Ein großer Hersteller von ästhetisch-medizinischen Präparaten und Medizinprodukten hat kürzlich die Ergebnisse einer Marktforschungsstudie veröffentlicht, die sich auf die Zukunft der Schönheitsindustrie konzentriert. Die Ergebnisse wurden zu 10 globalen Trends zusammengefasst, anhand derer bereits heute absehbare Entwicklungen in die Zukunft projiziert werden.
Die Studie zeigt, dass Patienten für Schönheitsbehandlungen zunehmend auf der Suche nach personalisierten, aber dennoch natürlichen Ergebnissen sind und dass Nachhaltigkeit und ethische Praktiken für viele Verbraucher wichtig geworden sind. Dazu zählen insbesondere auch Interventionen, die eine beginnende Abkehr von binärem Geschlechterverständnis respektieren und eine geschlechtsneutrale Herangehensweise an ästhetische Behandlungen ermöglichen.
Seitens der Ärzteschaft rückt laut Studie die Verwendung von künstlicher Intelligenz und virtuellen Beratungsleistungen in den Mittelpunkt, um den Bedürfnissen von Patienten noch besser entsprechen zu können. Darüberhinaus erscheint der Traum vom "Ende des Alterns" nicht mehr utopisch, sondern zeichnet sich am Horizont zunehmend als reale Perspektive ab.
Der Bericht basiert auf einer Umfrage unter mehr als 14.500 Verbrauchern in 18 Ländern, deren Ergebnisse im Anschluss von Praktikern validiert wurden.
Ich nenne im Folgenden die "10 Global Trends" im Einzelnen, skizziere ihre Grundaussage wie sie in der Studie gemacht wird und füge jeweils einen kurzen Kommentar aus meiner persönlichen Sicht an.
Patienten aller Ethnien nehmen ästhetische Behandlungen in Anspruch und möchten ihre Individualität in Zukunft stärker reflektiert und repräsentiert wissen. Für Patienten ist es wichtig, dass ihren individuellen Vorstellungen mit einem wirklich persönlichen Ansatz entsprochen wird.
Kommentar: Diese Entwicklung haben auf Ästhetik spezialisierte Arztpraxen natürlich längst vorweggenommen. Wer es sich leisten kann, macht beim Aussehen keine Kompromisse und lässt sich auch nicht mit einer 0815-Behandlung abfertigen. Ein individualisierter und persönlichen Vorstellungen entsprechender Look ist in professionellen Ästhetik-Praxen daher längst Realität. Die Behandlung hat dafür aber auch ihren Preis. Insofern erscheint es mir fraglich, wie die überall aus dem Boden sprießenden Beauty-Ketten und das "Pop-up Botox" im Drogeriemarkt, das gewissermaßen "Schönheit im Akkord" verspricht, zu diesem Trend passt.
Der moderne Mann achtet zunehmend auf Körper und Aussehen. Obwohl die Zahl nicht-invasiver ästhetischer Eingriffe bei Männern nach wie vor deutlich hinter der von Frauen liegt, steigt die Nachfrage bei Männern stärker.
Kommentar: Das ist meiner Beobachtung nach zutreffend. Es gab bereits vor Corona einen Trend zu mehr ästhetischen Behandlungen bei Männern, und der durch pandemiebedingtes Home-Office ausgelöste "Zoom-Boom" hat die Entwicklung beschleunigt. Botox in die Zornesfalte, Filler in die Tränenrinne, PRP gegen Haarausfall, Microneedling für ein besseres Hautbild: das sind typische Behandlungen bei Männern geworden, zumindest in meiner Praxis in München.
Die Einstellung gegenüber dem biologischen Geschlecht ist im Fluss, und nicht wenige Menschen wollen ihre individuelle genderspezifische Einstellung in ihrem Äußeren reflektiert sehen. Eine geschlechtsneutrale Herangehensweise an ästhetische Behandlungen bedeutet, allen möglichen Ausdrucksformen individuellen Genderbewusstseins entgegen zu kommen.
Kommentar: Auch das eine Entwicklung, die Ästhetik-Experten nicht grundsätzlich neu ist. Neben den geschlechtsangleichenden Interventionen, die es mittlerweile ja auch in den Katalog der gesetzlichen Kassenleistungen geschafft haben, gibt es ein breites Spektrum an chirurgischen und nicht-chirurgischen Verfahren, mit denen sich bestimmte Physiognomien (männlicher, weiblicher, ...) gezielt unterstreichen lassen. Die Grenzen der umgestaltenden Medizin erscheinen mir dabei eher ethischer Natur, insbesondere dort, wo individuelle Wünsche sich nicht mehr an den traditionellen Vorstellungen von männlich oder weiblich orientieren, sondern das "Nicht-Binäre" auch optisch umgesetzt wissen wollen.
Viele chirurgische Interventionen, die von statischer Natur sind und mit deren Ergebnis man wohl oder wehe leben muss, sind dabei, durch minimal-invasive Eingriffe verdrängt zu werden, deren Ergebnis temporär bzw. reversibel ist. Das wirkt auf Menschen weniger abschreckend und senkt insofern die Hemmschwellen, insbesondere beim jüngeren Publikum. Die Menschen wollen nicht mehr, dass Schönheit starr definiert wird - stattdessen rückt die Kreativität in den Vordergrund.
Kommentar: Zweifellos gibt es auch diesen Trend, ich weiß als Profi aber nicht, ob ich ihn wirklich gutheißen soll. In diesem Artikel habe ich meine Meinung zu Beauty-Trends auf Social Media und Filtern wie "Bold Glamour" auf TikTok geäußert. Ich bin skeptisch. Eine andere Beobachtung in diesem Zusammenhang ist, dass sich seit geraumer Zeit die Möglichkeit, unterspritztes Hyaluron in Lippen und Gesicht mittels Hyaluronidase wieder aufzulösen, reger Nachfrage erfreut. Eine Patientin aus den Emiraten erzählte mir, dort sei das mittlerweile gang und gäbe. Als Praktiker möchte man einwenden, dass diese Prozedur eigentlich nur für den Notfall gedacht war, und dass Hyaluronidase ein Medikament ist, das seine ganz eigenen Probleme mit sich bringt. Aber auch hier wird sich zeigen, welche Übertreibungen der Markt begünstigt und wie weit man aus ärztlicher Verantwortung bereit ist, das mitzutragen.
Die ästhetische Medizin stand dem "Wellness"-Bereich naturgemäß nahe, und das spiegelt sich zunehmend auch in den Erwartungen der Verbraucher. Die Behandlung in der nüchtern und funktionalen Arztpraxis ist out, das luxuriöse Erlebnis eines "ganzheitlichen Ansatz" für Geist und Körper" ist in.
Kommentar: Zweifellos spielt das eine Rolle. Das sieht man nicht zuletzt an der Vorliebe von Ästhetik-Profis, ihre Websites mit Fotos ihrer sehr geschmackvoll eingerichteten Praxisräumlichkeiten zu bebildern (ich selbst bin da keine Ausnahme). Dass Arztpraxen um eine Wohlfühlatmosphäre für ihre Patienten bemüht sein sollten, erscheint mir allerdings generell vernünftig. Und nichts, was nur für die Beauty-Medizin typisch sein sollte.
Wie in allen Bereichen der Medizin werden auch in der Ästhetik die Grenzen ständig verschoben. Technologische Innovationen auf der einen Seite, aber auch ein verändertes Körperbewusstsein auf der anderen, machen es möglich.
Kommentar: Natürlich. Wer hätte vor 20 Jahren an "Vaginale Verjüngung" und "Schamlippenkorrektur" gedacht? Ich nicht. Dieser Trend geht Hand in Hand mit wachsender Individualisierung und geänderten Einstellungen zum biologischen Geschlecht, und noch ist nicht absehbar, welche Möglichkeiten er zukünftig ausloten wird. Er speist sich zudem aus der oben beschriebenen Möglichkeit, die Ergebnisse minimal-invasiver Interventionen wieder zurückzudrehen. "Ich kann es ja mal probieren...". Auch hier wird man nicht alles gutheißen können, was diese Entwicklung bereithält. Wieder einmal ist es der Arzt, der an der entscheidenden Stelle auch "nein" sagen können muss.
Natürlich weiß die Branche um den regelmäßigen Vorwurf von "Überbehandlungen", "Überfüllungen" oder "unnatürliche Ergebnissen". Medien berichten oft und gerne über "Botox Fails" oder unnatürliche Lifting-Resultate, wie erst kürzlich am Beispiel einer weltbekannten Pop-Diva geschehen. Und die Sozialen Medien geben sich in derartigen Fällen gnadenlos. Sollte man versuchen, derartige Fälle einzudämmen? Wenn ja, wie? Doch neben ästhetischen Erwägungen zählt zur ethischen Frage natürlich auch und vor allem die der Patientensicherheit. Wer sollte Behandlungen durchführen dürfen? Mit welcher Qualifikation? Was sind die Standards?
Kommentar: Dieser Trend setzt den vorangehenden gewissermaßen die Grenzen. Und in der Tat ist die ästhetische Medizin im Vergleich zu anderen Fachrichtungen erstaunlich wenig reglementiert, beginnend bei den Anforderungen an Ausbildung und Qualifikation über fehlende Standardisierung von Therapiekonzepten bis hin zur Fragestellung, ob alles, was auch machbar ist, auch gemacht werden sollte. In Deutschland, wo sich in der Ästhetischen Medizin neben gut qualifizierten Ärzten auch Heilpraktiker mit fragwürdiger Qualifikation und noch fragwürdigeren Praktiken tummeln, erscheint mir die Klärung der Mindestqualifikation ebenso dringlich wie vorrangig.
Die COVID-19-Pandemie hat zu einem "Zoom-Boom" geführt, bei dem die Menschen ihre eigenen Gesichter auf dem Bildschirm mehr als je zuvor unter die Lupe nehmen. In Verbindung mit der weit verbreiteten Manipulation von Fotos in den sozialen Medien und der Nutzung von lebensechten Beauty-Filtern wie "Bold Glamour" ist die Frage, wie die digitale Kommunikation die Selbstwahrnehmung der Menschen verändert und wie sich dies auf die Ästhetik auswirkt, ein wichtiges Thema.
Kommentar: Ich habe es weiter oben bereits angesprochen und in meinem verlinkten Artikel vertieft erörtert: Diese Frage wird uns noch sehr beschäftigen, insbesondere im Hinblick auf das Selbstbild und das seelische Wohlbefinden von Jugendlichen. Auch unter dem Aspekt der ethischen Grenzen wird sich die in der Beautymedizin tätige Ärzteschaft diesem Thema stellen müssen.
Das Metaversum gilt vielen als die nächste Generation des Internets, die das Leben aller Menschen grundlegend verändern wird. Künftige Generationen werden virtuelle Eingeborene sein, so sagt man, die nahtlos zwischen der physischen und der digitalen Welt navigieren, während Ärzte virtuelle "Meta-Kliniken" als neue und bequeme Art der Interaktion mit Kunden für bestimmte Dienstleistungen nutzen werden.
Kommentar: Während ich durchaus glaube, dass für die Medizin allgemein hier ein großes Potenzial besteht, bin ich nicht überzeugt, dass das für die ästhetische Medizin zutrifft. Ich selbst habe zum Beispiel wieder damit aufgehört, Video-Sprechstunden für ästhetische Beratung anzubieten. Die Erfahrung zeigte, dass Beratung aber vor allem auch Risikoaufklärung über Video nicht gut funktioniert, und dann beim Praxisbesuch in der Regel wiederholt muss. Ich will nicht ausschließen, dass das mit anderen Technologien zukünftig besser möglich sein wird, aber noch bin ich skeptisch.
Menschen beginnen immer früher mit ästhetischen Behandlungen, um die Anzeichen des Alterns hinauszuzögern. Gleichzeitig haben Fortschritte in wissenschaftlicher Erkenntnis und medizinischer Anwendung das Ende des Alterns zumindest am Horizont sichtbar werden lassen. Obwohl diesbezügliche Therapien noch als experimentell gelten müssen, haben erste Start-Ups in den USA bereits damit begonnen, Anti Aging in Form personalisierter Behandlungspläne zu vermarkten, die auf der Grundlage der genetischen Faktoren, des Verhaltens und des Lebensstils der Patienten erstellt werden. Das mag kurzfristig zum erhofften Erfolg führen oder auch nicht; aber der Stein ist damit zweifellos ins Rollen gekommen.
Kommentar: Das erscheint mir zutreffend, auch wenn man als Praktiker noch am Rätseln ist, wie man diese Möglichkeit für seine Patienten fruchtbar machen soll. Selbst für Praxen, die sich "Anti-Aging" in großen Lettern auf die Fahnen geschrieben haben, beschränkt sich der realistische Möglichkeitenraum neben Botox, Filler und gelegentlicher Hautregeneration oft nur auf das eine oder andere Vitaminpräparat oder das Beheben eines offenkundigen Hormonmangels. Eines stimmt aber ganz sicher: Wer dem Alter den Kampf ansagt, der muss einerseits in die Tiefe und andererseits in die Breite gehen. Genetik, Epigenetik, Endokrinologie, Immunologie, Ernährungsmedizin, Dermatologie... das Wissen um die Ursachen und das erfolgreiche Therapieren der Folgen wird die Zusammenarbeit unterschiedlichster Disziplinen erfordern. Wenn das klappt, dann werden die Erfolge vermutlich spektakulär werden. Aber damit auch ganz neue Probleme hervorrufen...
Dieser Beitrag bezieht sich auf:
Allergan Aesthetics, Introducing the Future of Aesthetics Global Trends Report, https://global.allerganaesthetics.com/global-trends-report
Titelbild: Shutterstock, Sofia Zhuravetc