Viele Patienten nehmen selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer ein – aber nicht für alle sind sie unbedenklich. Bei einer speziellen Gruppe von Herzpatienten solltet ihr hellhörig werden.
Serotonin kann sich auf die Mitralklappe des Herzens auswirken und möglicherweise die degenerative Mitralinsuffizienz beschleunigen. Dies geht aus einer neuen multizentrischen Studie hervor, die kürzlich in Science Translational Medicine veröffentlicht wurde.
Die degenerative Mitralinsuffizienz (DMR) ist eine der häufigsten Herzklappenerkrankungen. Dabei ist die Mitralklappe verformt, so dass sie sich nicht mehr vollständig schließen kann und Blut in den Lungenkreislauf zurückfließen kann. Dadurch wird die Menge an sauerstoffreichem Blut im restlichen Körper eingeschränkt.
Infolgedessen kann die DMR zu Symptomen wie Müdigkeit und Kurzatmigkeit führen. Aufgrund der verminderten Effizienz des Kreislaufs muss das Herz härter arbeiten, was zu einer Reihe weiterer ernster Probleme führen kann, darunter Vorhofflimmern und Herzversagen.
„Bestimmte Medikamente können die Symptome lindern und Komplikationen verhindern, aber sie behandeln nicht die Mitralklappe“, sagt Studienleiter Giovanni Ferrari, wissenschaftlicher Leiter des Cardiothoracic Research Program an der Columbia University. „Wenn die Degeneration der Mitralklappe schwerwiegend wird, ist eine Operation erforderlich, um die Klappe zu reparieren oder zu ersetzen.“
Serotonin spielt bei einer Vielzahl von Körperfunktionen eine Rolle, einschließlich Gefühlszustand, Verdauung, Schlaf, Gedächtnis und Blutgerinnung. Als Neurotransmitter hilft Serotonin dem Gehirn bei der Stimmungsregulation; ein niedriger Serotoninspiegel wird mit Angstzuständen und Depressionen in Verbindung gebracht.
Serotonin bindet an spezifische Rezeptoren auf der Oberfläche einer Zelle. Ein als Serotonin-Transporter (SERT oder 5-HTT) bekanntes Protein transportiert den Neurotransmitter in die Zelle, damit er wieder aufgenommen und recycelt werden kann – ein Prozess, der als Serotonin-Wiederaufnahme bekannt ist.
Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) binden an den SERT und verringern so die Serotonin-Wiederaufnahme, so dass das Serotonin länger verfügbar bleibt. Diese erhöhte Serotoninverfügbarkeit kann zur Verbesserung der Symptome von Stimmungsstörungen beitragen. SSRI gehören zu den am häufigsten verschriebenen Antidepressiva und umfassen unter anderem bekannte Medikamente wie Fluoxetin und Sertralin.
Die Studie untersuchte klinische Daten von mehr als 9.000 Patienten, die sich wegen DMR einer Mitralklappenrekonstruktion oder einem -ersatz unterzogen hatten, und wertete 100 Mitralklappenbiopsien aus. „Bei der Untersuchung der Daten dieser Patienten stellten wir fest, dass die Einnahme von SSRIs mit einer schweren Mitralinsuffizienz verbunden war, die in einem jüngeren Alter operativ behandelt werden musste als bei Patienten, die keine SSRIs einnahmen“, so Ferrari.
Die Forscher untersuchten auch In-vivo-Mausmodelle mit transgenen Mäusen, denen das SERT-Gen fehlt, und normalen Mäusen. Sie entdeckten, dass Mäuse ohne SERT-Gen dickere Mitralklappen entwickelten und dass normale Mäuse, die mit hohen Dosen von SSRIs behandelt wurden, ebenfalls verdickte Mitralklappen entwickelten.
Mit Hilfe der Genanalyse identifizierten die Forscher genetische Varianten in der SERT-Genregion 5-HTTLPR, die die SERT-Aktivität beeinflussen. Sie fanden heraus, dass eine „lange“ Variante von 5-HTTLPR SERT in den Mitralklappenzellen weniger aktiv macht, insbesondere wenn zwei Kopien (eine mütterliche und eine väterliche) vorhanden sind. DMR-Patienten mit der „langen“ Variante benötigten häufiger eine Mitralklappenoperation als Patienten mit anderen Varianten.
Die Mitralklappenzellen von DMR-Patienten mit der „doppelten langen“ Variante reagierten eher auf Serotonin, indem sie mehr Kollagen produzierten und so die Form der Mitralklappe veränderten. Außerdem reagierten Mitralklappenzellen mit der „langen“ Variante von 5-HTTLPR empfindlicher auf Fluoxetin als Zellen mit anderen Varianten.
Die Studie zeigte, dass die Einnahme von SSRI bei DMR-Patienten mit der genetischen „langen“ Variante die SERT-Aktivität in der Mitralklappe verringert. Die Forscher schlagen demnach vor, DMR-Patienten auf eine potenziell niedrige SERT-Aktivität zu testen, indem sie eine Genotypisierung auf 5-HTTLPR durchführen, die sich leicht anhand einer aus dem Blut oder einem oralen Abstrich gewonnenen DNA-Probe bestimmen lässt.
„Die Untersuchung von DMR-Patienten auf eine niedrige SERT-Aktivität kann dazu beitragen, Patienten zu identifizieren, die möglicherweise früher eine Mitralklappenoperation benötigen“, sagt Ferrari. „Eine rasche Reparatur einer undichten Mitralklappe würde das Herz schützen und könnte eine Herzinsuffizienz verhindern.“
Bei Zellen gesunder menschlicher Mitralklappen fanden die Forscher weder bei normalen Dosen von SSRIs noch bei der „doppelten langen“ Variante eine negative Wirkung. „Eine gesunde Mitralklappe kann wahrscheinlich eine niedrige SERT-Aktivität aushalten, ohne sich zu verformen“, sagt Ferrari. „Es ist unwahrscheinlich, dass eine niedrige SERT-Aktivität von sich aus eine Degeneration der Mitralklappe verursachen kann. SSRIs sind im Allgemeinen für die meisten Patienten sicher. Wenn die Degeneration der Mitralklappe erst einmal begonnen hat, ist sie möglicherweise anfälliger für Serotonin und niedrige SERT.“
Weitere Forschungsarbeiten könnten dazu beitragen, festzustellen, ob DMR-Patienten, die gut auf SSRIs ansprechen, regelmäßig untersucht werden sollten, um das Fortschreiten der Mitralklappendegeneration zu beurteilen, und ob DMR-Patienten, die nicht gut auf SSRIs ansprechen, einen Wechsel zu einem Nicht-SSRI-Antidepressivum in Erwägung ziehen sollten, anstatt die Dosis des SSRIs zu erhöhen.
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung des Columbia University Irving Medical Centers. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Silvestri Matteo, unsplash