Egal ob tödliche Milch, gesunde Vegetarier oder heilsames Magnesium: Epidemiologische Studien fallen in der Laienpresse auf fruchtbaren Boden. Fragen zur Kausalität bleiben meist außen vor. Für Apotheker lohnt es sich, kritisch hinzusehen und Kunden bei Zweifeln zu warnen.
Ein neuer Skandal am Kühlregal: „Gesund oder ein Killer? Zu viel Milch kann zu früherem Tod führen“, titelt Fokus online. Verbraucher reagierten erwartungsgemäß verunsichert. Ist der „Calciumlieferant Nummer eins“ gegen Osteoporose doch nicht so gesund, wie uns von Kindesbeinen an vermittelt wird?
Stein des Anstoßes war eine Studie im British Medical Journal. Karl Michaëlsson ging mit Kollegen aus Uppsala der Frage nach, welchen Effekt Milch auf unseren Stoffwechsel hat. Daten bekam er aus der schwedischen Mammografie-Kohorte; diese umfasst 61.433 Frauen von 39 bis 74 Jahren. Hinzu kamen 45.339 Personen der schwedischen Männerkohorte. Sie waren im Alter von 45 bis 79 Jahren. Da alle Einwohner im skandinavischen Land bei ihrer Geburt Personennummern bekommen, gelang es Michaëlsson, das weitere Schicksal seiner Probanden zu erfassen, inklusive stationärer Behandlungen. „Frauen, die drei Gläser Milch oder mehr am Tag tranken, hatten ein 93 Prozent höheres Todesrisiko, ein 60 Prozent höheres Hüftbruch-Risiko und ein 16 Prozent höheres Risiko bei Brüchen allgemein verglichen zu denen, die weniger als ein Glas tranken“, so Michaëlsson. Aßen Probandinnen Milchprodukten mit wenig Laktose, etwa Joghurt oder Käse, sanken ihre Sterblichkeit und ihre Frakturrisiken. Derartige Effekte erklärt Michaëlsson mit oxidativem Stress durch Galaktose aus dem Disaccharid Laktose. Als Marker diente 8-Isoprostaglandin F2 alpha (8-iso-PGF2 alpha), ein Prostaglandin-Derivat. Bei Männern fand der Forscher keine signifikante Korrelation zwischen Milchkonsum, Sterblichkeit und Knochenbrüchen. Er selbst warnt in seiner Veröffentlichung, voreilige Schlüsse zu ziehen und weist auf fehlende Kausalitäten hin. So könnten Menschen mit schlechtem Gesundheitszustand und hohem Frakturrisiko vorsorglich Milch wegen ihrer gesundheitsfördernden Wirkung trinken.
Die Wirkung von Milch ist wissenschaftlich gesehen kein Einzelfall. Schon lange rätseln Wissenschaftler, ob vegetarische Diäten einen gesundheitlichen Mehrwert bringen – speziell zur Vorbeugung kardiovaskulärer Erkrankungen. Chun Kwok von der Universität Manchester berichtet, dass vegetarische Ernährung zu einer Risikoreduktion zwischen 20 und 50 Prozent führt, verglichen mit der Normalbevölkerung. Koronare Herzkrankheiten traten entsprechend seltener auf. Allerdings waren seine Studienteilnehmer allesamt Mitglied bei den Siebenten-Tags-Adventisten, einer protestantischen Freikirche. Kwok schreibt, die Effekte ließen sich bei Adventisten nicht auf vegetarische Ernährungsgewohnheiten allein zurückführen. Gläubige legen generell viel Wert auf eine gesunde Lebensführung. Sie konsumieren keinen Alkohol, keinen Tabak und keine Drogen. Auch ermuntert ihre Kirche zu einem stabilen, sozialen Umfeld und zu regelmäßiger Bewegung. Andere Untersuchungen wie die EPIC-Oxford-Studie ohne Adventisten zeigten keinen Benefit der fleischlosen Lebensweise. „Zusammengefasst geht die Verminderung von koronarer Herzkrankheit und Gesamtsterblichkeit unter vegetarischer Ernährung hauptsächlich auf die Adventistenstudien zurück“, kritisiert Kwork.
Ähnliche Zweifel kommen bei Untersuchungen zu Magnesium auf. Auslöser der Kontroverse ist eine Arbeit von Daniel T. Dibaba und Ka He, Bloomington. Sie identifizierten für ihre Metaanalyse 78 Studien mit knapp 24.500 Teilnehmern. Weitere Einflussfaktoren wie Alter, Bewegung, Tabakkonsum und Ernährungsgewohnheiten korrigierten Forscher mathematisch. Und tatsächlich: Wer Magnesium einnahm, erkrankte seltener am metabolischen Syndrom. Pro täglicher 100 Milligramm-Portion verringerte sich das Risiko um 17 Prozent. Im Durchschnitt schluckten Studienteilnehmer zwischen 117 und 423 Milligramm. Auch hier stellt sich die Frage, ob tatsächlich kausale Zusammenhänge vorliegen, Antworten bleiben die Autoren schuldig. Dibaba und Kollegen berichten, zumindest im Tierexperiment würde Magnesiummangel die Ausschüttung und die Aktivität von Insulin beeinträchtigen. Und Enzyme wie Lipoproteinlipasen benötigen Salze, um ihren Dienst zu leisten. Nicht zuletzt wird spekuliert, Magnesium könnte Entzündungsreaktionen verhindern. Ohne Kohortenstudien beziehungsweise randomisierte, kontrollierte Studien bleibt der tatsächliche Mehrwert im Dunkeln. Bei Selen gibt es ähnliche Kontroversen: Obwohl einzelne Studien auf protektive Effekte gegen Krebserkrankungen hindeuten, zerstreut die Cochrane Collaboration alle Hoffnungen. Von Evidenz könne nicht die Rede sein, und Studien sollten mit Vorsicht interpretiert werden, so ihr Resümee. Alan R. Kristal, Seattle, fand sogar Hinweise, dass Männer mit gutem Selenstatus durch zusätzliche Supplemente ein größeres Risiko haben, Prostatakarzinome zu entwickeln als Probanden mit niedrigerem Spiegel. Apotheker sollten Wünsche ihrer Kunden deshalb immer kritisch prüfen.