Die ersten beschriebenen Bornavirus (BoDV-1)-Fälle in Deutschland traten nach Organtransplantationen auf.1-2 Der Organspender war zum Todeszeitpunkt neurologisch asymptomatisch und die Empfänger*innen waren nach der Transplantation entsprechend immunsupprimiert.2 Daraufhin untersuchten Studien die Häufigkeit von BoDV-1-Infektionen bei asymptomatischen und immunsupprimierten Patient*innen.3,4 BoDV-1-Infektionen waren insgesamt sehr selten.3,4 Wir stellen Ihnen Hintergründe zu BoDV-1 sowie die aktuellen Forschungsergebnisse vor.
Das klassische Bornavirus (Borna-Disease-Virus, BoDV-1) kommt natürlicherweise bei Feldspitzmäusen (Crocidura leucodon) vor allem in Endemiegebieten Bayerns, Baden-Württembergs (Nordosten), Sachsen-Anhalts, Sachsens (Westen) und Thüringens sowie Brandenburgs vor.1,5,6 Das Virus wurde bei Tieren auch bereits in der Schweiz (v. a. Alpenrhein), Liechtenstein und Österreich (v. a. Vorarlberg und Oberösterreich) nachgewiesen.1,5,6 Viren von infizierten Feldspitzmäusen werden vermutlich über Speichel, Urin und Kot übertragen.5 BoDV-1 ist schon seit Langem als Erreger der Borna’schen Krankheit bei Pferden, Schafen und anderen Säugetieren in Mitteleuropa bekannt.5
2018 wurden BoDV-1-Infektionen erstmalig beim Menschen nachgewiesen.1,5 Sie führten zu schweren und in den meisten Fällen letal verlaufenden Enzephalitiden.1,5 Das Robert Koch-Institut geht von jährlich ungefähr 5 bis 10 akuten Erkrankungen in Deutschland aus.5 Der Mensch infiziert sich vermutlich durch Kontakt zu infektiösen Ausscheidungen von Spitzmäusen (evtl. durch kontaminierte Lebensmittel oder Wasser) das Einatmen des Virus über kontaminierten Staub oder den direkten Kontakt, beispielsweise durch den Biss einer Spitzmaus.5 Eine direkte Übertragung von Mensch zu Mensch ist unwahrscheinlich mit Ausnahme der erwähnten Einzelfälle von Übertragungen durch Organtransplantationen.5Bei den bisher bekannten Patient*innen traten als erste Symptome Kopfschmerzen, Fieber und ein allgemeines Krankheitsgefühl auf.5 Anschließend entwickelten sich neurologische Symptome, wie Verhaltensauffälligkeiten und Sprach- und Gangstörungen.5 Die Infektionswahrscheinlichkeit ist insgesamt sehr gering.5
Die ersten beschriebenen BoDV-1-Fälle in Deutschland wurden nach einer Organspende diagnostiziert.1,2 Nach der Organtransplantation entwickelten die Empfänger*innen eine schwere Enzephalitis.2 2 der 3 Empfänger*innen verstarben.2 Sie erhielten Transplantate (Leber und Nieren) von demselben Spender.2 Laboruntersuchungen wiesen im Spender- und Empfängergewebe BoDV-1 nach.2 Organspender war ein 70-jähriger Mann aus Bayern, dieser war zum Todeszeitpunkt neurologisch asymptomatisch.2 Bisher sind nur wenige Daten verfügbar, ob BoDV-1 beim Menschen zu einer asymptomatischen Infektion führen kann.3 Die BoSOT-Studie (BoDV-1 after solid-organ transplantation) untersuchte menschliche BoDV-1-Infektionen und stellt die Frage, ob es asymptomatische, BoDV-1-positive Blutspender*innen oder Transplantationspatient*innen aus Endemiegebieten gibt.3
Die BoSOT-Studie wurde in einer endemischen Region in Süddeutschland mit bestätigten BoDV-1-Infektionen durchgeführt.3 Es wurden Blutproben von 3 Gruppen eingeschlossen:3
Serum-/Plasmaproben wurden mit verschiedenen serologischen Tests auf IgG-Antikörper gegen BoDV-1, Liquorproben mittels spezifischer RT-qPCR auf BoDV-1-RNA untersucht.3
Die Befunde der serologischen Tests der Blutspender*innen sowie der Transplantationspatient*innen waren negativ.3 Transplantationspatient*innen hatten im Vergleich zu Blutspender*innen kein erhöhtes Risiko für einen bestätigten serologisch positiven Befund.3 In der dritten Gruppe von neurologisch symptomatischen Patient*innen, für die von den behandelten Ärztinnen/Ärzten eine FMSE-Diagnostik angefordert worden war, wurde eine neue BoDV-1-Infektion festgestellt.3 Das Plasma/Serum sowie die Liquor-Probe eines komatösen Patienten mit schweren neurologischen Symptomen wurden positiv auf BoDV-1 (aber negativ auf FSME) getestet.3
Zusammenfassend gibt es bislang keinen eindeutigen Beweis für häufige asymptomatische BoDV-1-Infektionen.3 BoDV-1-Infektionen manifestieren sich primär als schwere Enzephalitis.3 Personen mit schweren neurologischen Symptomen, die eine endemische Region besucht haben oder dort leben, sollten bei der differentialdiagnostischen Abklärung einer unklaren Enzephalitis/Enzephalopathie auf BoDV-1 untersucht werden.3
Eine weitere Studie untersuchte die Häufigkeit von BoDV-1-Infektionen beim Menschen und ob Infizierte klinische Gemeinsamkeiten aufzeigten.4 Das Hirngewebe von 56 Enzephalitis-Patient*innen aus Bayern von 1999 bis 2019 wurde auf BoDV-1 getestet, sowie die klinischen und epidemiologische Daten der Patient*innen verglichen.4
Bei 8 neuen Enzephalitis-Fällen wurden BoDV-1-RNA sowie -Antikörper gefunden, nur 2 von ihnen waren Transplantationspatient*innen mit entsprechender Immunsuppression.4 Bei den 8 Betroffenen zeigte sich die Erkrankung zu Beginn mit Kopfschmerzen, Fieber und Verwirrtheit.4 Danach folgten neurologische Symptome.4 Die BoDV-1-Diagnose wurde bei 7 bereits bekannten Fällen aus Regensburg bestätigt.4 Die Erstdiagnosen fanden in demselben diagnostischen Zentrum statt, was auf eine mögliche Verbindung unter den Erkrankten hindeutete.4 Die BoDV-1-Sequenzanalyse zeigte jedoch, dass sich die Patient*innen unabhängig voneinander angesteckt haben.4
Die Autoren der Studie schlussfolgerten, dass sowohl immunsupprimierte als auch gesunde Personen in endemischen Regionen von BoDV-1-Infektionen betroffen sind.4 BoDV-1 kann zu tödlichen Zoonosen führen, daher sollten alle Enzephalitis-Fälle auf BoDV-1 getestet werden.4
Die Gesundheitsbehörden und das Robert Koch-Institut gehen davon aus, dass es sich bei den BoDV-1-Erkrankungen nach Organspende um sehr seltene Einzelfälle handelt.7 BoDV-1-Infektionen sind häufig symptomatisch und betreffen gesunde und immunsupprimierte Personen.3,4 Es ist von keinem neuen, spezifischen Risiko nach Transplantationen auszugehen.3,4,7
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