Menschen mit Hämophilie bekommen den Gerinnungsfaktor VIII substituiert. Eine Komplikation der Behandlung ist aber die Bildung von Antikörpern gegen Faktor VIII. Forscher fanden jetzt den beteiligten Mechanismus.
Bei der Bluterkrankheit Hämophilie A fehlt dem Körper der Blutgerinnungsfaktor VIII (FVIII) teilweise, ganz, oder er wird fehlerhaft gebildet. Betroffene erhalten meist FVIII aus Spenderblut oder aus gentechnischer Herstellung. Etwa ein Drittel der Behandelten mit schwerer Hämophilie A entwickelt allerdings Antikörper gegen FVIII. Forscher des Paul-Ehrlich-Instituts haben jetzt den Mechanismus dahinter entdeckt.
Hämophilie A ist die häufigste Form der Hämophilie. Durch den teilweisen oder vollständigen Mangel bzw. Funktionsverlust des FVIII kommt es bei Betroffenen zu spontanen oder verlängerten Blutungen. Betroffen sind fast ausschließlich Jungen bzw. Männer – die Hämophilie-Inzidenz beträgt ca. 1:5.000 bei männlichen Neugeborenen.
Die sogenannte Substitutionstherapie besteht üblicherweise darin, den fehlenden Gerinnungsfaktor VIII regelmäßig per Injektion zuzuführen und so die normale Blutstillung zu ermöglichen. Das FVIII-Protein wird hierfür entweder aus Spenderplasma gewonnen oder gentechnisch (rekombinant) hergestellt. Alternativ kann der die Funktion von Faktor VIII ersetzende monoklonale Antikörper Emicizumab gespritzt werden.
Die schwerwiegendste Komplikation bei der Behandlung der Hämophilie A ist die Entwicklung von Antikörpern gegen den Faktor VIII (auch Inhibitoren genannt), die bei circa 35 Prozenten der Patienten mit schwerer Hämophilie A, insbesondere in der frühen Phase ihrer Behandlung, auftreten. Das Risiko hierfür ist bei Hämophilie-A-Patienten denen körpereigener FVIII vollständig fehlt höher, als bei Patienten mit leichter oder mittelschwerer Hämophilie A, bei denen FVIII noch zu einem gewissen Anteil funktionsfähig ist. Es ist aber dennoch möglich, dass auch Patienten mit geringfügigen FVIII-Variationen Inhibitoren entwickeln und umgekehrt Patienten mit schwerer Hämophilie A keine Inhibitoren entwickeln. Hier spielen offenbar noch weitere Faktoren wie beispielsweise immungenetische Eigenschaften oder auch die Intensität und die Umstände einer FVIII-Behandlung eine Rolle.
Welche immunologischen Prozesse schließlich zur Entwicklung von Inhibitoren gegen FVIII-Produkte führen, ist noch nicht vollständig geklärt. Es wird vermutet, dass immunologische Gefahrensignale die Inhibitorbildung begünstigen. Es wurde beobachtet, dass die Vermeidung einer FVIII-Behandlung, beispielsweise während akuter Infektionskrankheiten, das Risiko der Inhibitorbildung verringert.
In früheren Studien hatte die Forschungsgruppe um Prof. Zoe Waibler bereits gezeigt, dass aus Plasma gewonnenes FVIII-, nicht aber rekombinantes FVIII-Protein in Gegenwart solcher Gefahrensignale dendritische Zellen aktivieren kann, die anschließend die Bildung spezifischer T-Zellen vermitteln können.
In der aktuellen Studie hat die Forschungsgruppe nun untersucht, ob Bestandteile des Blutplasmas, die natürlicherweise in plasmatischen FVIII-Produkten aber auch im Plasma des Menschen enthalten sind, in der Lage sind, T-Zell-Reaktionen zu beeinflussen. Sie fanden heraus, dass die Zugabe von Plasma zu rekombinantem FVIII und Lipopolysaccharid-stimulierten dendritischen Zellen das Heranreifen von gegen FVIII gerichtete T-Zellen induziert. In weiteren Experimenten wies die Forschungsgruppe nach, dass die Komplementproteine C3a und in geringerem Maße C5a entscheidend an diesen LPS-vermittelten T-Zell-Reaktionen beteiligt sind.
Die Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Komplementproteine die T-Zell-Reaktionen auf FVIII stark beeinflussen und könnten erklären, warum die Gabe von FVIII in bestimmten Situationen, wie beispielsweise bei Infekten, zur Entwicklung von Inhibitoren beitragen könnte.
„Die Bildung von Antikörpern gegen Gerinnungsfaktor VIII, die meist als Inhibitoren bezeichnet werden, ist eine gefürchtete Komplikation bei der Substitutionstherapie von Hämophilie-A-Patienten. Wir haben jetzt herausgefunden, dass für die Bildung dieser Inhibitoren Komplement-Proteine, die zum angeborenen Immunsystem gehören, im Zusammenspiel mit sogenannten Gefahrensignalen eine wichtige Rolle spielen. Mit Gefahrensignalen sind hier zum Beispiel Moleküle gemeint, die dem Körper als Hinweis auf eine Infektion dienen. Mit diesem Wissen lassen sich möglicherweise Ansätze entwickeln, um das Behandlungsrisiko der Inhibitorbildung bei Hämophilie-A-Patienten zu senken“, fasst Waibler die Studie zusammen.
Der Beitrag basiert auf einer Pressemitteilung des Paul-Ehrlich-Institut. Die Originalpublikation findet ihr hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Joel Filipe, unsplash