Kaum verstanden, oft übersehen, schwer zu behandeln: Die Endometriose ist das Stiefkind unter den Frauenleiden. In 100 Jahren Forschung ist wenig passiert. Eine neue Therapie setzt an einem zentralen Pathomechanismus an.
Wie viel Wertschätzung die medizinische Zunft einer Erkrankung entgegenbringt, erkennt man unter anderem daran, ob es eine S3-Leitlinie gibt oder nicht. Bei der Endometriose ist das nicht der Fall. Immerhin: Eine S2k-Leitlinie wird unter Federführung der gynäkologischen Fachgesellschaften Deutschlands, Österreichs und der Schweiz seit 2006 erstellt und regelmäßig aktualisiert. 2006 war die Endometriose aber auch schon 146 Jahre lang entdeckt. Die aktuelle Version 4.0 der Leitlinie gilt formal noch bis Ende August 2023.
Dass die Endometriose stiefmütterlich behandelt wird, hat mehrere Gründe. Einer ist, dass die therapeutischen Möglichkeiten begrenzt sind und die Behandlungen, die es gibt, allesamt schon länger existieren. Ein anderer Grund ist fehlendes Wissen um die Mechanismen der Erkrankung. Zwar steht in jedem Lehrbuch, dass bei der Endometriose endometriumartiges Gewebe an Stellen auftritt, an denen es nichts zu suchen hat und dort zu zyklusabhängigen, entzündlichen Verwerfungen führt, die chronifizieren können. Warum das aber passiert, ist weitgehend unklar. Und wie auf molekularer Ebene der Weg vom ektopen Gewebe über Regelbeschwerden hin zur klinisch manifesten, chronisch-schmerzhaften Endometriose verläuft, auch das ist bisher nur in Ansätzen bekannt.
Die gravierenden Wissenslücken bei der Endometriose führten u. a. dazu, dass noch immer im Schnitt sechs bis sieben Jahre vergingen, bevor eine Endometriose als solche diagnostiziert werde, schreiben Ludovica Imperiale und Kollegen von der Universität Brüssel in einer aktuell im Journal of Clinical Medicine publizierten Übersichtsarbeit. Unter anderem herrsche immer noch vielfach die Auffassung vor, dass die Endometriose nur laparoskopisch diagnostiziert werden könne. Das sei in dieser Pauschalität aber nicht richtig. So betont die Best Practice Leitlinie Endometriose der European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE), dass eine bildgebende Diagnose zumindest bei einigen Patientinnen ausreichend sei.
Die Belgier versuchen in ihrem Artikel, ein bisschen Struktur in die Erkrankung zu bringen. Höchste Zeit, denn gute Review-Artikel, die die drei Ausprägungsformen der Endometriose überblicksartig zusammenfassen, gibt es praktisch nicht. Die peritoneale Endometriose ist mit einem Anteil von 15 % bis 50 % aller Patientinnen eine der beiden häufigsten Unterformen. Sie beginnt mit stark vaskularisierten roten Läsionen, die ein aktives Entzündungsgeschehen widerspiegeln. Diese roten Läsionen gehen über in schwarze Läsionen, also Läsionen einer fortgeschrittenen Erkrankung, und schließlich weiße Läsionen, die als abgeheilte Endometriose-Herde interpretiert werden.
Wie entstehen peritoneale Endometriosen? Eine Möglichkeit ist die so genannte retrograde Menstruation, die allerdings recht häufig ist und keineswegs immer zu einer Endometriose führt. Möglicherweise gibt es (genetische?) Cofaktoren, die das Anwachsen ans Peritoneum in solchen Fällen begünstigen. Denkbar sei aber auch ein völlig anderer Weg, eine echte Metaplasie, bei der sich peritoneales Mesothel in endometriales Drüsengewebe umwandelt. Für die Diagnose der peritonealen Endometriose sei eine Laparoskopie weiterhin zwingend, so Imperiale und Kollegen. Sowohl transvaginaler Ultraschall als auch MRT-Untersuchung mit 3-Tesla-Geräten erreichten in Pilotstudien zwar eine gute Spezifität, doch hapere es noch an der Sensitivität.
Die zweite Endometriose-Form, die ovarielle Endometriose, kommt ähnlich oft vor. Sie ist vor allem bei Frauen, die sich einer Infertilitätsbehandlung unterziehen, ein extrem häufiger Befund. Typisch sind ovarielle Zysten, die von Endometrium ausgekleidet sind. Auch hier ist letztlich unklar, warum und wie sie entstehen. Diese Form der Endometriose lasse sich nichtinvasiv mit transvaginalem Ultraschall oder MRT abschließend diagnostizieren, so die Experten.
Die dritte Form ist die tief infiltrierende Endometriose, die etwa ein Fünftel aller Fälle ausmacht. Sie tritt im Dickdarm, aber auch an Orten wie Blase, Vagina oder diversen Bandstrukturen im kleinen Becken auf. So variabel wie die Lokalisation ist der klinische Phänotyp und entsprechend schwierig gestaltet sich die Diagnose.
Prinzipiell stehen für die Therapie bei Endometriose medikamentöse und operative Therapien zur Verfügung, beides keine kausalen Therapien im engeren Sinne, sofern nicht das (häufig Rezidive nach sich ziehende) chirurgische Resezieren von Läsionen als kausal angesehen wird. Da die Endometriose gemäß derzeitigem Verständnis eine Östrogen-abhängige, chronische Entzündungsreaktion ist, sind Hormone eine naheliegende und gut etablierter Therapieoption. Die Hormontherapie basiert auf der Induktion einer „therapeutischen Amenorrhoe“, wie es die S2k-Leitlinie nennt.
Anzustreben sei eine langfristige und ununterbrochene Therapie, die, wenn sie erfolgreich gelingt, zuverlässig zu einer Reduktion Endometriose-assoziierter Beschwerden führe. Die Wirkung besteht in einer Verringerung der Proliferation des ektopen Endotheliums. Möglich sind systemische Therapien mit entweder GnRH-Antagonisten oder oralen Gestagenen. Beides führt über den Hypothalamus-Hypophysen-Regelkreis zu einem generellen Hypoöstrogenismus, was wiederum die Endometriose-Läsionen verkleinert und ihre Aktivität reduziert. Lokale Hormongaben, etwa via Intrauterinpessar, wirken dagegen auf Schleimhautebene.
Offiziell zugelassen für die Hormontherapie bei Endometriose sind in Deutschland nur das Gestagen Dienogest sowie meist injizierte GnRH-Antagonisten. Die S2k-Leitlinie empfiehlt Dienogest als Erstlinientherapie. In den USA gibt es seit 2018 den oralen GnRH-Antagonisten Elagolix, der aber in Europa nicht regulär erhältlich ist. Off-label, aber klinisch effektiv ist außerdem der Einsatz kombinierter oraler Kontrazeptiva. Grundproblem aller Hormonbehandlungen sind die Nebenwirkungen bei der (in der Regel nötigen) Dauertherapie. GnRH-Antagonisten führen zu klimakterischen Beschwerden und reduzieren die Knochendichte, entsprechend ist die maximale Therapiedauer begrenzt.
Jenseits der Hormone stehen medikamentös im Wesentlichen Analgetika zur Verfügung. Außerdem sind Operationen bei Endometriose-Herden effektiv, die der Exzision bzw. Ablation zugänglich sind. Die Chirurgie – Laparotomie oder Laparoskopie – funktioniert gut bei der peritonealen Form. Bei der infiltrativen Form kann sie deutlich schwieriger und, je nach anatomischer Lage, komplikationsträchtiger sein. Gefährdet sind u. a. häufig die Nerven, die die Blase versorgen.
Japanische Wissenschaftler, die mit dem Unternehmen Chugai assoziiert sind, berichten jetzt in der Zeitschrift Science Translational Medicine über einen völlig neuen Ansatz der medikamentösen Endometriose-Therapie, der weder eine Hormontherapie ist, noch direkt analgetisch wirkt. Die Wissenschaftler um Ayaki Nishimoto-Kakiuchi haben sich anhand von Gewebeproben erkrankter Frauen genauer angesehen, was in den Endometriose-Läsionen im Zeitverlauf molekular passiert. Und sie fanden einen ausgeprägten Fibrosierungsprozess, der zu Verwachsungen und Adhäsionen führt, die wiederum mit klinischen Beschwerden korrelieren. Ein wichtiges Effektormolekül dieser Fibrosierung scheint Interleukin-8 zu sein, das in Endometriose-Herden stark hochreguliert wird. Es lockt u. a. neutrophile Granulozyten an, die wiederum über das Zytokin MCP-1 Makrophagen herbeiholen, die die Fibrogenese vorantreiben.
Die Fibrosierung gilt als ein Pathomechanismus, der bei der Endometriose über Verwachsungen und Vernarbungen zu klinischen Beschwerden führt. Eine Blockaade von Interleukin-8 könnte das Einwandern von Neutrophilen unterbinden und so die durch MCP-1 vermittelte Fibrosierung ausbremsen. Credit: Nishimoto-Kakiuchi A et al.Dieser Prozess scheint sich mit Antikörpern gegen Interleukin-8 recht effektiv blockieren zu lassen. Die japanischen Forscher konnten das zunächst in In-vitro-Experimenten zeigen. Sie starteten dann eine Behandlungsserie in Rhesusaffen mit sowohl spontaner als auch chirurgisch induzierter Endometriose. Mit beidem betraten sie weitgehend Neuland: Ein gutes, menschennahes Krankheitsmodell für die Endometriose gab es bisher nicht, was ein wesentlicher Hemmschuh für die Entwicklung krankheitsmodifizierender Therapien war.
Im Zuge ihrer Behandlungsreihe entwickelten die japanischen Pharmaforscher ihren Anti-IL-8-Antikörper in Richtung höhere Potenz und längere Wirksamkeit weiter. Am Ende stand ein Molekül mit dem Kürzel AMY109, das einmal im Monat subkutan injiziert werden kann und die Läsionsgröße reduziert sowie Fibrosierung und Ausbildung von Adhäsionen in den Affenmodellen effektiv verhindert. Im humanen In-vitro-Modell konnte zudem der gewünschte, supprimierende Effekt auf die stark erhöhte IL-8-Expression demonstriert werden. Aufbauend auf diesen ermutigenden Daten haben die Japaner eine frühe klinische Studie mit Freiwilligen gestartet, deren Ergebnisse bald vorliegen sollen. Vielleicht ist das wirklich der erste Schritt in Richtung dringend gesuchter, krankheitsmodifizierender Endometriose-Therapien. Zeit wäre es.
Quellen
S2k-Leitlinie Endometriose, AWMF-Reg.-Nr.: 015-045.
Imperiale L et al., Three Types of Endometriosis: Pathogenesis, Diagnosis and Treatment. State of the Art. J. Clin. Med. 2023, 12 (3): 994.
Nishimoto-Kakiuchi A et al., A long-acting anti–IL-8 antibody improves inflammation and fibrosis in endometriosis. Sci. Transl. Med. 2023.
Bildquelle: Artur Aldyrkhanov, Unsplash