Forscher konnten neue Erkenntnisse darüber gewinnen, was beim PURA-Syndrom in den Zellen abläuft. Für die bislang unheilbare Krankheit könnte das ein Meilenstein auf dem Weg zu künftigen Therapien sein.
Das PURA-Syndrom ist eine seltene neuronale Erkrankung mit schwerwiegenden Entwicklungsstörungen ab der Geburt. Neben Lernschwäche und geistiger Entwicklungsverzögerung können die Kinder unter Anfällen, verminderter Muskelspannung, Problemen bei der Nahrungsaufnahme und Atemproblemen leiden. Prof. Dierk Niessing von der Universität Ulm erforscht seit Jahren die Mechanismen der Erkrankung.
Auf Zellebene liegt eine Mutation des PURA-Gens vor, das mit den anderen Genen als Bauanleitung des Körpers im Zellkern sitzt. In einer komplizierten molekularen Übersetzung werden diese Bauanleitungen zur Herstellung entsprechender Proteine eingesetzt. Ändert sich bei einer Mutation die charakteristische Abfolge der Gen-Bausteine, ändern sich auch die Bauanleitungen für das Protein. Da die Zelle das fehlerhafte PURA-Protein entweder gar nicht mehr herstellt oder dieses erkennt und zerstört, gehen mit dem Syndrom verringerte Spiegel desselben einher. „Obwohl wir bereits ein recht klares Verständnis von den strukturellen und molekularen Eigenschaften des PURA-Proteins hatten, fehlte doch ein Verständnis, welche Zellfunktionen durch PURA gesteuert werden“, so Niessing.
In seiner aktuellen Studie versuchte Niessing daher, fehlregulierte Zellfunktionen und molekulare Netzwerke in einer Art hochkompliziertem Puzzle zu identifizieren. Sein Team und er überprüften dazu – mittels Hochdurchsatz-Sequenzierung – für alle Bauanleitungen in der Zelle, wie oft diese zur Herstellung von Proteinen in Boten-RNAs kopiert wurden. Zum anderen bestimmten die Wissenschaftler die Art und Anzahl fast aller in der Zelle hergestellten Proteine. Da die Übersetzung mancher Boten-RNAs in Proteine durch PURA reguliert wird, wurde zusätzlich – mittels sogenannter iCLIP-Technik – überprüft, welche dieser vielen Boten-RNAs durch PURA gebunden werden. Hierfür bestrahlte das Team Zellen mit UV-Licht, wodurch aneinander gebundene Proteine und Boten-RNAs eine sehr stabile Verbindung eingehen.
Zur fluoreszenzmikroskopischen Analyse des PURA-Proteins wird auch grünes Laserlicht eingesetzt. Credit: AG Niessing / Uni UlmDie Datenmenge wurde von einer Arbeitsgruppe der Uni Frankfurt analysiert und interpretiert. „In digitalen sogenannten Multi-Omics-Analysen konnte unsere Gruppe die Ergebnisse der unterschiedlichen Experimente und Molekülklassen miteinander kombinieren“, so die Leiterin, Dr. Kathi Zarnack. „Nur mit einer solch aufwändigen Computeranalyse sind die Daten in ihrer Fülle überhaupt interpretierbar und erlauben ein Verständnis der zellulären Aufgaben des PURA-Proteins.“
Fluoreszenzmikroskop mit rotem Laserlicht zur Analyse von PURA-Protein in menschlichen Zellen. Credit: AG Niessing / Uni Ulm.Die Ergebnisse zeigten, dass PURA-Proteine überwiegend im Zytoplasma vorkommen und deuteten auf eine Rolle des PURA-Proteins bei wichtigen Zellmechanismen hin. Dazu zählen die Immunantworten der Zellen, die Funktion der Mitochondrien oder die Autophagie. Insbesondere die Aktivität und Netzwerke der sogenannten Processing Bodies, die die RNA regulieren, scheinen von reduzierten PURA-Spiegeln stark und vielfältig beeinflusst zu sein. „Unsere Hoffnung ist, dass unsere beiden Labore mit der Lösung des molekularen Puzzles einen ersten Schritt in Richtung zukünftiger Therapie-Ansätze gemacht haben“, so Niessing.
Bis zu wirksamen Therapien sei es jedoch noch ein langer Weg. In weiteren Studien müsse zunächst geklärt werden, welche dieser Abnormalitäten die schwerwiegenden Symptome der Patienten tatsächlich verursachen. Niessing verweist zudem auf Ähnlichkeiten zu anderen neuronalen Entwicklungsstörungen, wie dem Angelman-, Pitt-Hopkins- oder Rett-Syndrom, weshalb seine Erkenntnisse auch für diese Erkrankungen wichtig sein könnten.
Dieser Text beruht auf einer Pressemitteilung der Universität Ulm. Hier findet ihr die Originalpublikation.
Bildquelle: Sigmund, unsplash.