Furchteinflößende Erfahrungen sind tief im Gedächtnis verankert. Das Bindungshormon Oxytocin hemmt das Angstzentrum im Gehirn und lässt Furchtreize stärker abklingen. Damit könnte eine neue Möglichkeit zur dauerhaften Extinktion von Angststörungen gefunden sein.
Große Angst gräbt sich tief ins Gedächtnis ein. Zum Beispiel fällt es nach einem Autounfall schwer, wieder im Straßenverkehr zurechtzukommen - schon quietschende Reifen können starke Angst hervorrufen. Wissenschaftler sprechen dann von „Konditionierung“: Bestimmte Bilder oder Geräusche sind im Gehirn mit der Erfahrung von Schmerz oder Furcht sehr stark verknüpft. Erst allmählich lernt man, dass nicht jeder quietschende Reifen Gefahr bedeutet. Dieses aktive Überschreiben im Gedächtnis wird als „Extinktion“ bezeichnet. „Die ursprünglichen Gedächtnisinhalte werden dabei aber nicht ausradiert, sondern nur durch positivere Erfahrungen überlagert“, erläutert Prof. Dr. Dr. René Hurlemann von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bonn. Kommt es erneut zu gefährlichen Situationen, flammt die schon überwunden geglaubte Angst häufig wieder auf. Extinktion wird vielfach in der Therapie von Angststörungen angewendet. Wer zum Beispiel unter einer Spinnenphobie leidet, wird schrittweise mehr und mehr mit Spinnen konfrontiert. Zuerst muss der Patient etwa Fotos von Spinnen betrachten, dann lebende Exemplare ansehen bis er schließlich eine Vogelspinne auf die Hand nimmt. Wenn Menschen mit einer Angststörung möglichst häufig die Erfahrung machen, dass sie keine Angst vor dem Auslöser haben müssen, reduziert sich ihre Furcht. „Dies kann aber sehr lange dauern, weil diese Konfrontation mit der Angstsituation häufig erlebt werden muss. Außerdem kann es zu Rückfällen kommen, weil die ursprüngliche Angstspur noch im Gedächtnis verankert ist“, berichtet Prof. Hurlemann. Therapeuten suchen deshalb nach einer Möglichkeit, wie schneller und dauerhafter ein „Überschreiben“ des Angstgedächtnisses erfolgen kann.
Vom Hormon Oxytocin ist seit Längerem bekannt, dass es nicht nur in der Mutter-Kind-Beziehung und bei Sexpartnern eine bindungsfördernde Wirkung hat, sondern dass es auch als angstlösend gilt. Seinen hilfreichen Effekt beim Überschreiben von Angsterfahrungen konnten nun die Wissenschaftler der Bonner Uniklinik für Psychiatrie und Psychotherapie zusammen mit ihren Kollegen des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg und der Universität Chengdu (China) nachweisen. „Oxytocin verstärkt tatsächlich die Extinktion: Unter seinem Einfluss klingt die Erwartung eines erneuten Angstereignisses im Verlauf stärker ab als ohne diesen Botenstoff“, fasst Studienleiter Prof. Hurlemann das Ergebnis zusammen. Das Wissenschaftlerteam führte bei insgesamt 62 männlichen, gesunden Probanden eine Angstkonditionierung herbei. Im Hirnscanner betrachteten die Testpersonen über eine Videobrille Fotos, zum Beispiel von menschlichen Gesichtern. Bei 70 Prozent der Bilder wurde ihnen über Elektroden an der Hand ein sehr kurzer, unangenehmer Elektroschock versetzt. „Auf diese Weise wurden im Gedächtnis der Testpersonen bestimmte Bilder mit einer Angsterfahrung verknüpft“, erläutert Prof. Hurlemann. Dass die Paarung aus einem bestimmten Foto und Schmerz tatsächlich im Gehirn der Probanden verankert war, wiesen die Wissenschaftler mit zwei Methoden nach: Die Elektroschockerwartung zeigte sich durch vermehrten Angstschweiß, der über die Hautleitfähigkeit gemessen wurde. Außerdem bewiesen die Hirnscans, dass immer dann die Angstregionen im Gehirn besonders aktiv waren.
Der Hälfte der Probanden wurde über ein Nasenspray Oxytocin verabreicht. Der Rest bekam ein Placebo. Dann begann die Phase der Extinktion, in der die Testpersonen mehrfach die gleichen Bilder wie zuvor zu sehen bekamen, aber keine Elektroschocks mehr auftraten. Bei den Männern unter Oxytocin-Einfluss war die Amygdala als das Angstzentrum im Gehirn insgesamt deutlich weniger aktiv als bei der Kontrollgruppe, furchthemmende Regionen waren hingegen erregter. Im Zeitverlauf führte der Botenstoff dazu, dass die Angst zunächst etwas größer war, dann aber viel stärker abklang als ohne Oxytocin. Die Wissenschaftler erklären dies durch die spezielle Wirkung des Botenstoffs: „Oxytocin verstärkt zunächst die bewussten Eindrücke der Probanden und damit die Reaktion auf die Elektroschocks, doch nach wenigen Minuten überwiegt die angstlösende Wirkung“, erläutert Prof. Hurlemann. Die Wissenschaftler hoffen, dass mit Hilfe des Oxytocins Angstpatienten schneller geholfen und ein Rückfall besser verhindert werden kann. Zudem fördere das Hormon wahrscheinlich die Bindung zwischen Therapeut und Patient und damit den Erfolg der Behandlung, vermuten die Forscher. „Doch das müssen erst noch klinische Studien erweisen“, sagt der Wissenschaftler der Bonner Uniklinik. Originalpublikation: Oxytocin Facilitates the Extinction of Conditioned Fear in Humans Monika Eckstein et al.; Biological Psychiatry, DOI: 10.1016/j.biopsych.2014.10.015, 2014