Mit Licht Medikamente einfach an- und abschalten – das klingt nach Zukunftsmusik, ist aber bereits Wirklichkeit. Wie der Mechanismus funktioniert und was das für die Krebstherapie bedeutet, lest ihr hier.
Die Photopharmakologie könnte dabei helfen, Leiden wie Krebs effektiver als bisher medikamentös zu behandeln. Photopharmakologische Medikamente sind mit einem molekularen Lichtschalter versehen. Der Wirkstoff wird mit einem Lichtimpuls erst dann aktiviert, wenn er an der Stelle im Körper angekommen ist, wo er wirken soll. Wenn seine Aufgabe erledigt ist, lässt er sich zudem mit einem anderen Lichtimpuls wieder ausschalten. Damit könnten sich mögliche Nebenwirkungen einschränken und die Entstehung von Resistenzen reduzieren lassen – etwa gegenüber Antibiotika.
Um sie lichtsensibel zu machen, wird herkömmlichen Wirkstoffen ein Schaltermolekül eingebaut, das auf Licht reagiert. Für ihre Untersuchung haben Forscher um die Studienerstautoren Maximilian Wranik und Jörg Standfuss den Wirkstoff Combretastatin A-4 verwendet, der aktuell in klinischen Studien als Mittel gegen Krebs getestet wird. Er bindet an das Protein Tubulin, aus dem sich die Mikrotubuli zusammensetzen. Diese bilden quasi das Grundgerüst einer Körperzelle und treiben außerdem die Zellteilung voran. Combretastatin A-4 (CA4) destabilisiert die Mikrotubuli und kann so die unkontrollierte Teilung von Krebszellen eindämmen, also das Tumorwachstum bremsen.
Das modifizierte CA4-Molekül ist um eine Brücke aus zwei Stickstoffatomen ergänzt, die es besonders lichtaktiv macht. Im inaktivierten Zustand hält die sogenannte Azobrücke die Molekülbestandteile, die sie verbindet, gestreckt zu einer länglichen Kette. Auf den Lichtimpuls hin biegt sich die Verbindung und bringt beide Kettenenden näher zueinander – wie ein Muskel, der sich reflexartig zusammenzieht und dabei ein Gelenk beugt. Das Entscheidende dabei: In der lang gestreckten Form passt das Molekül nicht in die Bindetaschen des Tubulins. In der gebeugten Form jedoch passt es gut hinein – wie ein Schlüssel ins Schloss. Derartige Moleküle, die in entsprechende Bindetaschen passen, werden auch als Ligand bezeichnet.
Die Vorgänge, das zeigt nun die neue Studie, gehen aber weit über das einfache Schlüssel-Schloss-Prinzip hinaus: „Anders als es in den Lehrbüchern steht, verhalten sich sowohl der Schlüssel als auch das Schloss dynamisch und ändern ständig ihre Form“, sagt Maximilian Wranik. „Das gesamte Protein ist alles andere als statisch.“ Oft sind die Bindetaschen nur halb geöffnet, der Ligand bleibt nur kurz hängen und löst sich wieder, bevor er seine Wirkung voll entfalten kann. Oder es geschieht ein sogenannter induced fit, nach dem Motto: „Was nicht passt, wird passend gemacht“.
Der Ligand verformt die Tasche so, dass er sich darin gut einrichten und länger dort aufhalten kann. Die Forscher haben nun quasi gefilmt, wie sich der Ligand in der Bindetasche nach dem Ausschalten wieder von der gebogenen in die gestreckte Form verwandelt und wie die Tasche sich an diese Form bis zu einem gewissen Grad anpasst, bevor der Ligand sich wieder löst. Danach fällt die Bindetasche in sich zusammen und bildet sich mit der Zeit von selbst wieder neu.
Klar ist: Je besser der Ligand passt, desto länger bleibt er angedockt. Jedenfalls bietet die genaue Kenntnis dieser Vorgänge, die nun erstmals sichtbar gemacht wurden, die Möglichkeit, neue Wirkstoffe passgenauer zu gestalten, sodass sich Bindedauer und damit die Wirksamkeit eines Medikaments verbessern lässt.
Die Vorgänge spielen sich allerdings auf atomarer Ebene binnen Millisekunden ab. Um sie dennoch zu beobachten, haben die Forscher die ultrapräzisen Großforschungsanlagen des Paul Scherrer Instituts (PSI) verwendet. Die Synchrotron Lichtquelle Schweiz (SLS) und der Schweizer Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL ermöglichen es, in den winzigen Zeit- und Größenskalen nicht nur einzelne Aufnahmen, sondern ganze Bilderserien anzufertigen, die sich zu einem Film montieren lassen. „Wir haben neun Schnappschüsse zwischen einer Nanosekunde und 100 Millisekunden nach dem Ausschalten des Wirkstoffs gemacht“, sagt Projektleiter Jörg Standfuss. In diesem Zeitraum spielen sich die photobiologisch relevanten Vorgänge ab. Unter anderem analysierte sein Team die Struktur der beteiligten Moleküle bis in den atomaren Bereich auf 100 Femtosekunden beziehungsweise eine Zehntelbillionstel Sekunde genau.
Die Möglichkeit, photoaktive Wirkstoffe bei der Arbeit zu filmen, eröffnet aber auch innerhalb der Medizin die Chance, viele weitere wichtige Erkenntnisse zu gewinnen: „Natürlich wollen wir uns ebenfalls den genauen Ablauf nach dem Anschalten des Wirkstoffs ansehen“, sagt Standfuss. „Das ist allerdings etwas komplizierter – daher gehen wir das erst im nächsten Schritt an.“
Außerdem betrachtet die Studie nur eine von vielen bekannten Bindetaschen des Tubulins. Und schon diese eine dient nicht nur Krebsmedikamenten als Andock-Station. Auch die Wirkstoffe Colchicin, das gegen Gicht und andere entzündlich-rheumatische Erkrankungen eingesetzt wird, und der noch in Entwicklung befindliche neue Covid-19-Arzneistoff Sabizabulin binden an die gleiche Tasche. Man könnte mit der neuen Methode also auch andere Wirkstoffe oder andere Taschen betrachten.
Die Hoffnung sei, dass sie der klinischen Forschung helfen wird, für verschiedenste Erkrankungen wirksamere Therapien zu entwickeln, sagt Standfuss. „Mithilfe unserer Großforschungsanlagen wollen wir der Strukturbestimmung von Wirkstoffen eine neue zeitliche Dimension eröffnen, um sie noch besser verstehen und optimieren zu können.“
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Paul Scherrer Instituts (PSI). Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Yung Chang, unsplash