Private nicht-ärztliche MVZ-Investoren haben es schwer. Die Politik will sie bekämpfen, Verbandsvertreter verweisen auf fehlende Empirie und Polemik – wer hat die besseren Argumente?
Seit 2003 sind Medizinische Versorgungszentren ein fester Bestandteil der ambulanten Versorgung in Deutschland. Das damals wegweisende Konzept sollte gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: die teils lückenhafte Sicherung ambulanter Hilfe – besonders im ländlichen Raum –, eine Qualitätssicherung durch die Anbindung an Krankenhäuser, patienten- und arbeitnehmerfreundliche Öffnungszeiten sowie mehr Freiheiten für die Ärzteschaft durch die Ausweitung des Anstellungsverhältnisses in der Branche.
Wie jedes Konzept, das auf gegenwärtige strukturelle Probleme zugeschnitten wird, unterlagen auch die MVZ in den vergangenen 20 Jahren mehrfach regulatorischen Anpassungswellen – so auch heute. Doch das, was bereits unter Gesundheitsminister Spahn moniert wurde und unter Lauterbach mit klaren Worten und Bildern fortgeführt wird, ist ein ganz anderer Knackpunkt. Nämlich die Frage nach Träger- und Inhaberschaften sowie nach bestimmten Investorenmodellen und der Gefahr von Monopolbildungen.
Hintergrund der derzeitigen Debatte sind die Teilhaben bzw. Inhaberschaften von ambulanten Versorgern durch Private-Equity-Gesellschaften. Die Politik sieht hier eine zunehmende Gefahr einer Kapitalisierung des Gesundheitswesens und damit einhergehend eine Abkehr von der medizinisch notwendigen Versorgung bis hin zum Vorwurf eines künstlich geschaffenen Überangebots, insbesondere von hoch vergüteten operativen Eingriffen.
Wie weit das Vorgehen des Ministers gediehen ist, dem „Treiben der Heuschrecken“ einen Riegel vorzuschieben, ist ohne derzeitigen Referentenentwurf oder Eckpunktepapier nur schwer zu sagen. Klar ist nur Lauterbachs Plan, der bereits zu Weihnachten sehr medienwirksam verbreitet wurde.
Sollte der Tweet nicht angezeigt werden, bitte die Seite neu laden.
Konkreter wurde es nun vom Bundesverband der Betreiber Medizinischer Versorgungszentren (BBMV) und Verband Akkreditierte Labore in der Medizin (ALM). In einem gemeinsamen Memorandum stellen sie die andere Seite der Medaille vor. Ihr stärkster Punkt: Die Politik führt weniger eine offene Debatte als eine Kampagne. „Niemand mokiert sich darüber, dass es schon sehr, sehr lange private Kliniken gibt und im stationären Bereich, die auch großes Interesse daran haben, wirtschaftlich gut dazustehen. Das eine beklagt man, das andere nimmt man hin“, fasst Werner Köhler, Mitautor des Memorandums und ehemals Leitender Verwaltungsdirektor der Landwirtschaftlichen Krankenkasse Franken und Oberbayern in München, zusammen.
Doch auch auf Sachebene machen die MVZ-Vertreter Punkte: So fehle jedwede empirische Basis, um die Vorwürfe einer unnötigen ärztlichen Leistungsausweitung, unterschiedlicher Abrechnungen oder bestimmter Quotenerbringung zu stützen. Es könnten noch nicht einmal unterschiedliche Werte für ärztlich geführte oder nicht-ärztlich geführte private Kapitalgeber aufgezeigt werden.
Gleichzeitig unterstützen sie die politisch geforderte „deutliche Sichtbarkeit“ von Inhaberschaften der MVZ in Form eines Transparenzregisters – jedoch nicht ohne den förderlichen Hintergedanken, dass eben dann empirisch Vergleichbarkeit gewährleistet werden könne, die die gleiche Arbeit von ärztlich und nicht-ärztlich geführten MVZ bestätige. „Man muss mehr Fakten in die Diskussion bringen. Bisher kann man nicht sauber erfassen, wie die Zahlen von ärztlichen und nicht-ärztlichen Kapitalgebern hergeben. Da helfen keine Gutachten, die allenfalls sehr gute Schätzungen sind“, so Prof. Frank-Ulrich Fricke, Mitherausgeber des Memorandums und Professor für Gesundheitsökonomie an der Technischen Hochschule Nürnberg.
Auch den Vorwurf, dass sich entsprechend geführte Versorgungszentren auf bestimmte lukrative Eingriffe und Behandlungen konzentrieren, kontern die Verbände: So sei es einerseits die freie Wahl des Patienten, wo er zur Behandlung geht. Zum anderen sei doch eben jene Spezialisierung von Ärzten immer gefordert – besser zu werden, professioneller ausgerüstet zu sein in ihren Gebieten, um eben auch seltene Erkrankungen besser anzugehen. Auch dass diese potenziellen Eingriffe interdisziplinär behandelt und mehr Ärzte involviert werden, sei nicht nur gewünscht, sondern einfach leitliniengerecht. Ferner sei das „Verfolgen von Kapitalinteressen […] kein taugliches Argument zur Rechtfertigung. Kapitalinteressen werden nicht nur von nicht-ärztlichenKapitalgebern, sondern auch von Krankenhäusern und Vertragsärzten verfolgt“.
Darüber hinaus gehen die Vertreter in ihrem Memorandum auch auf andere Punkte ein, die seitens Politik gefordert wurden – und sich größtenteils in der Anfang Januar veröffentlichten Position der Bundesärztekammer wiederfinden.
Beispielsweise sei die Einschränkung im Gründungsrecht womöglich damit verbunden, dass es in „ländlichen Gebieten weniger attraktive Angebote für Ärzte gibt, im ambulanten Bereich tätig zu sein. Darüber hinaus könnte das Investitionsvolumen im ambulanten Bereich sinken.“ Beide Faktoren würden die Negativ-Spirale weitertreiben und die prekäre Situation der ambulanten Gesundheitsversorgung nur verschärfen.
Auch eine räumliche Beschränkung der Inhaberschaft – also die Bindung an lokale Kliniken – würde nur dazu führen, dass das Risiko der Selbstzuweisung steige. Dies wiederum würde die Patientenströme erneut in die Kliniken treiben; auch hier der Hamsterradeffekt, will man doch ebendies durch etliche Maßnahmen. Weiter heißt es: „Die Maßnahmen zur räumlichen und fachlichen Begrenzung von MVZ sind sowohl aus verfassungs- als auch aus europarechtlicher Perspektive zumindest fragwürdig. Die Einschränkung stellt einen Eingriff in die gemäß Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit dar, welcher aufgrund der aktuellen Datenlage weder als begründbar noch als verhältnismäßig einzuordnen ist. […] Ebenfalls verfassungsrechtlich problematisch ist die von der Bundesärztekammer vorgeschlagene zeitliche Beschränkung des Bestandschutzes für MVZ, die etwaigen neuen regulatorischen Anforderungen nicht mehr entspricht.“
Ähnlich kritisch blicken die Verbandsvertreter auf den Vorschlag, das Kartellrecht entsprechend anzupassen, um vermeintliche Monopolstellungen zu unterbinden. Die Politik schlägt eine Begrenzung auf 40 % der Arztsitze für eine einzelne Kette hin. Wo die Katze sich in den Schwanz beißt: Damit träfe man auch die ärztlichen Inhaber bzw. Ketten, die in einigen Regionen ebenfalls die magischen 40 % knacken.
Zurück zum Unmut über politische Entscheider. Überhaupt sei die durch Polemik leicht zu erzeugende Angst vor einer „Flut von Übernahmen“, Monopolstellung von privaten Ketten und Ähnlichem nur schwer zu verstehen. Zum einen habe zuletzt Anfang Januar das Ergebnis einer kleinen Anfrage an den Bundestag (durch die CDU) bestätigt, dass keine Evidenz für eine Gefährdung der Versorgung oder Einfluss auf ärztliche Entscheidungen durch private nicht-ärztliche Inhaberschaft vorliegt. Zum anderen geben die Zahlen dies nicht her – so sind 44 % der MVZ in ärztlichen Händen, 42 % von Krankenhäusern betrieben und lediglich 13 % in „sonstiger“ Inhaberschaft – Tendenz sinkend.
Nicht verschweigen können die Verbändler, dass in anderen Formen der MVZ, wie vornehmlich bei Zahnarztpraxen, tatsächlich höhere Einnahmen bei gleichen Behandlungen erfolgen. Warum dies so sein könne, erklären sie in ihrer Niederschrift: „Zahnärztliche MVZ erzielen im Durchschnitt etwas höhere Umsätze pro Behandlungsfall als andere Versorgungsformen und sind überproportional häufig in urbanen Räumen vertreten. Das könnte aber an den weniger strengen Zulassungsregeln in der zahnärztlichen Versorgung liegen.“
Es bleibt festzuhalten: Ein Verbot nicht-ärztlicher Investorenschaft bringt nicht nur weniger Geld in ein System, das dieses dringend benötigt, auch bestraft es an falscher Stelle und mit falscher bzw. nicht vorhandener Datengrundlage. Es bleibt also abzuwarten, ob Lauterbach offen ist für die Argumente der Memorandums-Seite und damit auch die Frage wie viele Weihnachten die nicht-ärztlichen Investoren noch feiern werden.
Bildquelle: Philip Veater, Unsplash