Benzodiazepine sind in der Schwangerschaft tabu, weil sie Autismus und ADHS auslösen können – stimmt’s? Dieser Frage sind Forscher jetzt auf den Grund gegangen. Lest hier die Ergebnisse.
Bisher dachte man, dass die pränatale Exposition mit Benzodiazepinen ein Auslöser für neurologische Entwicklungsstörungen bei Kindern sein könnte – genauer gesagt für Autismus und ADHS. Die genetische Prädisposition der Mutter wurde aber bei solchen Studien selten berücksichtigt. Deswegen haben sich Forscher jetzt mit der Frage beschäftigt, ob das vermeintlich höhere Risiko wirklich an den Medikamenten liegt, ober ob nicht doch etwas anderes dahintersteckt.
Auch die FDA ist sich nicht ganz einig. So wird die Einnahme der Arzneimittel während der Schwangerschaft und Stillzeit entweder damit gerechtfertigt, dass der potenzielle Nutzen für die Mutter dem potenziellen Risiko für den Fötus überwiegt. Oder aber umgekehrt, dass das Risiko schwerer gewichtet sei, als die potenziellen Vorteile – und deswegen von einer Einnahme abzusehen sei. Beiden Klassifizierungen haben jedoch eines gemeinsam: ein potentielles Risiko für den Fötus wird angenommen, so die Studienautoren.
Benzodiazepine können die Plazenta passieren und somit im Fruchtwasser, aber auch in der Muttermilch, vorhanden sein. Und da etwa 10–30 % aller schwangeren Frauen an psychischen Krankheiten leiden, ist die Einnahme von Psychopharmaka und ähnlichen Medikamenten ein wichtiges Thema. „Obwohl Einflüsse auf die kortikale Entwicklung oder neuronalen Netzwerke bei Nagetieren, die während des ersten Trimesters der Schwangerschaft Benzodiazepinen ausgesetzt waren, beschrieben wurden, gab es bisher nur wenige Untersuchungen zu den Auswirkungen auf die neurologische Entwicklung beim Menschen“, schreiben die Autoren. Frühere Forschungsergebnisse zeigen hingegen, dass Depressions- oder Angstsymptome der Mütter während der Schwangerschaft nachweisliche Auswirkungen auf die Entwicklung von Autismus haben.
Um die Auswirkungen von Benzodiazepinen auf Schwangere in unterschiedlichen Trimestern zu untersuchen, verwendeten die Forscher Daten von über 1,5 Millionen Geburten nach mindestens 37 Schwangerschaftswochen von über 1,1 Millionen Müttern zwischen 2004–2017 aus dem taiwanesischen Geburtenregister. Ob die Mütter Benzodiazepine einnehmen oder eingenommen haben, wurde anhand der Datensätze für die ambulante Pflegeverordnung und den Abgaben der Medikamente durch Vertragsapotheken, die alle verordneten und ausgefüllten Arzneimittelabgaben und die von Haus- und Fachärzten verordneten Begleitrezepte für alle ambulanten Besuche in Krankenhäusern oder Gemeinschaftsapotheken umfassen, ermittelt.
Die Studie zeigt, dass 5 % der Kinder (n = 76.411) während der Schwangerschaft Benzodiazepinen ausgesetzt waren. Verteilt auf die Trimester waren 4,6 % (n = 70.451) im ersten Trimester, 2,2 % (n = 33.123) im zweiten Trimester und 0,6 % (n = 8.828) im dritten Trimester betroffen. Die Autoren stellten zudem fest, dass der Anteil von Probanden mit niedrigem Einkommen, mütterlicher Opioidkonsum und Rauchen während der Schwangerschaft sowie psychische Störungen von einem oder beiden Elternteilen bei den Benzodiazepin-exponierten Kindern höher waren.
Zwar konnten die Autoren in den unbereinigten Analysen höhere Risiken für die Entwicklung von Autismus und ADHS bei Kindern, deren Mütter Benzodiazepine einnahmen, festellen, sowie ein höheres Risiko für ADHS im ersten und zweiten Trimester in den bereinigten Analysen. „Wenn wir jedoch die Geschwister-Vergleichsmodelle verwendeten, um eine mögliche mütterliche genetische Beeinflussung zu berücksichtigen, gab es für alle Zeiträume während der Schwangerschaft keine signifikanten Assoziationen von Benzodiazepin-Exposition mit ADHS oder Autismus“, so die Autoren.
Diese Unterschiede in den Populations- und Geschwistervergleichen lassen vermuten, dass die psychische Gesundheit der Mutter – und nicht die dafür eingenommen Medikamente – ausschlaggebend für die Entwicklung neurologischer Probleme der Kinder sein könnte. „Anstatt die Risiken für neurologische Entwicklungsstörungen als direkte Folge der intrauterinen Benzodiazepin-Exposition anzunehmen, könnte es wichtiger sein, diese neurologischen Entwicklungsprobleme zu reduzieren, indem man gefährdete Mütter und geeignete Zeitfenster für frühe Interventionen identifiziert, um spätere neurologische Komorbiditäten zu verhindern“, so die Studienautoren.
Nachdem genetische und weitere familiäre Faktoren berücksichtigt wurden, konnten die Forscher keinen Zusammenhang mehr feststellen. „Unsere Ergebnisse stellen die derzeitigen Annahmen über einen möglichen Zusammenhang zwischen neurologischen Entwicklungsstörungen und mütterlichem Benzodiazepin-Konsum vor oder während der Schwangerschaft in Frage.“ Für die Zukunft wünschen sich die Wissenschaftler einen besseren Umgang mit mütterlichen psychischen Problemen sowie ein besseres Pflege- und Erziehungsumfeld für gefährdete Neugeborene als präventive Maßnahmen.
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