Zu oft wird die Methylmalonazidurie falsch diagnostiziert. Die Kombination mehrerer molekularbiologischer Untersuchungsmethoden soll Schweizer Forschern zufolge helfen, es besser zu machen – und liefert einen potenziellen Therapieansatz.
Von der Stoffwechselkrankheit Methylmalonazidurie (MMA) ist eines von 90.000 Neugeborenen betroffen, wenn beide Elternteile eine genetische Veranlagung für die Krankheit tragen. Damit gehört sie zu den seltenen Krankheiten. Ihre Folgen sind schwerwiegend: Das Enzym Methylmalonyl-CoA-Mutase, das die jungen Patienten für den Energiestoffwechsel benötigen, ist defekt. Methylmalonsäure wird daher nicht wie bei gesunden Personen zur Energiegewinnung abgebaut, sondern reichert sich im Körper an und schädigt ihn.
MMA gilt als unheilbar. Bis zu einem gewissen Grad können Ärzte den Betroffenen zwar helfen, dennoch kann es zu Wachstumsverzögerungen, Nierenversagen und schweren neurologischen Beeinträchtigungen kommen. Betroffene Kinder und Jugendliche sind oft auf den Rollstuhl angewiesen und nicht immer überleben sie und erreichen das Erwachsenenalter.
Forscher mehrerer Schweizer Institutionen haben nun 210 Gewebeproben von Patienten aus der ganzen Welt untersucht. Sie analysierten dabei nicht nur die DNA der Patienten-Zellen, sondern auch die RNA-Abschrift dieser Gene sowie viele der Proteine. Es ist das erste Mal, dass die MMA mit einem solchen Multi-Omik-Ansatz (Genomik, Transkriptomik, Proteomik, Metabolomik) untersucht worden ist.
Bislang stützten sich Ärzte für die molekularbiologische MMA-Diagnose auf eine DNA-Sequenzierung. Dabei übersahen sie jedoch immer wieder Fälle, wie Sean Froese, Forschungsgruppenleiter am Kinderspital Zürich und Mitautor der Studie, berichtet. Es gibt Untersuchungen, wonach auf diese Weise nur ein Drittel bis die Hälfte aller Fälle richtig diagnostiziert werden. „Der Grund dafür ist, dass jeder Mensch, auch gesunde Menschen, viele natürlich vorkommende Genmutationen trägt, die keinen offensichtlichen Einfluss auf die Gesundheit haben. Daher ist es schwierig, jene zu finden, welche die Krankheit tatsächlich verursachen“, sagt Bernd Wollscheid, Professor am Departement für Gesundheitswissenschaften und Technologie der ETH Zürich und Mitautor der Studie.
Indem die Forscher die molekularbiologische Untersuchung stark ausweiteten, konnten sie nicht nur die genetische Ursache betrachten, sondern auch deren Konsequenzen auf den Stufen RNA, Proteine und Proteinfunktion. So gelang es, einen Ansatz zu entwickeln, mit dem 84 % der untersuchten Patienten richtig diagnostiziert werden konnten. „Unsere neue Methode wird die Chancen der Patienten auf eine korrekte Diagnose drastisch erhöhen“, sagt Patrick Forny, Oberarzt am Kinderspital Zürich und einer der Erstautoren der Studie. „Damit werden wir ihnen die richtige Behandlung künftig in einem viel früheren Stadium anbieten können.“
Die neuen Multi-Omik-Daten zeigten außerdem: Der Energiestoffwechsel von MMA-Patienten kann damit umgehen, dass ein wichtiges Enzym defekt ist und weicht auf ein anderes Stoffwechselprodukt als Energiequelle aus. Allerdings können die Patienten damit die körpereigene Energieproduktion nicht ausreichend kompensieren. In In-vitro-Experimenten mit Zellen von Betroffenen gelang es den Forschern durch Zufuhr einer alternativen Energiequelle, die Energieproduktion auf nahezu normale Werte anzuheben.
Die Wissenschaftler möchten nun untersuchen, ob dieser Ansatz in einem Tiermodell dieselbe Wirkung zeigt und letztlich auch erkrankten Menschen helfen könnte. Außerdem planen die Forscher für die Schweiz ein neues nationales interdisziplinäres und interinstitutionelles Projekt, um die Aussagekraft der Diagnose noch weiter erhöhen zu können und den Multi-Omik-Ansatz auch auf andere genetische Krankheiten auszuweiten.
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Jürgen Venakowa, unsplash.