Viele Allergiker unterziehen sich einer Hyposensibilisierung, um ihre Symptome in den Griff zu bekommen. Im Bereich der Lebensmittelallergien gelingt das bisher nicht. Eine neue Studie gibt Hoffnung: Mittels Pflaster können bald auch Erdnussallergien behandelt werden.
In den letzten 30 Jahren ist ein extremer Anstieg an allergischen Erkrankungen zu verzeichnen. Aufgrund der Häufigkeit ihres Auftretens und ihrer sozioökonomischen Bedeutung für die Betroffenen sowie das Gesundheitssystem werden Allergien als Volkskrankheit bezeichnet. Auch Dr. Sibylle Schliemann, Oberärztin in der Abteilung für Allergologie der Klinik für Hautkrankheiten am Universitätsklinikum Jena, kann bestätigen, dass die Allergiehäufigkeit innerhalb der letzten Jahre zugenommen hat. „Als Kliniker selbst hat man dafür kein Gefühl, aber die aktuellen Studien sprechen eine eindeutige Sprache“, erklärt die Medizinerin im Gespräch.
Für viele Allergiker, besonders im Bereich der Lebensmittelallergien, gibt es nun neue Hoffnung auf Besserung. Im Rahmen einer Phase-2b-Studie wurde eine neuartige Pflaster-Therapie erprobt. Diese bringt, wie auch die gängige SCIT- und SLIT-Immuntherapie, den Körper des Patienten in Kontakt mit dem Antigen und soll so eine Art Gewöhnung an den vermeintlich gefährlichen Stoff erzielen. Vielversprechende Ergebnisse konnten bisher besonders bei der Therapie von Erdnussallergikern erzielt werden. Da es derzeit für Lebensmittelallergiker so gut wie keine Möglichkeit einer kausalen Therapie gibt, ist dies ein vielversprechender Ansatz. Ein Pflaster, versehen mit dem Allergen, das täglich epikutan auf die Haut aufgebracht wird, könnte die Lösung sein. Im Rahmen der Studie wurden 221 Patienten im Alter zwischen 6 und 55 Jahren, die unter einer Erdnussallergie leiden, mit der epikutanen Methodik behandelt. Das Ziel lag hier allerdings nicht in einer vollständigen Toleranz gegenüber dem Allergen, sondern lediglich in einer Anhebung des Schwellenwertes. In schweren Fällen können Symptome einer Erdnussallergie bereits bei Kontakt mit wenigen Milligramm auftreten.
Im Rahmen der Studie wurden die Probanden in vier verschiedene Testgruppen eingeteilt. Sie erhielten entweder ein Pflaster ohne Allergen, 50, 100 oder 250 Mikrogramm Erdnussprotein. Das Pflaster wurde täglich gewechselt und über ein Jahr lang getragen. Tatsächlich konnten in der Studie besonders bei Kindern im Alter von 6 bis 11 Jahren sehr gute Ergebnisse erzielt werden. Aber auch bei Jugendlichen und Erwachsenen verliefen die Versuche vielversprechend. So wurde bei jedem zweiten Patienten, der mit 250 Mikrogramm Allergen behandelt wurde, eine Immuntoleranz erzielt und der Schwellenwert für Erdnussprotein auf 1000 mg erhöht. Dies ist besonders beeindruckend, da laut Schätzungen einer weiteren Studie bereits eine Anhebung auf 300 mg die Gefahr einer allergischen Reaktion durch versehentlich oder unwissentlich aufgenommenes Erdnussprotein um bis zu 95 Prozent verringern kann. „Wir Allergologen sehen in dieser epikutanen Sensibilisierungsmethode eine tolle neue Entwicklung“, erklärt Schliemann. Allerdings steckt diese noch in den Kinderschuhen. Es wurde in der Studie gezeigt, dass man bei kleinen Kindern, unter Inkaufnahme einiger Nebenwirkungen im Bereich der Haut, deren Schwellenwert für Erdnussprotein erhöhen konnte. Das ist hervorragend. So wäre ein Kind nicht mehr gefährdet einen anaphylaktischen Schock zu erleiden, wenn es beispielsweise im Kindergarten vom Nachbarkind einen Keks bekommt, der Spuren von Erdnüssen enthält. Kinder könnten so in Zukunft davor geschützt werden, auf kleinste Spuren des Allergens zu reagieren.“ Aufgrund der guten Ergebnisse der Pflasterstudie hat der Hersteller inzwischen mit Erlaubnis der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA eine Phase-III-Studie begonnen. Bestätigen sich die positiven Ergebnisse, könnte die Studie den Weg ebnen für die Zulassung des neuen Pflasters. „Diese epikutane Methode ist allerdings keine absolute Lösung des Problems, da über die Haut nur geringe Mengen des Allergens transportiert werden können“, sagt Schliemann. „Die Resorptionsfläche ist relativ klein und der resultierende Effekt entsprechend nicht so groß. Trotzdem ist zu erwarten, dass langfristig auch andere Arzneimittel für Kinder, die nicht mit einer Hyposensibilisierungsbehandlung in Zusammenhang stehen, in Pflasterform entwickelt werden.“
Ob das Pflaster die SCIT- und SLIT-Therapie ersetzen wird, glaubt die Expertin nicht und äußert sich skeptisch: „Aktuell kann man sich nicht vorstellen, dass diese Methodik auch für Pollen funktionieren würde. Aber in diesem Bereich gibt es ja mit der subkutanen und sublingualen Hyposensibilisierung bereits gut getestete Verfahren. Besonders im Bereich der Nahrungsmittelallergien ist es wichtig, eine Therapieform zu entwickeln, da die Möglichkeiten in diesem Bereich bisher noch sehr eingeschränkt sind.“ Bei Patienten mit Nahrungsmittelallergien geht es derzeit zunächst in der Praxis vor allem um die Identifizierung des Allergens, damit der Patient dieses bestmöglich meiden kann. Dazu können beispielsweise allergenspezifische IgE-Antikörper und deren Spiegel im Blut bestimmt werden, um Aussagen über die Sensibilisierung gegenüber einem konkreten Allergen treffen zu können. Außerdem werden die Allergiker in Notfallmaßnahmen geschult, wie beispielsweise in der Verwendung von Notfallmedikamenten und in welcher Situation ein Arzt gerufen werden sollte. Als Fazit zur neuen Pflastertherapie lässt sich feststellen, dass die Vorteile die Nachteile überwiegen. Besonders Lebensmittelallergikern bietet sich dadurch eine Chance, ihre Lebensumstände zu verbessern, da sie weniger Sorge haben müssen, versehentlich Lebensmittel zu essen, die das Allergen enthalten. Trotzdem kann es auch bei dieser Methodik zu Hautreaktionen kommen. Es muss außerdem bedacht werden, dass diese Art der Hyposensibilisierung derzeit noch nicht dazu geeignet ist, die Allergie komplett verschwinden zu lassen, sondern lediglich die Toleranzgrenze des Immunsystems für allergene Proteine anzuheben. In der Zwischenzeit bleiben dem Patienten und seinem behandelnden Arzt derzeit zwei Verfahren der Hyposensibilisierung: Dazu gehört zum einen die Injektion des entsprechenden Allergens unter die Haut, die SCIT-Methode (subkutane spezifische Immuntherapie). Zum Anderen die SLIT-Methode (sublinguale spezifische Immuntherapie), wobei das Allergen vom Patienten selbst oral mittels Tabletten oder Tropfen eingenommen wird. Bei beiden Methoden wird die Therapie zunächst mit einer geringen Dosis des Allergens begonnen, welche dann in der so bezeichneten Steigerungsphase erhöht wird, bis schließlich eine Erhaltungsdosis erreicht wird. Diese Erhaltungsdosis wird dann im Falle der gängigen Langzeittherapien über einen Zeitraum von zwei bis vier Jahren verabreicht.
Zur Wirksamkeit der beiden Therapieformen äußert sich Frau Dr. Schliemann folgendermaßen: „Die SCIT-Methodik ist natürlich die Althergebrachte, entsprechend gibt es hierzu auch mehr Wirksamkeitsdaten als zur SLIT-Methodik. Allerdings konnte in neueren Studien auch die Wirkung der SLIT-Therapie gut belegt werden. Hier muss man jedoch bedenken, dass es in der sublingualen Therapie auch noch die Unterscheidung in Tropfen und Tabletten gibt. Außerdem beziehen sich die Wirkungsdaten im Bereich der SLIT-Therapie nur auf wenige Extrakte. Ich persönlich würde im Normalfall eher die SCIT-Methode empfehlen, da hierzu gerade was die Langzeittherapie angeht, die Wirksamkeit besser nachgewiesen ist.“
Einen großen Unterschied zwischen den Therapien stellt außerdem die Durchführung dar. Muss der Patient bei der SCIT-Therapie für jede Injektion des Allergens in die allergologische Praxis kommen und dort auch nach Verabreichung des Präparates noch 30 Minuten warten, falls Komplikationen, wie beispielsweise ein anaphylaktischer Schock auftreten, muss der Allergiker bei der SLIT-Therapie nur die erste Einnahme des Allergens in der Praxis unter ärztlicher Aufsicht durchführen und kann im weiteren Verlauf seine Therapie selbst zu Hause fortführen. Der zeitliche Vorteil der SLIT-Therapie liegt hier auf der Hand, allerdings sollte man auch andere Aspekte nicht außer Acht lassen. „Statistisch gesehen hat die sublinguale Therapie weniger Nebenwirkungen als die Injektionstherapie. Ihr Vorteil liegt außerdem in der Anwendung. Besonders Kinder haben häufig Angst vor Spritzen und die Belastung bei einer Injektionstherapie ist teilweise für Eltern und Kinder sehr hoch. In einem solchen Fall kann die SLIT-Therapie durchaus von Vorteil sein“, sagt Schliemann. Zusätzlich berichtet die Expertin von den Vorteilen der Therapie auch für Erwachsene, die häufig unterwegs sind, wie etwa auf Geschäftsreisen. Für sie ist es schwierig alle paar Wochen oder in der Anfangszeit sogar jede Woche in die Praxis zu kommen, weshalb die SLIT-Therapie für sie eine gute Alternative darstellt. „Andererseits sehe ich als Ärztin den Vorteil der subkutanen Therapie darin, dass die Patienten während der Behandlung besser geführt und betreut werden können. Die Dosis kann nach jeder Behandlung individuell angepasst werden, je nachdem ob bei der vorherigen Injektion eine verstärkte Reaktion auf das Allergen aufgetreten ist oder der Patient beschwerdefrei war. Auch die Wartezeit nach der Injektion dient dazu dem Patienten bei auftretenden Nebenwirkungen schnell helfen zu können“, erläutert die Expertin.
Bei der SLIT-Methodik hingegen sähe man den Patienten häufig nur einmal am Anfang der Therapie und wenn er in die Praxis käme, um sich ein neues Rezept abzuholen. Man könne so nicht feststellen, ob sich bei dem Patienten mit der Zeit eine Verbesserung der Symptome und somit ein Therapieerfolge eingestellt hätte, berichtet Dr. Schliemann. „Bei der SCIT-Methode jedoch erfährt man dies immer direkt im Gespräch von den Patienten. Insgesamt ist der Kontakt zum Patienten bei der subkutanen Hyposensibilisierung einfach viel intensiver. Bei der SLIT-Therapie weiß man als Arzt oft nicht einmal, ob die Patienten ihre Therapie noch fortführen oder vielleicht schon abgebrochen haben.“
Doch welche Therapie hat nun die Nase vorn? „Egal welche Therapieform letztendlich gewählt wird, finde ich es wichtig, dass bei geeigneten Patienten überhaupt eine Hyposensibilisierung durchgeführt wird. Zwar würde ich generell die subkutane Therapie empfehlen, erläutere den Patienten aber auch die sublinguale Methode. Letztendlich wird dann mit jedem Patienten individuell besprochen, welche Therapieform für ihn am besten geeignet ist“, sagt die Oberärztin.
Unabhängig von den erfolgversprechenden Aussichten beider Therapieformen im Bereich der Typ-1-Allergien stellt sich die Frage, ob diese auch bei jedem Patienten angewendet werden können. „Nein“, sagt Schliemann entschieden. „Nicht jeder Allergiepatient ist für eine Hyposensibilisierung auch geeignet. Es gibt bestimmte Auswahlkriterien.“ Sinnvoll wäre eine Therapie beispielsweise besonders bei Patienten mit Rhinitis allergika, mit mildem oder intermittierendem Asthma. Bei einer Tierhaarallergie hingegen sei eine Therapie nur bedingt möglich, erläutert die Expertin. „Hierzu gibt es nur wenige Studien und die Therapie weist noch viele Nebenwirkungen auf. Eine Hyposensibilisierung wird in diesem Fall nur bei einzelnen Patienten durchgeführt, die keine Karenz zu dem Allergen halten können. Ein Beispiel wäre hier ein Kleintierarzt der täglich in seiner Praxis Kontakt zu Tieren hat. Zudem gibt es auch verschiedene Grunderkrankungen, die eine Hyposensibilsierung verhindern können. Patienten mit einer Colitis ulzerosa oder einem Lupus erythematodes beispielsweise sind für eine Therapie nicht geeignet. Auch bei Tumorpatienten sollte keine Therapie durchgeführt werden.“ Generell gibt es verschiedene Kontraindikationen, die vor einer Hyposensibilisierung zu beachten sind. Dazu gehören neben Tumorerkrankungen und Autoimmunerkrankungen auch Herzerkrankungen, Schwangerschaft und die Einnahme bestimmter Medikamente. Der Grund hierfür ist, dass die Therapie einen Eingriff in das natürliche Immunsystem darstellt und speziell bei Erkrankungen, die das Immunsystem betreffen, kontraindiziert wären. Zudem stellt die Behandlung, trotz geringer Risiken, auch eine Belastung für den Organismus dar, welche er zusätzlich bewältigen muss.