Wohl eher zufällig entdeckte eine Forscherin neue Hinweise zum Ursprung von SARS-CoV-2. Kurze Zeit später waren die Daten aber wieder gelöscht. Was hat es damit auf sich?
Als Florence Débarre Anfang des Monats die internationale Gendatenbank namens GISAID durchforstete, machte sie eine interessante Zufallsentdeckung: Chinesische Forscher hatten dort bisher unbekannte SARS-CoV-2-Gensequenzen veröffentlicht, die aus Umweltproben des Huanan Seafood Wholesale Market in Wuhan stammten, die sie zwischen Januar und März 2020 gesammelt haben. Der Markt wird mit den ersten Corona-Fällen in Verbindung gebracht, doch wie genau sich das Virus dort den Weg zum Menschen gebahnt haben könnte, ist nach wie vor unklar. Die Daten sind insofern interessant, als dass sie neue Hinweise auf einen möglichen Zwischenwirt liefern.
Die Analysen dieser Daten zeigen nämlich, dass einige Proben neben SARS-CoV-2-Sequenzen auch menschliche DNA, sowie mitochondriale DNA mehrerer Tierarten enthielten – vor allem vom Marderhund, der sich bekanntermaßen leicht mit Corona anstecken kann. Die Daten legen damit auch nahe, dass die Tiere kurz vor der Räumung des Marktes am 1. Januar 2020 durch die chinesischen Behörden auf dem Markt anwesend waren. Ob die Tiere, speziell die Marderhunde, wirklich infiziert waren, lässt sich anhand der Daten allerdings nicht beweisen.
Das gleiche Forscherteam um Liu et al. hatte die Proben vom Markt in Wuhan schon einmal unter die Lupe genommen und ihre Ergebnisse im letzten Jahr in einem Preprint veröffentlicht. Darin hieß es aber noch, dass zwar einige der Proben, die positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden, auch menschliches Genmaterial enthielten, aber keine DNA von anderen Tieren. Damals schrieben die Autoren, dass dies „stark darauf hindeutet“, dass Menschen das Virus auf den Markt brachten. Laut der Forscher sei der Markt somit nicht der Ursprung der Pandemie, sondern verstärkte lediglich die frühe Verbreitung von Corona.
Natürlich stellt sich die Frage, warum die Wissenschaftler die drei Jahre alten rohen Daten nicht schon viel früher veröffentlicht haben. Brisant ist zudem, dass die neuen Gensequenzen kurz nach Veröffentlichung auch wieder vom Portal GISAID verschwanden. Einer der Forscher, die zum Team gehörten, war George Gao, der bis Juli 2022 Vorsitzender der chinesischen Seuchenschutzbehörde war. Auf Nachfrage des Magazins Science erklärte Gao bloß, die Daten seien „nichts Neues“. Der Markt wäre Anfang 2020 geschlossen worden, weil es dort illegalen Tierhandel gegeben hätte und die Daten würden die Frage des Ursprungs von SARS-CoV-2 nicht beantworten.
Inzwischen hat sich auch die WHO in den Fall eingeschaltet. Die zur WHO gehörende Beratergruppe SAGO (Scientific Advisory Group for Origins of Novel Pathogens) hatte sich laut einer Mitteilung nach Bekanntwerden der neuen Daten an das chinesische CDC gewandt und um Aufklärung gebeten. Den chinesischen Forschern zufolge seien die genomischen Daten die Grundlage für ein Update des vorhandenen Preprints von Liu et al., das vom chinesischen CDC zur Veröffentlichung in Nature überarbeitet wird. WHO-Chef Tedros rief die chinesischen Behörden abermals dazu auf, mit den Daten transparent umzugehen, die nötigen Untersuchungen durchzuführen und die Ergebnisse zu veröffentlichen.
Auch drei Jahre nach Beginn der Pandemie wird also weiter über den Ursprung von SARS-CoV-2 gerätselt. Erst vor wenigen Wochen sorgte FBI-Chef Christopher Wray für Aufsehen: Ihm zufolge würden neue Erkenntnisse der Geheimdienste die Theorie bestärken, dass die Corona-Pandemie auf eine Laborpanne in China zurückgeht. Konkrete Beweise dafür lieferte er allerdings nicht.
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