Oft sind sie die Schmerzmittel der Wahl, wenn andere versagen: Opioide. Aber was, wenn sie die Schmerzen nicht lindern, sondern verschlimmern?
Es klingt paradox – und das ist es auch: Opioide können die Empfindlichkeit gegenüber Schmerzreizen steigern – ein Phänomen, das als opioidinduzierte Hyperalgesie bezeichnet wird. Dieser Mechanismus hat aber nichts mit einer Toleranzentwicklung zu tun, bei der immer höhere Dosen eingesetzt werden müssen, um die gleiche Wirkung zu erzielen.
Die opioidinduzierte Hyperalgesie tritt dann auf, wenn die Opioid-Spiegel im Blut stark schwanken. Das kann zum Beispiel durch ein zu abruptes Absetzen der Fall sein. Aber auch, wenn Behandelte ihre Präparate unregelmäßig einnehmen oder unretardierte Präparate verschrieben werden. Auch nach dem intraoperativen Einsatz hoher Dosen von µ-Agonisten konnte in Studien postoperativ ein erhöhter Schmerzmittelbedarf beobachtet werden. Bei längerer Anwendung der Substanzen traten teils paradoxe Schmerzzustände auf.
Ursächlich ist eine Sensitivierung nozizeptiver Signaltransduktionswege durch Opioide, die dazu führt, dass die Schmerzschwelle ab- bzw. das Schmerzempfinden zunimmt. Hintergrund ist die Langzeitpotenzierung der synaptischen Erregung, die auch bei der Ausbildung des Schmerzgedächtnisses eine entscheidende Rolle spielt. Eine starke Erregung der Opiatrezeptoren führt zu einer Phosphorylierung der NMDA-Rezeptoren durch die Porteinkinase C. Dadurch steigt die Erregbarkeit dieser Glutamatrezeptoren. Die postsynaptische Membran wird somit insgesamt sensitiver für Glutamat, das bei Schmerzzuständen im Rückenmark ausgeschüttet wird.
Es resultiert eine vermehrte Empfänglichkeit der Hinterhornneuronen für Schmerzsignale. Je länger und je mehr Opiat verabreicht wird, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass nicht nur die analgetische Wirkung nachlässt, sondern auch eine Langzeitpotenzierung ausgelöst wird.
Im Rahmen der operativen Anästhesie kann eine Langzeitpotenzierung durch die Kombination mit NMDA-Rezeptor-Antagonisten (z. B. Ketamin) verhindert werden. Bei der Schmerztherapie sollten Opiate stets in retardierter Form eingesetzt werden. Zudem müssen Patienten darüber aufgeklärt werden, dass bei chronischen Schmerzen eine Einnahme der Opiate zu festen Zeiten erfolgen sollte – auch, wenn zu diesem Zeitpunkt gerade keine Schmerzen bestehen. Die Kombination mit nichtsteroidalen antiinflammatorischen Analgetika kann die Sensibilisierungsprozesse unterdrücken. Das Absetzen von Opiaten sollte durch eine langsame Dosisreduktion erfolgen.
Wenn die Schmerzen der Patienten zunehmen und über das vorbestehende Schmerzareal hinausgehen, jedoch eine Steigerung der Dosierung keine Besserung mehr erbringt – obwohl kein Progress der Grunderkrankung besteht –, sollte an die opioidinduzierte Hyperalgesie gedacht werden. Das Opiat sollte dann nicht weiter gesteigert, sondern um etwa 25 % reduziert oder auf ein anderes Opioid umgestellt werden. Bei der Umstellung sollte die Äquivalentdosis zunächst ebenfalls um 25 % unter der bisherigen Dosierung liegen und dann langsam wieder auftitriert werden.
Deutsches Ärzteblatt 2001; 98: A 2725–2730 [Heft 41]
Hochdosierte Opiat-Therapie bei Schmerzpatienten – nützlich oder schädlich? Prof. Dr. Justus Benrath; Redaktion: CME-Verlag
Opioid-induzierte Hyperalgesie: Pathophysiologie und Klinik, Die Anästhesiologie 5 , Mai 2004
Analgesie: Wenn Opioide Schmerzen auslösen, Dtsch Arztebl 2010; 107(4): A-151
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