Für Ärzte beginnt die subfebrile Körpertemperatur seit knapp 150 Jahren bei etwa 37°C. Dieser Wert ist allerdings ungenau. Wie aus aktuellen Auswertungen ersichtlich wird, sind diese Annahmen mittlerweile überholt, die Bezugstemperatur ist niedriger.
Ärzten blieb vor vielen Jahren noch nichts anderes übrig, als die vermeintlich erhöhte Körpertemperatur mit ihren Händen zu bestimmen. 1592 präsentierte Galileo Galilei ein erstes, noch sehr ungenaues Thermometer. Dieses Instrument ließ die Ärzte aber noch eher kalt, bis Carl Reinhold August Wunderlich 1868 sein Werk „Das Verhalten der Eigenwärme in Krankheiten“ veröffentlichte. Er berichtete von tageszeitlichen Schwankungen, zeigte Unterschiede zwischen den Geschlechtern und gab bereits 37°C als Bezugspunkt für Fieber an. Unterhalb dieses Werts sprach Wunderlich von normalen Körpertemperaturen. Basis seiner Arbeit waren mehrere Millionen Messungen an schätzungsweise 25.000 Probanden – eine zur damaligen Zeit unfassbar große Datenmenge. Wie er damit tatsächlich gearbeitet hat, lässt sich kaum noch nachvollziehen.
Heute ist die Sache deutlich einfacher. Mitte Dezember 2017 haben Ziad Obermeyer und Kollegen vom Department of Emergency Medicine, Brigham and Women’s Hospital, Boston, eine umfangreiche Arbeit zur Körpertemperatur veröffentlicht. Ihre Kohorte umfasste 35.488 Probanden, die laut Patientenakten keine Infektionen hatten und auch keine Antibiotika einnahmen. Obermeyer konnte also erwarten, dass die gemessenen Körpertemperaturen innerhalb normaler biologischer Grenzen liegen würden. Er hat nicht als erster Forscher das Thema untersucht, legt aber besonders umfangreiche Daten vor, die kaum noch Interpretationsspielraum lassen. Basierend auf 243.506 Messungen ermittelte er 36,6°C als mittlere Temperatur gesunder Menschen. Außerdem fand er ein paar Besonderheiten. Ältere Probanden hatten niedrigere Werte (-0,021°C pro Jahrzehnt). Bei afroamerikanischen Frauen lag die Temperatur sogar um 0,052°C höher als bei weißen Männern. Hier handelt es sich wie so oft um eine Kohortenstudie. Außerdem standen mehrere Komorbiditäten mit niedrigeren Temperaturen (Hypothyreose: -0,013°C) oder höheren Temperaturen (Krebs: 0,020°C) in Zusammenhang. Ein höherer Body Mass Index ließ die Werte nach oben klettern (0,002°C pro 1,0 kg/m²). Über alle Indikationen gemittelt, fand Obermeyer Assoziationen zwischen der Temperatur und der Sterblichkeit. Ein Anstieg um 0,149°C war mit einer 8,4 Prozent höheren Mortalität verbunden.
„Wie Wunderlich mussten sich Obermeyer und Kollegen mit einer Vielzahl klinischer Beobachtungen unterschiedlicher Qualität und unsicherer Präzision auseinandersetzen“, kommentiert Philip A. Mackowiak von der University of Maryland School of Medicine in Baltimore, Maryland. „Aber während Wunderlich die Technik fehlte, um seine Daten zu verarbeiten, stellten Obermeyer und Kollegen das Verständnis der durchschnittlichen Leser in Frage, indem sie eine Analyse auswählten, die sich durch eine verwirrende Mischung komplizierter Modellierungstechniken auszeichnete.“ Als Problem sieht er vor allem, dass Daten zu unterschiedlichen Zwecken gesammelt worden seien. Offen bleibt der Einfluss von Untersuchern, aber auch der Effekt mancher Arzneistoffe. Viele Daten wurden nicht für die Studie selbst, sondern für Abrechnungszwecke in stark abstrahierter Form gesammelt.
Obermeyer und Kollegen verwendeten eine Vielzahl statistischer Techniken, um verzerrende Effekte zu minimieren. Vieles von dem, was sie bei Krankheiten entdeckten, bestätigte Wunderlichs weniger ausgefeilte Beobachtungen vor fast anderthalb Jahrhunderten. „Ihre provokativste Feststellung – dass die Temperatur mit der Sterblichkeit korreliert – ist unbestätigt, wenn auch interessant genug, um weitere Untersuchungen zu rechtfertigen“, schreibt Mackowiak. Warum die meisten an der 37 festhalten, ist auch ihm ein Rätsel: „Noch faszinierender ist unser scheinbar unerschütterlicher Glaube an die ursprüngliche Bezugstemperatur von Wunderlich, trotz aller Beweise, die wir seither angesammelt haben.“