Einfach weg, andere Identität und keine Erinnerung an die Zeit davor – so geht es Patienten, die eine dissoziative Fugue erleben. Erfahrt hier, was dahintersteckt.
Die dissoziative Fugue ist ein Zustand, der durch plötzliches, zielgerichtetes Weggehen von seinem Wohn- oder Arbeitsort sowie vollständige oder teilweise Amnesie der eigenen Vergangenheit und Identität gekennzeichnet ist. Sie gehört zu den seltenen Erkrankungen und wurde von Rajah et al. als „schützende Aktivierung veränderter Bewusstseinszustände als Reaktion auf ein überwältigendes psychisches Trauma“ spezifiziert.
Der dissoziativen Fugue geht normalerweise ein belastendes Ereignis voraus. Der Zustand kann einige Tage bis Monate andauern und der Patient wirkt für unabhängige Beobachter normal, insbesondere wenn eine andere Identität angenommen wird. Die weltweite Prävalenz der dissoziativen Fugue wurde auf 0,2 % geschätzt. Eine Fugue kann Stunden bis Monate andauern, gelegentlich auch länger und wird oft mit anderen Erkrankungen wie posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen, Angstzuständen und Drogenmissbrauch in Verbindung gebracht.
Die DSM IV-Kriterien für Fugue erfordern, dass die vorherrschende Störung plötzlich ist, mit unerwarteter Wegreise von zu Hause oder dem eigenen Arbeitsplatz, verbunden mit der Unfähigkeit, sich an die eigene Vergangenheit zu erinnern. In seltenen Fällen wird die dissoziative Amnesie von gezieltem Reisen oder verwirrtem Umherwandern begleitet. Bei den dissoziativen Störungen wird vermutet, dass die Fähigkeit zur bewussten und selektiven Kontrolle über Erinnerungen und Empfindungen beeinträchtigt ist, die von Tag zu Tag oder sogar von Stunde zu Stunde variieren kann. Die dissoziative Fugue hat alle Merkmale der dissoziativen Amnesie, plus eine scheinbar zielgerichtete Flucht vom Heimatort oder dem Arbeitsplatz, während der die Selbstfürsorge aufrechterhalten wird.
Laut ICD-10 F 44.1 ist eine Fugue eingegliedert in neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen: „Eine dissoziative Fugue ist eine zielgerichtete Ortsveränderung, die über die gewöhnliche Alltagsmobilität hinausgeht. Darüber hinaus zeigt sie alle Kennzeichen einer dissoziativen Amnesie (F44.0). Obwohl für die Zeit der Fugue eine Amnesie besteht, kann das Verhalten des Patienten während dieser Zeit auf unabhängige Beobachter vollständig normal wirken.“
Eine dissoziative Fugue kann mit vielen anderen Zuständen wie Epilepsie, Demenz und anderen dissoziativen Störungen, Schizophrenie und bipolaren affektiven Störungen (manische Episoden) verwechselt werden. Die Diagnose wird basierend auf dem Vorliegen der folgenden Kriterien gestellt:
Fehlen wichtiger persönlicher Informationen, die nicht bei gewöhnlichem Vergessen verlorengehen.
Symptome verursachen Leiden oder beeinträchtigen soziale und berufliche Funktionsfähigkeit und lassen sich nicht durch Wirkung eines Arzneimittels oder eine andere Störung (z. B. partielle komplexe Krampfanfälle, Drogenmissbrauch, traumatische Hirnverletzung, posttraumatisches Stresssyndrom, andere dissoziative Störung) erklären.
Im Anschluss sollten folgende Methoden helfen, die Diagnose sicher zu bestätigen:
MRT (strukturelle Ursachen ausschließen)
EEG (Anfallsleiden ausschließen)
Blut- und Urintests (toxische Ursachen ausschließen)
Eine gezielte medikamentöse Therapie existiert nicht. Die Psychotherapie ist das Mittel der Wahl.
Eine Kasuistik von Clouden et al. berichtet von einer 20-jährigen alleinstehenden Frau, die von ihrer Wohngruppe wegen eines veränderten Geisteszustands in die Notaufnahme überwiesen wurde. Das Personal erklärte sie für vermisst, als sie nicht von der Arbeit zurückkehrte. Als sie sich mit dem Behandlungsteam der psychiatrischen Abteilung traf, erzählte sie eine zerstreute Geschichte über die Ereignisse vor ihrer Einweisung.
Eine Woche später rief der Psychiater an, um zu erfahren, ob die Patientin Teile ihres Gedächtnisses wiedererlangt und einen reibungslosen Übergang zurück in die Einrichtung hatte. Es ging ihr gut und sie verstand sich mit den anderen Bewohnern. Sie hat sogar an ihrem früheren Arbeitsplatz angefangen zu arbeiten. Ihr Arbeitgeber war bereit, sie aufgrund ihrer Berufserfahrung zu behalten. Der Psychiater rief nach sechs Monaten erneut an und erfuhr, dass sie in ihre neue Wohnung gezogen war. Schwache Erinnerungsstücke waren zurückgekehrt, aber sie blieb im Allgemeinen in diesen sieben Monaten amnestisch. Sie hielt sich weiterhin an ihre psychiatrische Behandlung, arbeitete und es ging ihr gut.
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