Am Atemtraining scheiden sich die Geister. Physiotherapeuten empfehlen es gerne, Skeptiker runzeln die Stirn. Was ist dran, am Hanteltraining fürs Zwerchfell?
Ob COPD, Asthma, pulmonale Hypertonie oder Vorbereitung auf größere operative Eingriffe: Atemtraining wird von Physiotherapeuten gerne empfohlen. Aber wirkt es auch? Klinisch gibt es dazu eine ganze Reihe von mehr oder weniger großen Studien und sogar Metaanalysen, deren Ergebnisse uneinheitlich sind.
Typischerweise läuft Atemtraining so ab, dass mehrmals, mindestens zweimal am Tag eine bestimmte Zahl an tiefen Atemzügen gegen erhöhten Atemwiderstand geatmet wird. Das geht nicht einfach so, sondern nur mit Unterstützung. Flussgesteuerte Systeme limitieren die Menge an Luft, die pro Zeiteinheit bewegt werden kann, und zwar dadurch, dass die Atemöffnung verkleinert wird. Der Klassiker ist die Atmung durch einen Strohhalm.
Um dieselbe Menge an Luft zu bewegen, muss bei der Strohhalm-Atmung deutlich mehr Atemarbeit geleistet werden als bei normaler Atmung. Der Nachteil an diesem kostengünstigen Verfahren ist, dass es schlecht steuer- und messbar ist, weswegen vielerorts, vor allem in der Forschung, druckgesteuerte Systeme genutzt werden. Die sehen typischerweise aus wie eine Kreuzung aus Asthma-Inhaler, Schnorchel und Pattex-Pistole. Sie haben Ventilklappen, die erst dann öffnen, wenn mit den Atemmuskeln ein bestimmter, individuell definierbarer Druck erzeugt wird.
Eine aktuelle Publikation hat im Rahmen eines systematischen Reviews mit Metaanalyse insgesamt elf Studien – randomisierte Studien und prospektive Vorher-Nachher-Studien – ausgewertet, die das Atemtraining in (lungengesunden) Sportlerkollektiven unterschiedlicher Art untersucht haben, von Fußball über Rugby bis Schwimmen. Endpunkte waren in der Regel Lungenfunktionsparameter wie die forcierte Vitalkapazität (FVC), außerdem der mittlere inspiratorische Druck (MIP) und – es handelte sich um sportmedizinische Studien – die sportliche Performance. In der Regel wurde in den Interventionsgruppen mit Trainings-Sets von 2 x 30 Atemzügen pro Tag gearbeitet.
In neun der zehn Studien, in denen der MIP evaluiert wurde, stieg er durch das Training im Vergleich zur Baseline an. In fast allen Studien gab es dabei „substanzielle“ und in zwei Studien statistisch signifikante MIP-Vorteile im Vergleich zur jeweiligen Kontrollgruppe. Bei der FVC gab es in einer von sieben Studien einen signifikanten Vorteil für die Trainingsgruppe, außerdem gab es in mehreren Studien signifikante Vorteile bei einzelnen anderen Lungenfunktionsparametern. Bei der sportlichen Performance waren die Ergebnisse ähnlich: Eine signifikante Verbesserung des jeweiligen Performance-Parameters in der Interventionsgruppe im Zeitverlauf gab es in fast allen Studien, einen signifikanten Vorteil im Vergleich zur Kontrollgruppe in einer der Studien.
Auch im Kontext unterschiedlicher Erkrankungen gibt es aktuelle klinische Daten zum Atemtraining. Eine im Januar 2023 publizierte, randomisierte Studie zum präoperativen Atemtraining vor Herzchirurgie fand Hinweise auf immunmodulatorische Effekte des Atemtrainings: 24 Stunden postoperativ war ein globaler Entzündungs-Score in der Trainingsgruppe signifikant niedriger, was mit Unterschieden bei diversen pro-inflammatorischen Zytokinen unmittelbar nach dem Atemtraining korrelierte. Eine weitere aktuelle, randomisierte Studie hat Atemtraining nach einem chirurgischen Eingriff im Bereich des oberen Abdomens evaluiert. Endpunkte waren postoperative pulmonale Komplikationen und die Diaphragma-Funktion, gemessen u. a. als MIP sowie als Beweglichkeit und Verdickung des Diaphragmas im Ultraschall. Pulmonale Komplikationen traten bei 19 % vs. 4 % der Patienten auf, was bei (allerdings insgesamt nur 28) Patienten das Signifikanzniveau erreichte. Auch bei IMT und Diaphragma-Funktion gab es signifikante Vorteile für die Interventionsgruppe, nicht dagegen bei der kardiopulmonalen Funktion.
Ebenfalls brandaktuell ist schließlich eine Cochrane Metaanalyse, die sich mit der Frage beschäftigt hat, wie sich Atemtraining allein oder in Kombination mit einer Lungenrehabilitation auf Symptome und Lebensqualität bei COPD auswirkt. Hierzu fanden sich immerhin 55 auswertbare, randomisierte Studien. Die Quintessenz: Atemtraining alleine verbessert die Belastungskapazität und die Lebensqualität, allerdings verschwindet der Effekt, wenn eine vollumfängliche pulmonale Reha zusätzlich absolviert wird.
Nicht so ganz klar war bisher, was genau Atemtraining eigentlich macht. Daten zur Diaphragma-Funktion wie in der oben erwähnten chirurgischen Studie sprechen dafür, dass es einen zumindest kurzfristigen, echten Muskeltrainingseffekt gibt. Genauer untersucht hat das jetzt eine physiologische Forschungsarbeit, die Wissenschaftler um Prof. Paolo Dominelle von der Universität im kanadischen Waterloo in der Zeitschrift Experimental Physiology publiziert haben. Die Ergebnisse sprechen dafür, dass das Zwerchfell durch Atemtraining in ganz ähnlicher Weise trainiert wird, wie die periphere Muskulatur durch Krafttraining – und dass der Effekt auch ähnlich anhaltend ist.
Die Wissenschaftler haben dazu eine randomisierte Studie mit 16 Probanden durchgeführt. Nur in der Interventionsgruppe gab es ein Atemtraining mit zwei Sets am Tag zu je 30 Atemzügen an fünf Tagen pro Woche über insgesamt fünf Wochen, dosiert auf 50 % des jeweiligen maximalen inspiratorischen Drucks (MIP). Um den Vergleich mit der Skelettmuskulatur zu ermöglichen, wurde zusätzlich, ebenfalls nur in der Interventionsgruppe, der Musculus tibialis anterior trainiert, erneut zwei Sets am Tag zu je 30 Wiederholungen, dosiert individuell auf 50 % maximaler isometrischer Kraft. In der Kontrollgruppe gab es kein spezielles Trainingsprogramm.
Vor dem Training, unmittelbar nach fünf Wochen Training sowie nach weiteren fünf Wochen trainingsfreier Zeit gab es in beiden Gruppen Outcome-Messungen, konkret wurde ein so genannter Loaded Breathing Task (LBT) durchgeführt. Die Probanden mussten gegen 60 % MIP so lange anatmen, bis sie nicht mehr konnten. Am Bein wurde zu analogen Zeitpunkten die maximale isometrische Kraft bei Dorsalflexion gemessen. Die Wissenschaftler können zeigen, dass die Kraft des Zwerchfells durch das fünfwöchige Training in der Interventionsgruppe um 18 % (+/- 9 %, p < 0,001) zunahm. Die Kraft des M. tibialis anterior legte um 34 % (+/- 19 %, p < 0,001) zu. Diese Kraftzunahme war auch fünf trainingsfreie Wochen später fast unverändert nachweisbar. In der Kontrollgruppe gab es keine Veränderungen bei den beiden Arten der Kraftmessung.
Ein Trainingseffekt von fünf Wochen für das Atemtraining sei deutlich länger, als bisher angenommen worden sei, so Dominelli. Es geht beim Atemtraining aber nicht nur um die reine Kraft des Zwerchfells, sondern auch um neuromuskuläre Reflexe, die sich durch Zwerchfelltraining positiv beeinflussen lassen. Die Wissenschaftler haben in ihrer Studie dazu den respiratorischen Metaboreflex untersucht. Das ist ein Reflex, der bei intensiver körperlicher Belastung den Blutfluss in die Extremitäten reduziert, zugunsten des Blutflusses ins Diaphragma. Das hat unter anderem zur Folge, dass Herzschlag und Blutdruck steigen. Ein effektives Atemtraining sollte im Idealfall das Zwerchfell stärken und den Metaboreflex entsprechend abschwächen. Das wiederum würde die körperliche Belastbarkeit steigern, da mehr Blutfluss für die peripheren Muskeln übrig bleibt.
Genau das konnten die Kanadier jetzt zeigen, mit einer aufwändigen Messanordnung, bei der neben respiratorischen Parametern auch EKGs abgeleitet und eine photoplethysmographische, arterielle Blutdruckmessung durchgeführt wurden. Die Messanordnung erlaubte es, die Abschwächung des Anstiegs des mittleren arteriellen Blutdrucks während der LBT-Tests zu messen. Es zeigte sich, dass es in der Interventionsgruppe zu einer im Vergleich zum Ausgangsbefund signifikanten Abschwächung kam, während das in der Kontrollgruppe nicht der Fall war. Insgesamt sprächen die neuen Daten stark dafür, dass ein Atemtraining – in welcher Indikation auch immer – nicht kontinuierlich erfolgen müsse, so Dominelli. Vielmehr reiche wahrscheinlich ein Training in gewissen Intervallen aus, wobei Häufigkeit und Länge der Trainingsepisoden noch genauer zu charakterisieren wären.
Bildquelle: Jakob Owens, unsplash