Stell dir vor, du gehst im Wald spazieren und musst plötzlich einem Verletzten zur Hilfe eilen. Aus eigener Erfahrung weiß ich: Jetzt dem Notruf zu erklären, wo du bist und was gebraucht wird, ist schwierig. Mit diesem Trick klappt’s besser.
Eine meiner großen Ängste war es immer, schnelle Hilfe zu benötigen, aber nicht genau zu wissen, wo ich mich gerade befinde. Ob ein Ausritt ins Grüne, der schiefgeht, eine immobilisierende Verletzung beim Bergsteigen oder meine Partnerin, die beim gemeinsamen Waldspaziergang kollabiert – viele Konstellationen sind da denkbar. Auch damals kurz nach der Jahrtausendwende, als ich in einem Kieler Randbezirk Zeuge wurde, wie ein Passant reanimationspflichtig zusammenbrach. „Wo sind Sie denn genau?“, fragte der Leitstellendisponent. Ich sah mich um und wusste nicht, was ich antworten sollte.
Kein Straßenschild, kein markantes Bauwerk, nichts außer Wald und Wiese. Erst nach einem komplizierten Dialog und zehn unnütz verstrichenen Minuten wusste der Disponent, wo er den Rettungsdienst hinschicken musste. Der Mann überlebte nicht.
An einem Dienstag im September, zwanzig Jahre nach dem Ereignis in Kiel, war es wieder soweit. Ich war in einem anderen Landkreis mit dem Auto unterwegs, um Landschaftsfotos zu schießen und suchte mir ein schönes Plätzchen, um die Kamera zu positionieren. Dann plötzlich – ein Schrei aus einem angrenzenden Waldstück. Jemand war von einem Baum gestürzt und mit dem Kopf auf einem Holzstumpf aufgeschlagen. Keine Reaktion, drittgradiges Schädelhirntrauma mit Blutung aus beiden Ohren. Wieder wusste ich nicht, wo genau ich mich befand, und den Patienten konnte ich wohl auch nicht mehr dazu befragen.
Aber diesmal lief es anders. Ich zog mein Telefon aus der Tasche und öffnete eine App. Diese App sendete meinen Standort an die nächstgelegene Leitstelle für Rettungsdienst- und Feuerwehrnotruf. Durch Eingabe des Stichwortes „Sturz vom Baum, SHT III., bewusstlos“ wusste der Disponent vom Sachverhalt, ohne überhaupt mit mir sprechen zu müssen. Er sendete aufgrund meiner Lage in der Pampa unter anderem gleich einen Rettungshubschrauber. Der Patient lag in deutlich unter einer Stunde nach dem Geschehen in einem Schockraum.
Die App heißt NORA (NOtRuf-App), ist die offizielle Notruf-App der Bundesländer und wurde unter der Führung des nordrheinwestfälischen Innenministeriums erstellt. Sie ermöglicht es euch, per App einen Notruf abzusetzen und dabei direkt wichtige Informationen an die ILS (integrierte Leitstelle) zu übermitteln, ohne dafür sprechen zu müssen. Dazu gehört der exakte Standort, die Art des Notfalles und die Tatsache, ob ihr gerade sprechen könnt oder nicht.
Der Clou dabei ist, dass ausnahmslos und deutschlandweit jede ILS und Polizeieinsatzzentrale eine Schnittstelle zu dieser App besitzt. Abhängig von eurer Position wird also auch gleich die richtige Leitstelle mit dem Notruf angesteuert, damit es hier zu keiner Zeitverzögerung kommt.
Die App wurde ursprünglich für Menschen erstellt, die schlecht telefonieren können, weil sie entweder gehörlos sind oder sich zum Beispiel aus sprachlichen Gründen am Telefon nicht artikulieren können. Einbrecher im Haus und ihr könnt nicht sprechen, weil ihr leise sein müsst? Dann ist die App ideal: Der stille Alarm ermöglicht es im Fall einer akut lebensbedrohlichen Lage, einen Notruf auch von eurem Umfeld unbemerkt abzusetzen.
Die Bedienung ist selbsterklärend und durch die Icons sehr intuitiv. Habt ihr die App geöffnet, klickt ihr einfach auf „Notruf starten“. Ihr bestätigt den Ort, an dem ihr euch befindet oder gebt die korrekte Adresse des Notfallortes ein. Dies ist dann relevant, wenn ihr für eine dritte Person Hilfe anfordert. Anschließend klickt ihr auf dem Screen auf die Art des Notfalles. Ihr könnt für alle Bereiche Hilfe anfordern (Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst). Es werden euch noch eine Reihe an Fragen gestellt, die ihr durch einfaches Anklicken des Bildschirms zügig beantworten könnt. Am Ende nun noch auf „Notruf jetzt absenden“ klicken – fertig. Ihr seid jetzt mit einem Mitarbeiter der entsprechenden Einsatzzentrale verbunden, der sowohl über den Chat mit euch kommunizieren als auch zurückrufen kann.
Im Menübereich kann man noch angeben, ob man an Vorerkrankungen oder einer Behinderung leidet, ob es einen Notfallschlüssel zum Gebäude gibt oder ob man einen Hund besitzt. Diese Daten könnt, müsst ihr jedoch nicht ausfüllen.
Aber Achtung: Nur weil es sich um eine App und nicht um den klassischen Notruf handelt, ist der Missbrauch trotzdem nach § 145 Abs. 1 StGB strafbar. Die NORA-App ist keine Spaß-App. Auf der anderen Seite erwartet den Notrufteilnehmer ein echter Mitarbeiter einer BOS-Leitstelle, der Hilfe verschickt.
Übrigens: In der Beratungsfunktion als Gesundheitsdienstleister (Arzt, Psychologe etc.) kann diese App interessant werden, wenn es um Patienten geht, die eben zum Beispiel gehörlos sind. Auch diese sollen in der Lage sein, im Notfall rechtzeitig Hilfe zu holen und könnten durch den Dienstleister auf diese App aufmerksam gemacht werden. Dies bedeutet einen beraterischen Mehrwert für die Praxis.
Ihr könnt NORA kostenfrei über die gängigen App-Stores laden. Nach Registrierung der Handynummer kann es schon losgehen. Auch praktisch: Die App bietet die Möglichkeit, einen Demo-Notruf abzusetzen, um sich erstmal zurechtzufinden und die Funktionen ausprobieren zu können.
Bildquelle: Xia Yang, unsplash