Jahrzehntelang waren sie nur Sextoys – doch Vibratoren können mehr. Ein Blick in die Literatur offenbart überraschende Ergebnisse.
Elektrisch betriebene Vibratoren tauchen ab den 1880er Jahren als Medizinprodukte in zahlreichen Veröffentlichungen auf, ohne jeden Zusammenhang zur Erotik. Als Pionier gilt der britische Arzt Joseph Mortimer Granville (1833–1900). Er dachte, Vibrationen könnten das menschliche Nervensystem antreiben und neurologische Erkrankungen heilen.
Ärzte haben Vibratoren auch bei Kopf- oder Magenschmerzen eingesetzt, jedoch ohne durchschlagenden Erfolg. Hysterie, Arthritis, Verstopfung, Amenorrhoe, Entzündungen und Tumoren waren weitere Einsatzgebiete. Wissenschaftliche Erkenntnisse setzten solchen Experimenten bald ein Ende.
Ab den 1920er Jahren wurde es in der Medizin recht still um Vibratoren. Wissen um Anatomie und Gynäkologie schritten schnell voran; die Geräte halfen mehr und mehr, um Lust zu bereiten. Und ab Ende der 1960er Jahre ging es mit den Verkäufen langsam nach oben. Ingenieure ließen sich ab 1966 die ersten batteriebetriebenen Geräte für Spiel, Spaß und Spannung patentieren. Damit ist die wechselvolle Geschichte noch lange nicht zu Ende.
Alexandra Dubinskaya vom Cedar-Sinai Medical Center in Los Angeles machte sich zusammen mit Kollegen auf die Suche nach evidenzbasierten Aussagen zur Wirksamkeit der Toys. Die Forscher haben eine systematische Literaturrecherche in PubMed, Embase und MEDLINE bis März 2021 durchgeführt. Schlüsselbegriffe waren Sexspielzeug Frau, Beckenvibrator, Vibrator zur sexuellen Stimulation, Vaginalvibrator, Vibrator Beckenboden, Vibrator Inkontinenz und Vibrator für vulväre Schmerzen.
Insgesamt fand das Team 586 Artikel. 17 methodisch hochwertige Originalstudien wurden eingehend geprüft. Es gab acht Studien zur sexuellen Funktion, acht zur Beckenbodenfunktion und eine zu Vulvaschmerzen.
Ein Blick auf Details. Laut einer Umfrage haben 53 Prozent von 3.800 Frauen bereits Vibratoren eingesetzt. Rund 83,8 Prozent nutzten sie zur Stimulation der Klitoris, und 64 Prozent zur Stimulation der Vagina. Bei ihrer Analyse fanden die Forscher Hinweise auf eine Vielzahl von Effekten.
Die Geräte erleichtern die Vasodilatation und den Blutfluss in den Beckenbodenmuskeln. Dies könne, so die Autoren, das Dehnen und Verkürzen von Muskelgruppen fördern und die Stoffwechselrate in Skelettmuskeln erhöhen. Eine bessere Durchblutung sei denkbar. Die Verwendung von Vibratoren verkürzte auch die Zeit bis zum Orgasmus und erleichterte multiple Orgasmen. Stimulationen dieser Art korrelieren mit erhöhtem sexuellem Verlangen, mit mehr Befriedigung und mit besseren sexuellen Funktionalitäten.
Bei den eingeschlossenen Studien zur Wirkung auf den Beckenboden fanden Wissenschaftler zwei Hauptthemen: die Harninkontinenz und die Kräftigung der Beckenbodenmuskulatur. Beispielsweise war die intravaginale Vibrationsstimulation der intravaginalen Elektrostimulation überlegen, um die Beckenbodenmuskulatur zu kräftigen. Trainierten Frauen vier bis sechs Wochen regelmäßig, verringerte sich der unkontrollierte Harnverlust um bis 92 Prozent.
Eine kleine Studie mit 49 Frauen, die an Vulvodynie litten und Vibratoren jeden Tag mehrere Minuten lang eingesetzt haben, lieferte ebenfalls Hinweise auf den Nutzen. Insgesamt 73 Prozent der Frauen berichteten über weniger Schmerzen und 74 Prozent gaben ein gesteigertes sexuelles Vergnügen an. Zuvor beschrieben die Teilnehmerinnen brennende Schmerzen im Bereich des Venushügels, der Schamlippen und der Klitoris.
Alles in allem seien weitere Studien erforderlich, so das Resümee von Dubinskaya und Kollegen. Trotz offener Fragen stellen die Autoren klar: Vibratoren sind nicht nur Sexspielzeuge, sondern therapeutische Geräte. Und das, so betonen sie, deute darauf hin, dass es an der Zeit für Ärzte sei, ihren Patientinnen Vibratoren zu verschreiben.
Ob sich Krankenkassen über neue Medizinprodukte freuen, ist fraglich. Hinzu kommt: Apotheken in Deutschland dürfen keine Vibratoren verkaufen; diese zählen laut Gerichtsurteil nicht zum üblichen Sortiment.
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