen müssen vernichtet werden und dürfen auch nicht für die Forschung gespendet werden, wie es in vielen anderen Ländern (wie etwa Großbritannien, Belgien oder der Schweiz) der Fall ist. Das Gesetz verbietet es zudem, für Forschungszwecke Stammzellen aus menschlichen Embryonen zu gewinnen.
Vor dem Jahr 2002 war allerdings unklar, ob in Deutschland tätige Forscher grundsätzlich nicht mit embryonalen Stammzellen forschen dürfen – auch wenn die Zellen dafür aus dem Ausland kommen. Erst 2002 wurde das Stammzellgesetz (StZG) verabschiedet, das diese Unklarheit aus dem Weg räumen sollte: Seitdem ist die Forschung mit embryonalen Stammzellen in Deutschland unter strengsten Auflagen erlaubt – aber nur wenn die embryonalen Stammzelllinien aus dem Ausland importiert wurden und vor 2007 entstanden sind.
Viele Forschungsverbände in Deutschland sehen es aber kritisch, dass Wissenschaftler gespendete Embryonen nicht nutzen dürfen. „Die Forschung an frühen Embryonen in vitro, [...] die für Fortpflanzungszwecke erzeugt wurden, aber dafür keine Verwendung mehr finden, sollte im Einklang mit internationalen Standards erlaubt werden“, heißt es etwa in einer gemeinsamen Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften aus dem Jahr 2021.
Viele wissenschaftliche Fragen zur Embryonalentwicklung, Krankheitsentstehung, Fortpflanzungsmedizin oder Anwendungen von Stammzellen für regenerative und personalisierte Therapien ließen sich nur durch Forschung mit frühen menschlichen Embryonen beantworten, heißt es darin. In Deutschland tätige Wissenschaftler könnten zur Aufklärung dieser Fragen bislang nur wenig beitragen. Zwar gibt es auch die alternative Möglichkeit mit induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) zu arbeiten, doch gelten embryonale Stammzellen für die medizinische Forschung nach wie vor als Goldstandard.
Bei der Diskussion um Embryonenforschung geht es im Kern um die alte Frage: Ab wann ist ein Mensch ein Mensch, dem Menschwürde und Lebensrecht zugesprochen werden darf? Für die katholische Moraltheologin Prof. Kerstin Schlögl-Flierl, die seit 2020 auch im deutschen Ethikrat sitzt, ist die Antwort klar: ab der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Ihrer Ansicht nach verfügt bereits der frühe menschliche Embryo über die Menschenwürde und ein Lebensrecht wie der geborene Mensch. Deswegen dürfe man Embryonen auch nicht als Forschungsobjekte ansehen. „Die Schutzwürdigkeit der Embryonen steht vor der Forschungsfreiheit“, sagt Schlögl-Flierl auf einer Podiumsdiskussion zum Thema Embryonenforschung in Deutschland.
Prof. Horst Dreier, Jurist und Rechtsphilosoph und ehemaliges Mitglied des Deutschen Ethikrates, meint hingegen: „Eine Blastozyste ist noch kein unteilbares Leben und damit kein Individuum“, erklärte er. Als artspezifisches, aber noch nicht individuelles Leben könne ihr in den Tagen vor der Nidation noch keine Menschenwürde zukommen, die es zu schützen gelte.
Auch die experimentelle Therapie gegen Typ-1-Diabetes, die Lisa Hepner filmisch begleitet hat, war nur mithilfe gespendeter Embryonen möglich. Sie hat diesbezüglich keine ethischen Bedenken: „Man darf nicht vergessen, dass es sich bei diesen menschlichen Embryonen um fünf Tage alte Blastozysten handelt – eine Ansammlung mikroskopisch kleiner Zellen, die der Wissenschaft von Patienten gespendet wurden, die ihre IVF-Behandlung abgeschlossen hatten.“ Sie selbst habe ihre übrig gebliebenen Embryonen für die Wissenschaft gespendet. So sehr glaube sie daran, meint Hepner. „Die Verwendung von embryonalen Stammzellen bedeutet nicht die Zerstörung von Leben. Im Gegenteil, sie schenkt Leben für Millionen von Menschen, die täglich mit Krankheiten zu kämpfen haben und daran sterben. […] Die Wissenschaft ehrt und feiert das Leben.“
Die Filmemacherin lebte als Kind selbst in Deutschland und „wuchs mit der Bewunderung für den medizinischen Fortschritt und die allgemein fortschrittliche Politik Deutschlands auf“, sagt Hepner. „Daher war ich sehr überrascht zu erfahren, dass die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen hier verboten ist.“ Die Absicht, die hinter den Gesetzen stehe, sei zwar edel – angesichts des historischen Kontextes des Dritten Reiches –, aber für diese Forschung gelten die gleichen Sicherheits- und Ethikstandards wie für die traditionellen Bereiche der medizinischen Wissenschaft, meint Hepner. „Ich hoffe, dass diese Gesetze bald gekippt werden – nicht nur für die Forscher, die unermüdlich und meist anonym in den Labors arbeiten, sondern auch für die Patienten, die sich verzweifelt ein besseres Leben wünschen.“
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Bildquelle: Erik Mclean, Unsplash