Der Hausarztvermittlungsfall: Klingt nach viel dröger Bürokratie – ist auch so. Echte Notfälle gehen dadurch im Alltag unter. Wie ich dieses ärztliche Dilemma erlebe, erfahrt ihr hier.
Ich komme gerade aus dem Kopfschütteln nicht mehr raus. Darüber, dass Patienten uns als Rezeptautomat benutzen, hatte ich ja schon mehrfach geschrieben (hier und hier nachzulesen). In den letzten Wochen kam aber das nächste Phänomen dazu: Die fachärztlichen Kollegen fordern von mir Bescheinigungen an. Genauer: einen Hausarztvermittlungsfall.
Kurz zum Hintergrund für diejenigen, die sich damit noch nicht so sehr beschäftigt haben: Zum Jahreswechsel ist die sogenannte Neupatientenregelung gefallen, die in den letzten Jahren dafür sorgen sollte, dass Patienten schneller einen Facharzttermin bekommen. An ihre Stelle trat die Regelung, dass Fachärzte eine extrabudgetäre Vergütung und einen Zuschlag bekommen, wenn wir als Hausärzte einen Termin für so dringend erachten, dass wir dafür bei den Fachärzten anrufen und einen Termin vereinbaren. Grundsätzlich ist das ja auch eine sinnvolle Regelung, weil uns das wirklich Zeit kostet, bei den Kollegen anzurufen und das Dazwischenschieben für die Facharztpraxis aufwendig (und damit ohne finanziellen Anreiz unattraktiv) wäre.
Jetzt gibt es aber die neue Regelung des Hausarztvermittlungsfalls – und wir haben jeden Tag Patienten bei uns sitzen, die eine reguläre (eben nicht dringende) Überweisung bekommen haben, zum Facharzt gehen und dort vor die Wahl gestellt werden: Termin in 6 Monaten oder vom Hausarzt eine Überweisung erfragen, wo Hausarztvermittlungsfall draufsteht. Der Patient kommt also direkt wieder zu uns und möchte das haben – und ich darf dann erklären, warum der Progress des grauen Stares, den der Patient seit Jahren hat, eben kein Notfall ist. Das ist meistens zeitaufwendig, da ich ja nicht einfach sagen kann „Nö, geht halt nicht“, weil ich dem Patienten deutlich machen muss, dass ich sein Leiden schon sehe. Denn da in dem Begriff „Hausarztvermittlungsfall“ kein Notfall vorkommt, fragen sich die Patienten natürlich, warum ich das nicht einfach so draufschreibe. Dabei war diese Regelung primär für Notfälle gedacht – deswegen sollen es ja auch bei den Fachärzten nicht mehr als 15 % der Fälle sein. Was also tun?
Die Schwierigkeit, die mir eine Facharztpraxis für Augenheilkunde (aus der wir die meisten Anforderungen für Hausarztvermittlungsfälle bekommen) schilderte, ist, dass bei ihnen zwei Faktoren zusammenkommen:
Laut Aussage der Kollegen ist es so, dass eben gerade so viele Vermittlungsfälle bei ihnen in die Praxis kommen, dass die regulären Termine in weite Ferne rücken. Gerade natürlich, wenn sie jetzt noch mehr Einzugsgebiet haben, weil die anderen Praxen zugemacht haben.
Mein Problem ist jetzt, dass ich zwar die Not der Fachärzte sehe, die einfach überschwemmt werden, aber ich auch Schwierigkeiten damit habe, einen Nicht-Notfall als Notfall zu bezeichnen, damit der Patient in unter 6 Monaten einen Termin bekommt. Denn wenn alle plötzlich Notfall sind, ist es faktisch niemand mehr und wir brauchen die Möglichkeit, die wirklichen Notfälle irgendwo kurzfristig ambulant behandeln zu können. Denn natürlich ist es auch nicht sinnvoll, eine stationäre Aufnahme nur damit zu begründen, dass der Patient sonst nicht innerhalb von sechs Monaten fachärztlich gesehen werden kann. Dann verschwende ich die stationären Ressourcen, was genauso kurzsichtig ist.
Akut weiß ich keine Lösung. Ich glaube, dass das Problem vielschichtig ist: Wir als Hausärzte müssten wieder alle Leistungen/Kontrollen selbst machen, die wir auch durchführen können (Schilddrüsen-, Abdomensonographien, etc.). Wir machen das in unserer Praxis, aber ich weiß, dass das nicht überall so ist und wir uns damit Kapazitäten bei den Fachärzten einfach verbauen. Es muss wieder besser möglich sein, mit den Patienten, die man versorgt, auch in Ruhe über ihre Beschwerden zu sprechen und ein gewisses Watchful Waiting durchführen zu können. Dann muss aber auch gewährleistet sein, im Notfall zeitnah einen Termin zu bekommen, denn so muss ich wegen der langen Wartezeiten dem Patienten früher raten, „schon mal einen Termin beim Facharzt zu machen“. Nur leider sagen die Wenigsten diesen dann wieder ab, auch wenn die Beschwerden nicht mehr so stark sind – und blockieren damit dann selbst wieder Termine.
Ich fürchte, so nett die Idee der Hausarztvermittlungsfälle gemeint war, sie löst die Probleme unseres Gesundheitssystems nicht wirklich. Ja, die Position des Hausarztes wurde gestärkt in den letzten Jahren. Aber wie man sieht, ist er immer noch nicht als Koordinator anerkannt, sondern als derjenige, der „mal eben den Überweisungsschein nach den Vorgaben ausfüllen soll“. Damit wird die Idee des primären Ansprechpartners aber ad absurdum geführt. Ja, wir müssten als Hausärzte diese Koordinationsfunktion auch aktiver ausfüllen – „mal eben zum Spezialisten überweisen“ geht halt auch nicht für alles und jedes.
Was mich interessieren würde: Kennt jemand aus anderen Ländern ein System, was besser funktioniert? Wir müssen ja nicht das Rad neu erfinden – wo klappt das besser? Und vor allem: wie? Denn so bedeutet leider auch dieser Ansatz für uns mal wieder mehr (Aufklärungs-)Zeit und Bürokratie, nicht weniger.
Bildquelle: Todd Turner, unsplash