Ein internationales Forscherteam hat einen neuen, bisher unbekannten Immundefekt entdeckt. Lest hier mehr dazu.
Bei sieben Kindern mit ausgeprägter Immunschwäche entdeckte ein internationales Forscherteam eine übereinstimmende T95R-Mutation im Gen für den Interferon-Regulations-Faktor 4 (IRF4). IRF4 ist ein Transkriptionsfaktor – das Protein steuert also, wieviel mRNA eine Zelle herstellt. Der Faktor ist aber auch während der Entwicklung und Aktivierung von Immunzellen wichtig. Die Patienten stammen aus sechs nicht verwandten Familien, die auf vier unterschiedlichen Kontinenten leben. Das Team konnte außerdem aufklären, wie sich die Mutation auf das Immunsystem auswirkt. Ein bisher unbeschriebener Mechanismus führt zu einem angeborenen, kombinierten Immundefekt. Darüber berichtet das Team in Science Immunology.
Angeborene Immundefekte sind selten und oft unterschiedlich stark ausgeprägt. „Immundefiziente Kinder leiden immer wieder an Infekten der oberen Atemwege“, erklärt Stephan Mathas, Spezialist für die Molekularbiologie von Transkriptionsfaktoren und Leiter der Arbeitsgruppe „Biologie maligner Lymphome“ am ECRC. Es sind häufig Infektionen mit dem Epstein-Barr- oder Zytomegalie-Virus oder mit Pneumocystis jirovecii; allesamt Infektionen, die Mediziner gut von anderen immungeschwächten Patienten kennen.
Auch die sieben Patienten leiden unter diesen Infektionen. Bei genauer Untersuchung hat darüber hinaus ihr Immunsystem Gemeinsamkeiten: „Es fiel auf, dass alle Kinder zu wenig Antikörper im Blut haben und sehr wenig B-Zellen, die normalerweise diese Antikörper produzieren. Zudem ist die Zahl ihrer T-Zellen und deren Funktionen im Vergleich zu Gesunden reduziert“, sagt Mathas.
Bei vielen Kindern mit angeborener Immunschwäche ist die Ursache des Defekts unbekannt, kann aber heutzutage durch Sequenzierung des Genoms ermittelt werden. Auf diese Weise kam auch die IRF4-Mutation T95R zutage. Durch engen Austausch unter Kollegen in internationalen Netzwerken wurde klar, dass es sich bei der genetischen Ursache der Erkrankung dieser Kinder, deren Familien nicht verwandt sind, um die gleiche Punktmutation handelt. Sie sind die Indexpatienten, bei denen der Defekt nun erstmals beschrieben wird. Dem Team ist es zudem gelungen, das gleiche Krankheitsbild auch durch gezielte Mutation des IRF4-Gens im Mausmodell zu erzeugen, wodurch es gelang, die durch die IRF4 ausgelösten Fehlfunktionen im Immunsystem im Detail besser zu verstehen.
Die Mutation T95R liegt immer nur auf einer der beiden Kopien des Erbguts. Und obwohl die Patienten auch immer die gesunde Form von IRF4 bilden, entwickeln sie alle diese Immunschwäche. „Die Biologie der Mutation schlägt quasi die der gesunden Form“, sagt Mathas. Wie Genomanalysen der Familien ergaben, erbten die Indexpatienten die Genveränderung nicht von ihren Eltern, sondern sie trat de novo in der Keimbahn oder der frühen embryonalen Entwicklung auf.
Die Mutation liegt genau an der Stelle des Transkriptionsfaktors IRF4, mit der dieses Protein an die DNA bindet. Statt der ursprünglichen Aminosäure Threonin sitzt dort nun Arginin. „Durch die Mutation verändert sich im Zusammenspiel mit weiteren Faktoren die Affinität von IRF4 für die DNA“, erklärt Mathas. Das mutierte IRF4 Protein bindet deshalb nicht nur an bekannte DNA-Bindungsstellen je nach Kontext stärker oder schwächer, sondern zudem auch an Stellen des Genoms, wo es gar nicht binden sollte; also Stellen, an denen der Wildtyp des Proteins nie haften würde. Durch bioinformatische Analysen gelang es den Forschern, diese neuen Bindungsstellen zu identifizieren. Die Forscher beschreiben die Mutation in ihrer Publikation deshalb als „multimorph“, weil nicht nur bestimmte Gene blockiert, sondern andere und sogar neue aktiviert werden.
Je nach Art und Ausprägung einer angeborenen Immunschwäche erhalten Betroffene beispielsweise Stammzelltransplantationen oder lebenslange, regelmäßige Injektionen mit Antikörpern. „Die nun publizierte Arbeit lässt vermuten, dass man die Bindungsstellen von mutierten Transkriptionsfaktoren verändern könnte, ohne dabei die gesunde Variante zu beeinflussen“, sagt Mathas.
Die IRF4-Mutation T95R wird nun jedenfalls in den Katalog der Gene kommen, die zur Diagnostik der angeborenen Immunschwäche gehören. Interessanterweise spielt IRF4 auch bei der Entstehung von bestimmten Blutkrebsarten, an denen Mathas Arbeitsgruppe forscht, eine wichtige Rolle.
Dieser Artikel beruht auf einer gemeinsamen Pressemitteilung des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft und der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Andrew Moca, unsplash