L. monocytogenes gilt als gefährlichster Vertreter der Gattung Listeria. Doch die bisher unauffällige Verwandtschaft könnte bald nachziehen. Denn ein aktueller Fund bereitet Forschern Sorge.
Listerien sind ubiquitär vorkommende grampositive Stäbchenbakterien, die vor allem auf rohen Lebensmitteln anzutreffen sind und zu Infektionen bei Mensch und Tier führen können. Listerien fühlen sich bei Temperaturen zwischen 4 und 45 °C wohl und haben die Fähigkeit, zwischen aerobem und anaerobem Stoffwechsel hin und her zu wechseln. Das ermöglicht es ihnen, sich auch in vakuumverpackten Lebensmitteln wie Fleischprodukten, Rohmilch, Käse, oder Räucherfisch zu vermehren – auch wenn diese im Kühlschrank gelagert werden.
Fast alle Tiere können sich mit dem fakultativ pathogenen Erreger infizieren. Während Pferde, Schweine, Hunde, Kaninchen und Vögel seltener betroffen sind, kommt es vor allem bei kleinen und großen Wiederkäuern zu Infektionen. Auch bei Fischen, Amphibien und Reptilien wurden schon Listerien nachgewiesen. Der Erreger gelangt schließlich über tierische Lebensmittel zum Menschen, vor allem über Rohwürste, Rohmilch und Räucherfisch.
Eine Ansteckung erfolgt meist durch erregerhaltigen Kot, kontaminiertes Futter oder Wasser. Nur selten kommt es zur Übertragung von Tier zu Tier. Listerien-Infektionen können symptomlos verlaufen – kommt es jedoch zu Beschwerden, können drei Hauptformen unterschieden werden: die zerebrale, die septikämische und die metrogene Form.
Die zerebrale Listeriose betrifft vor allem Schafe und Rinder. Auf Fieber folgen hier Depression, Bewegungsstörungen und Lähmungen. Bei Schafen können zusätzlich Bindehautentzündungen beobachtet werden. Bei der septikämischen Form ist der gesamte Organismus betroffen. Sie kommt vor allem bei Lämmern vor, die sich bereits im Mutterleib infizieren. Seltener kommt diese Verlaufsform auch bei Kälbern, Geflügel und anderen Vogelarten vor. Bei der metrogenen Form kommt es zu Aborten, Frühgeburten oder der Geburt lebensschwacher Kälber. Der Nachweis von Listeria monocytogenes beim Tier ist meldepflichtig.
Unter sieben Listeria-Spezies ist L. monocytogenes die wichtigste humanpathogene Art. Vereinzelt wurden auch L. seeligeri und L. ivanovii bei menschlichen Erkrankungen nachgewiesen. L. innocua, L. welshimeri und L. murrayi (L. grayi) gelten bisher als apathogen. Auch beim Menschen ist ein Nachweis von L. monocytogenes gemäß Infektionsschutzgesetz meldepflichtig.
Eine Infektion mit Listerien ist bei immunkompetenten Erwachsenen oft inapparent. Selten kommt es zu Symptomen wie unspezifischen, grippeartigen oder auch Magen-Darm-Beschwerden. Bei immungeschwächten Personen kann hingegen eine Infektion zum Problem werden, wobei prinzipiell jedes Organ befallen werden kann. Eine gefürchtete Komplikation ist die Listerienmeningitis, die sich klinisch sowie diagnostisch wie eine typische bakterielle Meningitis präsentiert. Das jährliche Vorkommen der invasiven Listeriose schwankt laut dem RKI (Minimum seit 2005: 308 Fälle in 2008; Maximum: 608 in 2014). Im Jahr 2020 wurden in Deutschland 575 Infektionen gemeldet. In 10 % aller Listeriose-Meldefälle handelt es sich um schwangerschaftsassoziierte Listeriosen, von denen sowohl Müttern als auch Neugeborene betroffen sind. Nicht-schwangerschaftsassoziierte invasive Listeriosen betreffen vor allem Menschen ab 50 Jahren, viele von ihnen sind immunsupprimiert. Trotz gezielter Therapie besteht eine relativ hohe Letalität der manifesten Listeriose. In den letzten Jahren verliefen laut RKI etwa 21 % der Listerien-Septikämien und 13 % der Listerien-Meningitiden tödlich.
In der Lebensmittelindustrie werden verschiedenste Maßnahmen getroffen, um Kontaminationen mit Listerien zu minimieren. Wichtig ist die Einhaltung einer guten Herstellungs- und Hygienepraxis sowie wirksame Temperaturkontrollen entlang der gesamten Produktions-, Transport- und Lagerungskette von Lebensmitteln. L. monocytogenes ist durch seine Toleranz gegenüber Wärme und Kälte, PH-Abweichungen, trockenem Milieu und anderen extremen Umweltbedingungen jedoch ein harter und virulenter Gegner.
Forscher fanden jetzt heraus, dass zwei der bisher als harmlos angesehenen Listerien-Spezies Eigenschaften entwickelt haben, die sie möglicherweise in Zukunft gefährlicher machen könnten. Dr. Thendo Mafuna und sein Team aus Johannesburg analysierten 41 Genomsequenzen von L. innocua und L. welshimeri, die aus Proben von Lebensmitteln und Lebensmittel verarbeitenden Betrieben gewonnen wurden. Mafuna ist Zoologe und Bioinformatiker und forscht und lehrt an der Universität Johannesburg. Insgesamt standen den Wissenschaftlern 258 Isolate zur Verfügung; die Proben wurden zwischen 2014 und 2019 gesammelt. Den Wissenschaftlern fiel während ihrer Arbeit auf, dass die beiden bisher als apathogen angesehenen Spezies Eigenschaften hatten, die bisher nur ihrem gefährlichen Verwandten L. monocytogenes zugeschrieben wurden.
„Die von uns getesteten Bakterien der Spezies L. innocua besitzen einige der Gene, die auch bei der pathogenen L. monocytogenes vorkommen“, sagt Dr. Mafuna. Diese Gene, die in den beiden Listerien-Stämmen vorkommen, seien für Erkrankungen beim Menschen und für Stresstoleranz des Bakteriums, wie die Resistenz gegen das Desinfektionsmittel Benzalkoniumchlorid, verantwortlich. Forschungen anderer Gruppen hätten gezeigt, dass eine Listeriose zwar selten durch L. innocua verursacht würde, aber bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem häufiger auftrete.
Alle getesteten L. innocua-Stämme hätten außerdem die vollständige LIPI-4-Hypervirulenzgensequenz aufgewiesen, die beim Menschen zu Erkrankungen führen kann, so Mafuna. Die von seinem Team in L. innocua gefundene LIPI-4-Sequenz sei identisch mit der, wie sie vom Institut Pasteur in Paris in Proben von pathogenen L. monocytogenes nachgewiesen worden sei.
„Unsere Analysen können helfen, vorherzusagen, nach welchen Sequenzen wir Ausschau halten müssen“, sagt Mafuna. Besorgniserregend sei die Anzahl der potentiell gefährlichen Merkmale, die die L. innocua-Stämme mit L. monocytogenes gemeinsam hätten. Die Lebensmittelindustrie müsse nun auch L. innocua im Auge behalten, da der Stamm gegen Desinfektionsmittel resistent würde, die dort eingesetzt werden. Eine Entnahme von Abstrichen vor und nach einer Reinigung/Desinfektion könne zeigen, wie gut das aktuell verwendete Desinfektionsmittel noch funktioniere. Auch ein regelmäßiger Wechsel des Mittels könne helfen, einer Resistenzentwicklung entgegen zu wirken, empfiehlt der Experte.
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