Seit über 30 Jahren wird an der DNA herumgeknetet: Genome-Editing sorgt in der Medizin für erstaunliche Erfolge, immer mehr Krankheiten lassen sich auf diese Weise behandeln. Wird der Eingriff ins Genom traditionelle Therapiemethoden ablösen? Wo ziehen Ärzte die Grenze?
Am 14. September 1990 erreichte die Gentherapie zum ersten Mal in der Geschichte die Klinik. Damals wurde am National Instituts of Health in den USA ein vierjähriges Mädchen mit der seltenen kombinierten Immundefizienz (SCID) behandelt. Durch einen Mangel des Enzyms Adenosin-Desaminase (ADA) konnte jede Infektion für das Mädchen lebensbedrohlich werden. Die Ärzte entnahmen der Patientin Leukozyten und transfizierten diese mit dem korrekten Gen für ADA. Auf die anfängliche Euphorie folgte wenige Jahre später ein schmerzhafter Rückschlag, als der Amerikaner Jesse Gelsinger 1999 an einer Überdosis des Adenovirus-Vektors, Transportmittel für die DNA eines Leberenzyms, starb. Es sollte noch einmal rund 15 Jahre dauern, bis sich die Heilung mit Genen endgültig außerhalb des Forschungslabors etablierte. Doch die jüngsten Berichte lassen auf eine große Zukunft hoffen.
Die Experten waren sich einig über die im New England Journal publizierte Arbeit: Die erfolgreiche Studie an zehn Patienten mit Hämophilie B war ein ganz wichtiger Schritt zur Therapie der Krankheit ohne die regelmäßige und lebenslange Gabe von Gerinnungskonzentraten. Weitere Gentherapiestudien zu dieser Krankheit erschienen nur wenige Wochen zuvor ebenfalls im NEJM und in „Blood“. Noch ist nicht sicher, ob diese Fortschritte auf Dauer ganz ohne Nebenwirkungen zu haben sind. Dennoch illustriert diese Studie das, was viele als eine „molekularbiologische Revolution“ bei der Therapie von Erbkrankheiten – und nicht nur dort – ansehen. Wird der Eingriff ins Genom demnach in den nächsten Jahren traditionelle Therapiemethoden ablösen? Im letzten Jahr schätzten Gesundheitsmarkt-Fachleute das Potential der Gentherapie bis 2021 auf 21,5 Milliarden Dollar. Die Kosten für die derzeitige „State of the Art“-Behandlung der Bluterkrankheit liegen entsprechend den Daten der Krankenkassen bei 200.000 Euro und höher pro Jahr und Patient.Seit den ersten Versuchen am Menschen sind rund 2.500 klinische Gentherapie-Studien verzeichnet. Im August letzten Jahres ließ die amerikanische Arzneimittelagentur FDA zum ersten Mal eine Therapie mit gentechnisch veränderten Körperzellen zu: Tisagenlecleucel richtet sich gegen B-Zell-akute lymphatische Leukämie (B-ALL) und beruht auf T-Zellen mit einem chimären Rezeptor (CAR-T), der den Tumor effektiver angreifen soll. Mitte Oktober folgte dann eine zweite CAR-T-Zulassung für Axicabtagen Ciloleucel gegen Non-Hodgkin-Lymphome.
Drei Systeme zu Reparatur von DNA-Defekten kommen dabei zum Einsatz:
Bisher hat nur die somatische Gentherapie die Klinik erreicht, dort aber bereits zu beachtlichen Erfolgen geführt – in ganz unterschiedlichen Disziplinen. Bei der im August von der FDA abgesegneten Immuntherapie entnehmen die Ärzte den Patienten T-Zellen. Deren Antigenrezeptor erkennt danach – genetisch programmiert – CD19 auf den Tumorzellen. Zurück im Patienten verfügt das Immunsystem mit CAR-T nun über eine wesentlich schärfere Waffe gegen die entarteten Zellen. Schlagzeilen machte im November auch der Bericht über einen Patienten mit Morbus Hunter, einem Defekt im Kohlehydrat-Stoffwechsel. In den Zellen sammeln sich dabei toxische Produkte an und machen wöchentliche Injektionen mit dem Enzym Iduronat-2-Sulfatase notwendig. Trotz der Injektionen baut der Körper im Laufe der Zeit immer mehr ab. Viele Patienten sterben noch als Kinder an Atemwegsinfektionen oder Herzversagen. In diesem Fall fungiert eine Zinkfinger-Nuklease als Werkzeug, das ein harmloser Virus zusammen mit der korrekten Enzym-DNA in Leberzellen zu schleusen soll. Nur diese Zellen können das Schloss entsperren, mit dem die DNA-Schere gesichert ist. Wird sie aktiv, kann sie an die betreffende Zielsequenz im Albumin-Gen binden und es der Zelle ermöglichen, die korrekte DNA in den aufgeschnittenen Strang einzubauen und die fehlende Sulfatase zu produzieren. Einer europäisch-amerikanischen Gruppe gelang es, eine andere seltene Glykogenstoffwechselstörung, Morbus Pompe, zumindest im Maus- und Primatenmodell zu korrigieren. Ein modifizierter Adenovirus-Vektor transportiert dabei das Gen für die saure α-Glucosidsase in Hepatozyten, sodass der Spiegel dort um das drei- bis sechsfache ansteigt.
Weitere Schwerpunkte bei der Reparatur defekter Gene sind vor allem Mutationen, die Zellen mit einer hohen Replikationsrate betreffen. Damit ist gewährleistet, dass voll funktionierende Zellen schnell einen ausreichenden Titer im Körper erreichen. Insbesondere bei der Behandlung von genetisch bedingten Hautkrankheiten, Hämophilie A, bei der Sichelzellenanämie, neuromuskulären Krankheiten und AIDS gibt es beachtliche Erfolge. Epidermolysis bullosa führt schon im Kindesalter zu sehr schmerzhaften und derzeit kaum therapierbaren Wunden. Eine Mutation im Laminin ß3-Gen verhindert dabei die stabile Verankerung der Epidermis mit den übrigen Hautschichten. Blasen und Geschwüre sind die Folgen. Bei einem siebenjährigen Kind korrigierten Wissenschaftler aus Bochum und Modena das entsprechende Gen in Zellen einer kleinen Hautbiopsie in vitro mit der funktionierenden Sequenz, eingebaut in einen harmlosen Retrovirus, und vermehrten die entsprechenden Zellen. Dadurch züchteten sie Gewebe von einer Gesamtgröße von 0,85 m2 . 21 Monate nach der Reimplantation scheint der Junge komplett geheilt und seine Haut stressresistent gegen Infektionen und leichte Verletzungen.
Im März dieses Jahres veröffentlichte ein französisches Team einen erfolgreichen Behandlungsversuch bei einem Patienten mit Sichelzellenanämie. Ein Lentivirus transformierte dabei die hämatopoetischen autologen Stammzellen mit einem HbB Globin-Gen mit einer Polymerisations-hemmenden Mutation. 15 Monate nach der Transfusion lag der Sichelzellen-Anteil im Blut ähnlich niedrig wie bei der symptomlosen heterozygoten Mutter. Das New England Journal berichtete Ende Oktober über eine gelungene Studie an Patienten mit zerebraler Adrenoleukodystrophie, die zur Demyelinisierung von Nervensträngen führt und bisher nur durch eine allogene Stammzelltransplantation zu therapieren war. David Williams aus Harvard und ein internationales Team korrigierten das defekte ALD-Gen in Stammzellen ex vivo und gaben diese den Patienten zurück. Zweieinhalb Jahre später waren immer noch 15 von 17 Patienten symptomfrei. Bei einer seltenen Augenerkrankung, der Leber’schen kongenitalen Amaurose, ist die Therapie per Genom-Editing seit einigen Wochen von der FDA zugelassen. Damit ist sie die erste Gentherapie auf dem Markt, die, einmal angewendet, eine Erbkrankheit deutlich lindert. Die US-Firma setzt darauf, dass Erkrankte beziehungsweise deren Versicherung bereit sind, 850.000 $ dafür zu zahlen.
Neue Wege zur Korrektur von DNA-Mutationen geht eine Gruppe von Manuel Gonçalves an der Universität Leiden. Vorerst als Machbarkeitsstudie in der Zellkultur zeigte sie, dass es mit CRISPR/Cas9 gelingen könnte, auch multiple Mutationen der Muskeldystrophie Duchenne zu reparieren. Mit Hilfe eines eingesetzten kurzen DNA-Stücks konnte sie den verschobenen Leserahmen in der DNA-Sequenz wieder funktionstüchtig zu machen und die Zellen damit wieder zu einer ausreichenden Dystrophin-Proteinsynthese anregen. Sogar bei Infektionen könnten die Gentechniker dort helfen, wo andere Mittel versagen. In HIV-infizierten Zellen soll CRISPR/Cas9 die virale DNA aufspüren, gezielt zerschneiden und damit inaktivieren. Versuche an Primaten und klinische Phase-1 Studien dazu sind in absehbarer Zeit geplant. Daneben bemühen sich vor allem chinesische Labors darum, schon in embryonalen Zellen die zellulären Rezeptoren so zu verändern, dass das Virus bei einer Exposition von vornherein keine Chance mehr hat, dort anzudocken.
Damit sind Wissenschaftler jedoch schon weit in ethisch umstrittenes Gebiet vorgerückt. Mit der Therapie von Mutationen an embryonalen Zellen wird nicht nur die genetische Information des Betroffenen korrigiert, sondern auch die aller nachfolgenden Generationen. Eine chinesisch-amerikanische Zusammenarbeit führte zu erfolgreichen Experimenten, bei denen die Wissenschafter einen dominant vererbten Gendefekt für eine familiäre hypertrophe Kardiomyopathie reparierten. Das Team von der Universität in Portland/Oregon injizierte dabei CRISPR/Cas9 zusammen mit der defekten Spermien-DNA in gesunde Eizellen und bestimmte danach die Rate gesunder korrigierter Embryonen. Entgegen der erwarteten Rate von 50 Prozent besaßen 72 Prozent der befruchteten Eizellen das korrekte Gen – und zwar nicht die vorher markierte synthetische Reparatur-DNA. Anscheinend nutzte die Zelle die mütterliche DNA als Kopiervorlage bei der Rekombination. Ebensowenig fanden die Forscher Off-Target-Effekte, also den Einbau in eine andere als die Zielregion. Auch Mosaik-Blastomere mit einer Mischung von Wildtyp und und mutierten Zellen tauchten bei diesem Versuchsansatz nicht auf. Dennoch warnt Genomforscher Klaus Rajewski im Interview mit dem Science Media Center vor übertriebener Euphorie: „Letztlich führte damit die Genom-Editierungstechnik nach Mitalipov und Kollegen zwar zu rund 72 Prozent intakten Embryonen, dafür aber erkauft man sich in den verbleibenden fast 28 Prozent der Embryonen Reparatur-Defekte, weil in diesen das weniger präzise Reparatursystem NHEJ aktiviert wurde.“, so der Wissenschaftler vom Berliner Max-Delbrück-Zentrum. „Das wiederum hieße: Alle entstehenden Embryonen müssten bei einer praktischen Anwendung zuvor mittels Präimplantationsdiagnostik (PID) getestet und dann gegebenenfalls aussortiert werden. Das heißt aber eben praktisch, dass diese Methode der Geneditierung kaum einen Fortschritt gegenüber der klassischen PID mit sich bringt, sondern eher die Risiken erhöht.“ Inzwischen gibt es acht Studien zur Korrektur defekter DNA in embryonalen Zellen. Allein fünf davon wurden in der zweiten Hälfte dieses Jahre bekannt. Mit einer neuen Technik ersetzten chinesische Molekulargenetiker erstmals bei einer rezessiven Krankheit einzelne DNA-Basen und nicht komplette Abschnitte des Strangs. Bei der Korrektur einer ß-Thalassämie verändert das verwendete Enzym dabei nur die einzelnen Buchstaben, ohne die Doppelhelix zu schneiden. Um genug Material für den Versuch zu gewinnen, wandelte das Team von der Gunagzhou Universität Hautzellen betroffener Patienten in embryonale Klone für den in-vitro-Versuch um. Weit sicherer scheint es allerdings, nicht die DNA als dauerhaften Erbinformationsspeicher zu verändern, sondern die davon abgelesene RNA. Statt dem DNA-spezifischen Cas9-System ließ Feng Zhang in Harvard dabei die Ribonuklease Cas13b für sich arbeiten und veröffentlichte seine positiven Ergebnisse im Sommer vergangenen Jahres in Science.
Wird CRISPR/Cas9 schon in naher Zukunft zum Werkzeug, um gezielt Mängel im Erbgut – möglichst auch bei den Nachkommen auszumerzen? Während Wissenschaftler weltweit damit experimentieren, welche Veränderungen in der menschlichen DNA ohne allzu große Nebenwirkungen möglich sind, liegt der Ball immer mehr auf Seiten der Politik, die darüber richten soll, wie weit der Eingriff in Richtung „Optimierung“ des Genoms gehen darf. Die nationale Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, veröffentlichte im Frühjahr ein Diskussionspapier: „Ethische und rechtliche Beurteilung des genome editing an humanen Zellen.“ Demnach sollten nur verwaiste Embryonen der Forschung zur Veränderung des Genoms dienen. Ein Eingriff in die Keimbahn beim Menschen sei nur bei einem vertretbaren Risiko im Vergleich zur Schwere der Erbkrankheit zu vertreten. Der Deutsche Ethikrat schlägt eine internationale Konferenz auf Ebene der Vereinten Nationen vor. Sie soll global verbindliche Richtlinien und Sicherheitsstandards zum Editieren des menschlichen Erbguts festlegen. Schon vor zwei Jahren erlaubte die britische Aufsichtsbehörde HFEA die Forschung an gesunden Embryonen und Experimente mit dem CRISPR/Cas9 System. Allerdings sollten diese Embryonen nicht länger als sieben Tage in Kultur bleiben. Auch in den USA schlägt ein Dokument der Akademie der Wissenschaften, Technik und Medizin (NASEM) vor, Eingriffe am Keimbahn-Genom nur unter strenger Aufsicht zu erlauben. Dabei sollte es erlaubt sein, „Gene nur so zu verändern, dass sie mit deren überwiegenden Vorkommen in der Bevölkerung und mit genereller Gesundheit vereinbar sind.“ In Deutschland verbietet das Embryonenschutzgesetz Eingriffe in die Keimbahn. Die Sache hat allerdings einen Haken. Inzwischen lassen sich Stammzellen zu Keimzellen umwandeln. Weil diese künstlich generierten Keimzellen aber einen somatischen Ursprung haben, lassen sich damit auch Eingriffe in deren Genom rechtfertigen.
Auch ein anderes Problem bedarf dringend einer Regelung. Besonders in den USA gibt es inzwischen eine Hackerszene, die sich die einfache Anwendung von CRISPR/Cas9 zu Nutzen macht. Während Experimente mit fremder DNA immer nur mit Genehmigung unter Laborbedingungen erlaubt sind, sind Manipulationen an der eigenen DNA nicht verboten. Dementsprechend gibt es inzwischen Do-it-yourself-Kits, die es etwa möglich machen sollen, Myostatin zu blockieren, ein Gen, dass das Wachstum der Muskulatur begrenzt. In einer Stellungnahme wies die amerikanische Gesundheitsbehörde allerdings darauf hin, dass der Verkauf solcher Kits in den USA illegal sei. Inzwischen sind solche DNA-Bastel-Baukästen ihrs Schöpfers Josiah Zayner allerdings auch schon in Deutschland aufgetaucht. Das bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit warnte sogleich vor möglicherweise pathogenen Bakterien, die darin enthalten seien.
Auch wenn im Moment kaum zwei bis drei Wochen vergehen, ohne dass nicht eine neue Krankheit einen Therapiesprung durch Veränderung von beteiligten DNA-Sequenzen erfährt, gibt es doch wenig Daten über Langzeitaussichten dieser Reparaturmaßnahme. Können Gentherapeuten sicher sein, dass ihre Sequenz-Ersatzteile nicht doch an unpassender Stelle im Genom eingesetzt werden und dort unerwartete Effekte auslösen? Dass nicht der der virale Genvektor an kritischen Stellen in den DNA-Strang des Wirts integriert, oder die Nuklease dort schneidet, wo sie das eigentlich nicht tun soll? Außerdem wären da auch horrende Kosten, die manche Gentherapie für größere Patientenzahlen nahezu unbezahlbar machen. Nusinersen ist ein Antisense-Wirkstoff, der für Spinale Muskelatrophie zugelassen ist. Dabei hemmt das zur fehlerhaften RNA komplementäre Nukleotid die entsprechende Proteinsynthese in der Zelle. Die Vertreiberfirma Biogen verlangt für die Behandlung rund 750.000 $ im ersten Jahr und rund 375.000 $ für jedes folgende Jahr bis zum Lebensende. Kurz vor Weihnachten berichtete Nature über einen weiteren Erfolg mit Hilfe von CRISPR/Cas9. Zumindest im Mausmodell gelang es Forschern aus Harvard, eine genetisch bedingte Form des Gehörverlustes durch Austausch der entsprechenden mutierten Sequenz zu korrigieren. Das Mausmodell ahmt dabei den betreffenden Defekt im Menschen nach. Wenn sich der Erfolg auf den Menschen übertragen läßt, so sind die Forscher überzeugt, könnten als nächstes geeignete Therapien gegen weitere genetisch bedingte Formen von Blindheit folgen. Die „Molekularbiologische Revolution“ mit einfach zu bedienender DNA-Schere und dem Spürhund, der sie zielsicher an den gewünschten Ort bringt, könnte sich vielleicht schon in den nächsten Jahren zu einem Siegeszug quer durch die Medizin fortsetzen.