Telekardiologie eröffnet neue diagnostische und therapeutische Möglichkeiten – und unterstützt das ärztliche Zeitmanagement. Aber wann ist sie wirklich nützlich und was muss noch passieren?
Was bis vor wenigen Jahren schwer vorstellbar war, ist heute gängige Praxis: Das Arzt-Patienten-Gespräch und viele andere ärztliche Tätigkeiten können heute auch digital erfolgen.
„Der chronische Zeitmangel in Kliniken und Praxen sowie die notwendige räumliche Distanz während der Pandemie haben uns die Vorteile der Telemedizin klar vor Augen geführt. Zugleich wurde auch schonungslos der dringliche Bedarf an zusätzlichen telemedizinischen Strukturen offengelegt“, sagt der Kardiologe Prof. Thomas Meinertz vom Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung. So eröffne die Telemedizin ganz neue diagnostische und therapeutische Möglichkeiten gerade für chronisch kranke Patienten. Ärzte können sich wiederum über räumliche Entfernung und ohne zeitlichen Verzug untereinander austauschen – wenn entsprechende Strukturen aufgebaut sind.
Rund 80 Prozent aller Beratungen in Hausarztpraxen gelten chronisch kranken Patienten, etwa vier Fünftel der gesamten Ausgaben im Gesundheitswesen entfallen auf chronische Erkrankungen. Bis zu vier Millionen Menschen in Deutschland leiden nach Schätzungen allein an Herzinsuffizienz, rund 430.000 Klinikeinweisungen pro Jahr in Deutschland gehen auf Herzschwäche zurück. Und aufgrund der demografischen Entwicklung ist mit einer weiter steigenden Zahl an Herzschwäche-Patienten zu rechnen. Im Spannungsfeld zwischen Sparzwängen im Gesundheitswesen, einer abnehmenden Dichte an Versorgungsangeboten im ländlichen Raum und einem steigenden Bedarf an kardiologischen Leistungen zur Versorgung chronisch und akut herzkranker Menschen können digitale Technologien helfen, drohende Versorgungslücken zu schließen.
Das Interesse von Herz-Kreislauf-Patienten an den Einsatzmöglichkeiten digitaler Lösungen ist enorm. Schließlich betreffen Anwendungsgebiete der Telekardiologie mittlerweile sämtliche Herzkrankheiten wie koronare Herzkrankheit (KHK), Herzrhythmusstörungen und Herzschwäche. Sie werden etwa in der Nachsorge nach einem Herzinfarkt oder einem herzchirurgischen bzw. interventionellen Eingriff eingesetzt. „Patientinnen und Patienten profitieren dabei auf der einen Seite von der telemedizinischen Kontrolle ihres Gesundheitszustands, der engmaschigen Beobachtung des Genesungszustands nach einer Reha oder von der Wirksamkeitskontrolle medizinischer Maßnahmen“, erklärt Meinertz, selbst emeritierter Direktor eines universitären Herzzentrums.
Auf der anderen Seite wird ihre Eigenverantwortlichkeit gestärkt. Darüber hinaus ergänzen Smart Devices wie Smartphone und Wearables lange etablierte Technologien zur Detektion von Herzrhythmusstörungen wie Implantierbare Defibrillatoren (ICD), Herzschrittmacher und Ereignisrekorder. Dies erweitert die Möglichkeiten der Nachsorge deutlich.
Behandler profitieren von der Telemedizin u. a., indem sie effizienter Wissen austauschen und übermitteln können. Das kann mittels Telekonsultation (von der Schwerpunktklinik zum kleinen Krankenhaus), Teleradiologie (Übertragung von Röntgenbildern) und Telepathologie (Digitalisierung mikroskopischer Befunde, Labordaten) sein. Konkrete telemedizinische Anwendungen zwischen Arzt und Patient sind die Videosprechstunde, die Telediagnostik und -therapie sowie das Telemonitoring, d. h. die Fernuntersuchung, Ferndiagnose und Fernüberwachung von Patienten.
Ein besonderer Stellenwert in der Betreuung von chronisch kranken Menschen kommt dem Telemonitoring zu. Bei chronischer Herzinsuffizienz ist die Telemedizin am weitesten entwickelt und zugleich die erste digitale Versorgungsform, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) als eigenständige Untersuchungs- und Behandlungsmethode anerkannt wurde. Damit erstatten die gesetzlichen Krankenkassen einen großen Teil der Kosten.
Hintergrund ist, dass bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz der Zustand schnell von einer stabilen Phase hin zu einer dramatischen Verschlechterung der Herzfunktion entgleisen kann, so dass ein Klinikaufenthalt erforderlich wird. Das kontinuierliche Übertragen relevanter Gesundheitsdaten in die elektronische Fallakte des Arztes wie Körpergewicht, Sauerstoffsättigung, Blutdruck oder die Aufzeichnung eines EKG hilft dabei, individuell definierte Grenzwerte nicht zu überschreiten, damit es erst gar nicht zur Klinikeinweisung kommt. „Ein solcher digitaler Betreuungsschirm kann für Patienten mit schwerer Herzschwäche lebensrettend sein“, sagt Prof. Dr. med. Friedrich Köhler, Leiter des Arbeitsbereichs Kardiovaskuläre Telemedizin der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin am Deutschen Herzzentrum der Charité (DHZC) in Berlin.
Für Patienten mit Herzschwäche kommt als weitere Technologie die Fernüberwachung des Blutdrucks in der Lungenarterie neu hinzu. Sie könnte künftig helfen, eine Dekompensation noch früher zu erkennen. Das Verfahren wird derzeit in einer großen Studie in deutschen Zentren untersucht (PASSPORT-HF).
In der telemedizinischen Versorgung von Patienten mit Herzrhythmusstörungen sind Herzschrittmacher und ICDs, die Messwerte und aufgezeichnete Herzrhythmusstörungen an den Arzt übermitteln, bereits etablierte Technologien. Das gilt auch für implantierbare Ereignisrekorder. Mit Wearables wie Smartphone oder Smartwatch stehen nun weitere digitale Helfer zur Verfügung, mit denen Patienten ihren Herzrhythmus selbst aufzeichnen können.
Für deren richtige Nutzung müssen Patienten allerdings ein paar wichtige Punkte beachten. „So hängt die Auswahl des richtigen Gerätes unter anderem von der digitalen Kompetenz des Patienten und des Arztes ab“, betont Prof. David Duncker, Leiter des Hannover Herzrhythmus Centrums der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Arzt und Patienten sollten gemeinsam Art und Aufzeichnungsweise des Diagnoseinstruments bestimmen. Welche Rhythmusstörung wird vermutet, welche Symptome bestehen, wie häufig treten Anfälle auf und wie lange dauern sie? Die meisten Wearables bieten inzwischen zuverlässige EKG-Funktionen zum Nachweis von Vorhofflimmern. „Die Diagnose muss jedoch immer von einem Arzt bestätigt werden“, mahnt Duncker.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Deutschen Herzstiftung/Deutschen Stiftung für Herzforschung.
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