Bei der seltenen Muskelkrankheit ADCY5-abhängige Dyskinesie kommt es zu unkontrollierten Bewegungen, Krämpfen und Sprachstörungen. Eine Therapie ist bisher nicht etabliert. Jetzt könnte ein Asthma-Medikament Abhilfe schaffen.
Die ADCY5-abhängige Dyskinesie lässt sich womöglich mit dem Asthma-Wirkstoff Theophyllin behandeln. Darauf deutet eine Studie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), der Universitätsmedizin Halle und der Universitätsklinik Leipzig hin. In der Fachzeitschrift PLOS ONE beschreiben die Forscher den Fall eines betroffenen Kindes, dessen Symptome sich durch das Medikament deutlich verbesserten. Die ADCY5-abhängige Dyskinesie ist eine äußerst seltene Erkrankung, die bei den Betroffenen zu Zuckungen und unkontrollierten Bewegungen führt. Bislang gibt es keine Möglichkeit, die Muskelkrankheit zu heilen.
Grund für die Erkrankung sind ein oder mehrere Defekte im ADCY5-Gen. „Wenn nur eine einzige Stelle im genetischen Code in diesem Gen falsch ist, kann das verheerende Folgen haben“, sagt Prof. Andrea Sinz vom Institut für Pharmazie der MLU. Im Fall dieser Dyskinesie sorgt der Gendefekt dafür, dass ein spezielles Enzym in den Zellen überaktiv ist, das an der Produktion des Botenstoffs cAMP beteiligt ist. Zu viel davon führt bei den Betroffenen meist ab Kleinkindalter zu unkontrollierten Bewegungen, Krämpfen und vielen weiteren Beschwerden, wie Sprachstörungen. Die Krankheit gilt als sehr selten, genauere Zahlen gibt es nicht. „Bei seltenen Krankheiten wie der ADCY5-abhängigen Dyskinesie liegt der Verdacht nahe, dass sie häufig nicht korrekt erkannt und diagnostiziert werden“, sagt Sinz. Die Symptome können mit anderen Krankheitsbildern leicht verwechselt werden.
Bislang gibt es keine etablierte Therapie für ADCY5-abhängige Dyskinesie. In der Vergangenheit wurden die Symptome mit Medikamenten zur Muskelentspannung behandelt, die jedoch zu starken Nebenwirkungen führen können. Durch Zufall wurde in den USA ein Fall bekannt, bei dem eine Familie ihr Kind mit Kaffee behandelte und so die Symptome lindern konnte. In einer kleinen Studie mit 30 Kindern profitierten fast alle von einer Koffein-Behandlung. „Durch das Koffein werden die unkontrollierten Bewegungen schwächer. Warum das so ist, war allerdings bislang unklar. Außerdem hat die Behandlung auch Nachteile, da die Kinder zum Beispiel nicht gut schlafen können“, so Sinz. Das Team aus Halle und Leipzig suchte nach existierenden Medikamenten, die eine dem Koffein ähnliche Grundstruktur aufweisen. Die Idee: Lassen sich solche Medikamente für den Off-Label-Use ausmachen, könnten sie womöglich sogar besser wirken und weniger Nebenwirkungen haben.
Fündig wurden die Forscher beim Asthmamittel Theophyllin und dem Parkinson-Medikament Istradefyllin, das in Europa jedoch nicht zugelassen ist. In Zellversuchen konnte der Wirkmechanismus der Substanzen bestätigt werden. Sie sorgen dafür, dass die Bildung des cAMP-Botenstoffs in den Zellen gedrosselt wird. In Absprache mit den Eltern eines betroffenen Kindes testeten die Forscher dann den Einsatz von Theophyllin. „Das Medikament ist für den Einsatz bei Kindern zugelassen und kann sicher angewendet werden“, sagt Sinz.
Zunächst wurde es in sehr geringen Dosen verabreicht, später wurden diese gesteigert. Währenddessen wurde der Gesundheitszustand des Kindes streng überwacht. „Die Ergebnisse waren phänomenal: Das Kind konnte gerade sitzen, die Zuckungen und unkontrollierten Bewegungen wurden deutlich weniger, im Schlaf verschwanden sie sogar völlig“, berichtet Sinz. Nach einigen Monaten war das Kind in der Lage, aus dem Rollstuhl aufzustehen, zu laufen und deutlicher zu sprechen. Gleichzeitig ließen sich keine gravierenden Nebenwirkungen beobachten. Sinz: „Theophyllin konnte die Symptome gezielt lindern und die Lebensqualität des betroffenen Kindes in beeindruckender Weise steigern. Unsere Arbeit ist zunächst nur eine Fallstudie, die aber jetzt schon betroffenen Familien Hoffnung gibt. Weltweit wurden nun Untersuchungen mit anderen Kindern gestartet und alle zeigen Erfolge, vor allem beim Laufen und Sprechen. Wir hoffen, dass die Ergebnisse möglichst bald in eine reguläre Therapie münden.“
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Die Studie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Arnold Leow, Unsplash