Führt die häufige Einnahme von Migränemitteln zu einer Chronifizierung des Kopfschmerzes oder führt schwerer Kopfschmerz zu mehr eingenommenen Medikamenten? Eine aktuelle Studie liefert wichtige Hinweise für die Arbeit mit Kopfschmerzpatienten.
Menschen, die wegen rezidivierender primärer Kopfschmerzen (z. B. Migräne oder Kopfschmerzen vom Spannungstyp) häufig Schmerzmittel einnehmen, können einen Medikamentenübergebrauchskopfschmerz (MOH) entwickeln. Dabei handelt es sich um eine eigenständige, sekundäre Kopfschmerzerkrankung, deren pathophysiologischen Mechanismen nicht vollständig geklärt sind. Sie umfassen eine gestörte Schmerzmodulation, zentrale Sensibilisierung und psychologische bzw. bio-behaviorale Faktoren. Auch genetische Aspekte werden diskutiert.
Letztendlich ist nicht geklärt, ob die häufige Einnahme von Schmerz-und Migränemitteln zu einer Chronifizierung von Kopfschmerzen führt oder ob sich zunächst die Kopfschmerzen verschlechtern und die Patienten deshalb mehr Schmerz- und Migränemittel einnehmen.
Obwohl ein MOH mit substanziellen Beeinträchtigungen und einer Reduktion der Lebensqualität assoziiert ist, wird die Diagnose zu selten gestellt – vor allem, weil die Problematik den Kopfschmerzgeplagten, aber auch vielen Ärzten nicht ausreichend bekannt ist. Eine aktuelle Publikation gibt einen ausführlichen Überblick über den derzeitigen medizinischen Wissensstand. Ziel ist es, Aufmerksamkeit und Bewusstsein für MOH zu steigern, denn obwohl die Erkrankung sowohl behandel- als auch vermeidbar ist, ist die Prävalenz weltweit hoch. Diese liegt bei Erwachsenen durchschnittlich bei 3,4 % (regional zwischen 0,6 % und 7 %).
Für die Diagnose eines MOH muss zunächst der Zusammenhang zwischen zu häufiger Einnahme akuter Kopfschmerzmedikation und Chronifizierung der Kopfschmerzen aufgeklärt werden. Dies geschieht anhand von Anamnese (Kopfschmerzkalender) und neurologischer Untersuchung. Man spricht von MOH, wenn bei Betroffenen mit vorbestehendem primären Kopfschmerz an mindestens 15 Tagen pro Monat Kopfschmerzen auftreten, die mit Schmerz- oder Migränemedikamenten behandelt werden – und dies über mehr als drei Monate lang. Dabei kommt es häufiger bzw. schneller unter Triptanen zu einem MOH als unter NSARs (z. B. Ibuprofen). Besonders problematisch sind opiathaltige Schmerzmittel wegen eines zusätzlichen Abhängigkeitspotenzials. Weitere Risikofaktoren für MOH sind weibliches Geschlecht, niedriger Bildungs- oder sozialer Status, zusätzliche psychiatrische Erkrankungen wie Depression oder Angsterkrankungen und abhängiges Verhalten, z. B. Rauchen oder die Einnahme von Medikamenten gegen Schlafstörungen oder Beruhigungsmittel.
„Der erste Schritt ist es, an die Möglichkeit eines MOH zu denken und die Problematik anzusprechen“, erklärt Prof. Hans-Christoph Diener, Co-Autor der Publikation und federführender Autor der Leitlinie der DGN. „Dies kann sowohl von Behandelnden wie auch von den Betroffenen ausgehen.“ Wichtig sei, dass nicht den Patienten die Schuld an der Situation gegeben wird, denn meist liege das Problem in einem unzureichenden Kopfschmerz- oder Migräne-Management und nicht an einem Medikamenten-Missbrauch. Ein MOH trete in erster Linie bei ungenügender Prophylaxe von primären Kopfschmerzerkrankungen und folglich zu häufigem akutem Schmerzmittelbedarf auf, seltener dagegen bei anderen zugrunde liegenden Schmerzerkrankungen, wie chronischen Rückenschmerzen.
Wenn ein MOH diagnostiziert wurde, kann eine angemessene Behandlung entsprechend den aktuellen Leitlinien in der Regel effektiv die Kopfschmerz- bzw. Krankheitslast und den Schmerzmittelverbrauch reduzieren. Die Erfolgsrate einer Leitlinien-gerechten Therapie beträgt nach 6–12 Monaten etwa 50–70 %, bestätigt Diener. Die Behandlung des MOH besteht in der Reduktion der Einnahmehäufigkeit der übergebrauchten akuten Schmerzmittel bzw. dem kompletten Absetzen; gleichzeitig wird mit einer geeigneten Kopfschmerz-Prävention begonnen, beispielsweise mit Topiramat, Amitriptylin, Botulinumtoxin oder einem monoklonalen Antikörper gegen das migräneauslösende CGRP. Je nach Situation kann dies ambulant, tagesklinisch oder stationär durchgeführt werden.
Leider sei oft die Gefahr eines Rückfalls gegeben, so Diener. Am größten sei sie im ersten Jahr nach Absetzen des auslösenden Schmerzmittels – insbesondere bei Opioid-Übergebrauch. Eine engmaschige Betreuung der Betroffenen reduziere dieses Risiko. Betont wird außerdem, dass für einen anhaltenden Erfolg ergänzend zur medikamentösen Prophylaxe auch nicht-medikamentöse Präventivmaßnahmen erfolgen müssen. Dazu gehören z. B. angemessene Schlaf- und Erholungszeiten, Entspannungstraining, aber auch regelmäßiger Ausdauersport und ggf. eine psychologische Betreuung.
„Kopfschmerzpatientinnen und -patienten, auch bei vermeintlich guter Einstellung einer Prophylaxe, sollten regelmäßig nach der Häufigkeit notwendiger Akutmedikationen befragt werden“, mahnt Diener. „Schon bei monatlich zehn Kopfschmerztagen sollte über eine Optimierung der Prophylaxe nachgedacht bzw. ggf. eine neurologische Mitbetreuung erwogen werden.“
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der DGN. Die Studie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: danilo.alvesd, Unsplash