Bei Angst steigt der Puls – oder nicht? Forscher haben sich das Zusammenspiel von Hirn und Körper genauer angesehen und unerwartet vielfältige Reaktionen beobachtet. Ihre Ergebnisse könnten helfen, Therapien gegen Angststörungen zu optimieren.
Flight, fight or freeze – Wegrennen, sich wehren oder vor Angst erstarren: Jeder reagiert anders auf eine Bedrohung. Das Verhalten hängt ganz davon ab, welche neuronalen Schaltkreise in unserem Gehirn aktiviert werden, um uns vor möglichen Schäden zu schützen. Ein Forscherteam am Universitätsklinikum Würzburg beschäftigte sich nun mit den Reaktionen auf Angstzustände. Wie verhalten wir uns, wenn wir Angst empfinden? Wie reagiert unser Körper darauf? Und wie hängen Emotion und physiologische Reaktion zusammen?
„Obwohl die Neurowissenschaft schon länger an der Entschlüsselung von Angstzuständen und entsprechenden Behandlungsansätzen arbeitet, ist es noch nicht gelungen, ein einheitliches Bild zu gewinnen, das sowohl Verhaltensänderungen als auch physiologische Reaktionen und deren dynamisches Zusammenspiel während Angstzuständen beschreibt“, berichtet Prof. Philip Tovote vom Institut für Klinische Neurobiologie. Eine Angstreaktion werde immer noch auf eine Verhaltensänderung reduziert – wie etwa auf die Schockstarre. Die Änderung der Herzrate jedoch wurde nie als eine verlässliche Komponente zur Charakterisierung von Angstzuständen wahrgenommen, da die bisherige Studienlage keine einheitlichen Ergebnisse hervorbrachte.
„Um Angst und die damit verbundenen oft übermäßig stark ausgeprägten körperlichen Reaktionen zu behandeln, ist es wichtig, das genaue Zusammenspiel von Körper und Gehirn besser zu verstehen. Angststörungen gehören zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen und treten oftmals im Zusammenhang mit kardiovaskulären und neurodegenerativen Erkrankungen wie etwa Parkinson oder Herzinsuffizienz auf“, erinnert Philip Tovote.
In der Tat hat auch Tovotes Team bei Mäusen mit identischem Angstverhalten grundsätzlich verschiedene Herzraten beobachtet: Mal waren sie erhöht, mal erniedrigt, mal unverändert. Diese zunächst scheinbar widersprüchlichen kardialen Reaktionen haben die Wissenschaftler nun in einem Rahmenkonzept zusammengefasst, welches die Einflüsse übergeordneter Zustände – der Macrostates – beschreibt und damit die unterschiedlichen Herzaktivitäten erklärbar macht.
„Mit unserer Analyse ist es uns jetzt möglich, feine Abstufungen von verschiedenen Verhaltensänderungen, die zunächst gleich aussehen, aufgrund ihrer unterschiedlichen begleitenden Herzantworten zu erkennen“, sagt Erstautor Jérémy Signoret-Genest. Letztendlich könne diese präzise Charakterisierung von verschiedenen Ausprägungen von Angstzuständen dazu beitragen, Gehirnnetzwerke zu verstehen, die für die Entstehung von Angstzuständen wichtig sind. „Wir konnten bestimmte Nervenzellen im Mittelhirn identifizieren, die für die Generierung einer typischen Angstreaktion in Mäusen verantwortlich sind“, erläutert Studienautorin Nina Schukraft. Dafür wurden neueste neurowissenschaftliche Methoden genutzt, die es erlauben, mittels Licht die Aktivität ausgewählter Nervenzellen zu kontrollieren.
Um unterschiedliche Angstzustände voneinander abzugrenzen sollen in Zukunft weitere Parameter wie zum Beispiel Atemfrequenz und Temperatur in die Analyse aufgenommen werden. Ziel ist es viele verschiedene Faktoren in Clustern zusammenzuführen, um sie dann gemeinsam mit der zeitlichen Ausprägung auch auf krankheitsrelevante Zustände zu übertragen. Damit würde ein besseres Verständnis der mit Angststörungen verbundenen Erkrankungen und ihrer zeitlichen Dynamik einhergehen, welches verbesserte Therapieansätze zulasse. „Eine durch unser Rahmenwerk integrierte Analyse der verschiedenen, dynamischen Angstreaktionen und deren Abhängigkeit voneinander, könnte dazu beitragen, pathologische Angstzustände genauer und individuell angepasst zu erkennen und letztendlich besser zu behandeln“, resümiert Philip Tovote.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des Universitätsklinikums Würzburg. Hier gehts zur Originalpublikation.
Bildquelle: Arno Senoner, unsplash