Viele Erkrankungen korrelieren mit zuckerreicher Ernährung. Dabei verbessern große Zuckermengen mit zunehmendem Alter den Gesundheitszustand und verlängern das Leben, zumindest im Tierversuch. Ein Vorbild für ältere Menschen?
Das Altern ist ein äußerst komplexer Vorgang. Die Verkürzung der Telomere scheint dabei eine wesentliche Rolle zu spielen. Diese molekularen Schutzkappen sitzen am Ende der Chromosomen und jedes Mal, wenn sich eine Zelle teilt, nimmt ihre Länge ein wenig ab. Die Zellteilung verlangsamt sich umso mehr, je kürzer die Telomere werden, bis sie schließlich ganz zum Stillstand kommt. Wissenschaftler konnten in einer Vielzahl von unterschiedlichen Zelltypen bereits beobachten, dass sich mit abnehmender Telomerlänge Schäden im Erbgut der Zellen anhäufen. Einem Forscherteam gelang nun der Nachweis, dass Mäuse mit verkürzten Telomeren auch einen deutlichen erhöhten Bedarf an Glukose haben. Wie die Wissenschaftler um Tina Wenz, Karsten Hiller und Lenhard Rudolph im Fachmagazin Nature Communications berichteten, führt bei diesen Tieren ein Glukose-Mangel in der normalen Ernährung zu vorzeitigem Gewebeschwund und einer verringerten Lebenserwartung.
Für ihre Experimente verwendeten Wenz und ihre Kollegen speziell gezüchtete Mäuse. Deren Erbgut hatten die Forscher vorher mit genetischen Methoden so verändert, dass die Tiere keine Telomerase mehr herstellen konnten. Dieses Enzym hilft Zellen normalerweise dabei, Telomere wieder zu verlängern, wenn diese in verkürzter Form vorliegen. Die genetisch modifizierten Mäuse entwickeln sich trotz kürzerer Telomere in der ersten Lebensphase normal, zeigen jedoch, wenn der natürliche Alterungsprozess einsetzt, einen viel schnelleren Gewichtsverlust als ihre normalen Artgenossen. Das Team um Wenz fand heraus, dass die Mäuse mit den verkürzten Telomeren unter einem gestörten Energiehaushalt leiden: Ihre Zellen besitzen weniger Mitochondrien und können deshalb ihren Energiebedarf nicht mehr auf normale Weise decken. „Als Kompensation versuchen die Zellen, auf die außerhalb der Mitochondrien stattfindende Glykolyse auszuweichen“, sagt Wenz, Gruppenleiterin am Institut für Genetik der Universität Köln. „Allerdings ist diese Art der Energiegewinnung nicht sehr effizient.“
Die Zellen, so Wenz, müssten dabei wesentlich mehr Nährstoffe verbrennen, um die gleiche Menge des Energieträgers ATP zu produzieren. Durch den beschleunigten Verbrauch von Nährstoffen befinden sich die Zellen in einem permanenten Hungerzustand, der dazu führen kann, dass keine Zellteilung mehr stattfindet und DNA- und Proteinschäden sich immer mehr anreichern. Alle diese Vorgänge tragen dazu bei, dass die betroffenen Mäuse rasant altern und innerhalb weniger Wochen sterben. Der Prozess der vorzeitigen Alterung ließ sich jedoch aufhalten, wenn die Forscher die genetisch veränderten Mäuse rechtzeitig mit einer Kost fütterten, die mit Glukose angereichert war. Dadurch erhöhte sich die Menge der Mitochondrien in den Zellen, der Energiehaushalt normalisierte sich und die Tiere legten an Gewicht wieder zu. Der positive Effekt war nicht von Dauer, nach zwei bis drei Monaten verloren sie wieder an Gewicht.
Die Tiere lebten dennoch 20,5 Prozent länger als Mäuse, die dauerhaft eine normale Kost erhalten hatten. Die fortschreitende Störung des Energiehaushalts durch die verkürzten Telomere verursacht möglicherweise einen immer größer werdenden Bedarf an Glukose, der ab einem gewissen Zeitpunkt selbst mit einer speziellen Ernährung nicht mehr gedeckt werden kann, wie die Wissenschaftler in der Veröffentlichung schreiben. Anschließend wiederholte das Forscherteam die Versuche mit menschlichen Bindegewebszellen. Je kürzer ihre Telomere waren, desto anfälliger reagierten die Zellen auf den Entzug von Glukose. „Bindegewebszellen mit kurzen Telomeren haben nur wenige Mitochondrien, wenn nicht genügend Glukose zur Verfügung steht“ erklärt Wenz.
Sie kann sich vorstellen, dass die zeitlich begrenzte und kontrollierte Glukosegabe Patienten mit mitochondrialen Erkrankungen zugute kommen könnte, da bei diesen oft die Glykolyse als Kompensation aktiviert ist. Bei geriatrischen Patienten sieht Wenz ebenfalls ein Anwendungsgebiet für die Glukosegabe, da diese oft unter Mangelernährung und verringertem Körpergewicht leiden. Andere Experten sind von den Resultaten des Forscherteams überrascht: „In den vergangenen Jahren sind immer mehr Hinweise aufgetaucht, die belegen, dass eine übermäßige Kalorienzufuhr zu Übergewicht und Insulinresistenz, aber auch zu vorzeitiger Alterung und Demenz führen kann“, sagt Michael Faust, Leitender Oberarzt am Zentrum für Endokrinologie, Diabetologie und Präventivmedizin der Uniklinik Köln. „Allerdings ist auch bekannt, dass gerade ältere Menschen mit Fehl- und Unterernährung eine ungünstige Prognose haben.“
Vielleicht, so der Mediziner, komme es schlicht auf den richtigen Zeitpunkt an. Während zu viele Kalorien dem gesunden Organismus schaden, könnten sie für bereits gealterte Zellen von Vorteil sein. Wie Wenz gibt er zu bedenken, dass die Ergebnisse der neuen Studie natürlich nicht eins zu eins von der Maus auf den Menschen übertragen werden können. Hierbei, so Faust, müsse insbesondere beachtet werden, dass viele ältere Menschen an Typ-2-Diabetes erkrankt sind und diese von einer zusätzlichen Glukosegabe wohl nicht profitieren würden. „Für alle anderen“, findet der Mediziner, „besteht aber Hoffnung auf Besserung ihres Zustandes, wenn sich die Ergebnisse in klinischen Studien am Menschen reproduzieren lassen.