Die Tage der Corona-Warn-App sind gezählt. Ist sie reif für die Tonne oder schlummert da noch gewaltiges Potenzial? Was ich darüber denke.
Seit 16. Juni 2020 gibt es die Corona-Warn-App in Deutschland. 17 Prozent der früheren User haben sie längst deinstalliert. Weitere 37 Prozent lassen die Anwendung – zumindest noch – auf ihrem Smartphone, hat Bitkom Ende 2022 herausgefunden. Heute mag es noch schlechter um die App stehen. Also nichts wie weg damit?
Was bisher geschah: Mehr als 48 Millionen Downloads der App (Stand 9. Februar 2023) sind beeindruckend. Nur brechen die Zahl an eingetragenen Testergebnissen und an ausgegebenen Warnungen rapide ein – flächendeckende Bürgertests gehören eben der Vergangenheit an.
Zahl der bereitgestellten COVID-19-Testergebnisse. Credit: Robert Koch-Institut
Zahl der empfangenen Ergebnisse (rot: potenziell hohes Risiko; grün: potenziell niedriges Risiko). Credit: Robert Koch-Institut
Hinzu kommt, dass mindestens 75 Prozent aller Einwohner über Impfungen eine Grundimmunisierung haben. Mehr als 56 Prozent sind genesen – bei bekannten Überschneidungen beider Gruppen. Sinnvolle Warnmeldungen werden diese Menschen kaum noch erhalten. Wozu soll die App dann noch gut sein?
Wer die App entfernt, nimmt nicht mehr am Tracking teil. Das ist angesichts der aktuellen Entwicklung sicher zu verschmerzen. Problematisch wird die Sache nur für User, die ihre Impfnachweise im Programm gespeichert haben und ihr gelbes Impfheftchen nicht mehr finden. Einige Länder, unter anderem Bhutan, Hongkong, Indien, Kenia, Nepal, die Philippinen und Uruguay, überprüfen bei der Einreise Impfnachweise oder wollen ein Testzertifikat sehen. Ob Screenshots einer bereits gelöschten App dafür ausreichen, ist fraglich. Und was die Zukunft bringt, weiß niemand.
Doch die Verwaltung von COVID-19-Impfzertifikaten allein gibt der App kaum Existenzberechtigung. In Berlin stellen sich Politiker nun die Frage, was aus ihr werden könnte. Bei Kosten von insgesamt 220 Millionen Euro schmerzt es sehr, alle Systeme einzustellen.
Das wäre auch recht schade, denn allein durch den Bekanntheitsgrad der App hätten sich zahlreiche Möglichkeiten ergeben. Ein Beispiel: Zwar müssen gesetzliche Krankenkassen Mitgliedern die elektronische Patientenakte seit 2021 anbieten. Nur nutzen weniger als ein Prozent der Bürger diesen Service, was an technischen und an organisatorischen Hürden liegt. Zumindest digitale Impfnachweise aller Art könnten User über die App verwalten – solche Technologien sind von COVID-19 ja vorhanden. Doch Deutschland setzt weiter auf das gelbe Impfheftchen.
Auch als Kanal für evidenzbasierte, verständliche Medizininformationen aus seriöser Quelle eignet sich die App. Ohnehin ist es um die Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung eher schlecht bestellt, das hat zuletzt auch die Pandemie gezeigt. Genau solche Lücken hätte eine bekannte, weit verbreitete App schließen können.
Kommerzielle Anbieter waren deutlich schlauer und haben die Gunst der Stunde genutzt, um Corona-Apps in die Zukunft zu bringen. Einige Beispiele:
Doch ein zweites Leben dieser Art scheint der Corona-Warn-App nicht vergönnt zu sein. Die FDP lehnt weitere Investitionen ab; im Bundesgesundheitsministerium gab es zumindest Überlegungen, alle Technologien im Hintergrund weiter zu pflegen – für die nächste Gesundheitskrise, die hoffentlich nie kommen wird. Die nächsten Schritte sind ungewiss; aktuell laufen Verträge nur noch bis Mai 2023.
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