Neues aus der Schwurblerküche: Die Nattokinase wird von Querdenkern als Geheimwaffe gegen vermeintliche Impfschäden gefeiert. Wir haben uns die Studie angeschaut, auf der dieser Quatsch fußt.
Auf Telegram, dem liebsten Medium der Pandemie-Leugner, Verschwörungstheoretiker und antidemokratisch Gesinnten, gibt es einen neuen Trend: Laut Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) diskutieren User seit einigen Wochen intensiv über Nattokinase, ein Enzym als Nahrungsergänzungsmittel. Das CeMAS befasst sich als Think Tank unter anderem mit Fake News.
Was steckt hinter dem Supplement? Natto gehört zu den traditionellen Lebensmitteln der japanischen Küche. Grundlage des Gerichts sind Sojabohnen. Sie werden gekocht und mit Bacillus subtilis ssp. natto versetzt. Bei der Fermentation bauen Bakterien bis zur Hälfte der pflanzlichen Proteine ab. Um das zu bewerkstelligen, produzieren sie das Enzym Nattokinase. Doch der Name täuscht: Nattokinase ist im biochemischen Sinne keine Kinase. Vielmehr handelt es sich um eine Serinprotease.
Schon länger hofft die Alternativmedizin, Nattokinase könne aufgrund ihrer fibrinolytischen Aktivität Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugen. Nur handelt es sich entweder um reine In-vitro-Studien, um Studien mit kleinen Patientenkohorten und mit kurzem Follow-up oder um Studien mit gesunden Probanden. Darum geht es bei der aktuellen Diskussion jedoch nicht.
Ausgangspunkt des neuen Hypes ist eine Studie vom August 2022, die erst jetzt ihren Weg ins Rampenlicht der Querdenker gefunden hat. Darin berichten die Autoren, dass – wie hinlänglich bekannt – das Spike-Protein (S-Protein) von SARS-CoV-2 essenziell ist, um menschliche Zellen zu infizieren. Es bindet an den Zellrezeptor ACE-2. „Wenn mit dem S-Protein transfizierte Zelllysate mit Nattokinase inkubiert wurden, wurde das S-Protein in einer dosis- und zeitabhängigen Weise abgebaut“, schreiben die Forscher. „Die Immunfluoreszenzanalyse zeigte, dass das S-Protein auf der Zelloberfläche abgebaut wurde, wenn Nattokinase dem Kulturmedium zugesetzt wurde.“ Und weiter: „Die Ergebnisse deuten also darauf hin, dass Nattokinase das Potenzial hat, die SARS-CoV-2-Infektion über den Abbau des S-Proteins zu hemmen.“
An der Laborstudie selbst ist nichts auszusetzen, davon abgesehen, dass manche der Autoren von Nattokinase-Herstellern kommen. Nur die Interpretation wird schnell haarsträubend. „Die japanischen und taiwanesischen Wissenschaftler […] haben in ihrer Arbeit […] festgestellt, dass das Enzym Nattokinase in der Lage ist, Spike-Proteine im menschlichen Körper aufzulösen“, heißt es auf einer Website des selbsternannten Querdenkers Michael Pieper. Genau das haben die Wissenschaftler aber weder gezeigt noch behauptet. Und das geben die Daten einer reinen Laborstudie auch nicht im Geringsten her.
Auch gegen Impfschäden soll das Wundermittel Nattokinase helfen, wie manche Blogger behaupten – eine Aussage, die gleich mehrfach unsinnig ist. Oft werden Impfreaktionen mit Impfschäden verwechselt. Impfreaktionen treten rasch auf, meist als Antwort des Immunsystems auf Antigene wie das Spike-Protein, und klingen rasch wieder ab. Impfschäden hingegen sind langfristige Komplikationen; zu späteren Zeitpunkten befinden sich keine spezifischen Antigene der Impfung mehr im Körper. Zu den wissenschaftlich anerkannten Impfschäden gehören vor allem Herzmuskelentzündungen, Sinusthrombosen und das Guillain-Barré-Syndrom.
Selbst bei der sofortigen Gabe von Nattokinase-Supplementen nach COVID-19-Impfungen ist der Sinn fraglich. Präparate ohne besondere Galenik werden im Magen abgebaut. Kommt das Enzym im Darm an, etwa bei speziell verkapselten Präparaten, bleibt immer noch unklar, ob nennenswerte Mengen tatsächlich resorbiert werden und in den Muskeln landen. Nicht zuletzt ist das Spike-Protein wünschenswert, um Immunität aufzubauen.
Doch der Handel mit solchen Präparaten boomt, befeuert durch Blogger, die Studien in ihrem Sinne interpretieren. Einige Beispiele von Google:
Wenig überraschend haben auch Blogger der Querdenker-Szene solche Präparate im Angebot. Bleibt abzuwarten, ob die Nattokinase sich in den Reigen der vielen Wundermittelchen einreihen oder schon bald wieder in der Obskurität verschwinden wird.
Bildquelle: Daniela Paola Alchapar, unsplash