Mit einem Test herausfinden, welche Mutation einen Krebs auslöst und wie genau sie das tut – das wäre für die maßgeschneiderte Krebstherapie ideal. Eine neue Analysemethode soll genau das nun ermöglichen.
Krebs hat viele Gesichter. Kein Wunder also, dass auch die Bandbreite krebsauslösender Mutationen riesig ist. Die Gesamtheit solcher Erbgutänderungen eines Menschen wird als Mutationslandschaft bezeichnet. Je nach Krebsart unterscheiden sich diese Landschaften voneinander. Selbst Menschen, die am gleichen Krebs leiden, haben oftmals unterschiedliche Mutationsmuster.
Für zahlreiche Krebstypen haben Forscher die Mutationslandschaften bereits katalogisiert. Gezeigt hat sich, dass somatische Struktur-Variationen (SVs) mehr als die Hälfte aller krebstreibenden Erbgutänderungen ausmachen. Das sind diejenigen Mutationen in Zellen, die im Laufe des Lebens entstehen und dabei die Struktur der Chromosomen verändern. Sie werden nicht vererbt und finden sich nur in der betroffenen Zelle sowie in ihren Tochterzellen. Mit zunehmendem Alter werden solche Erbgutveränderungen zahlreicher, und die Mutationslandschaft eines Menschen gleicht immer mehr einem einzigartigen Mosaik.
Obwohl somatische SV bei der Krebsentstehung eine entscheidende Rolle spielen, weiß man relativ wenig über sie: „Es fehlen Methoden, mit denen sich ihre Auswirkungen auf die Funktion der Zelle untersuchen lassen“, erklärt Dr. Ashley Sanders, die am Max Delbrück Center die Arbeitsgruppe „Genominstabilität und somatischer Mosaisizmus“ leitet. Das ändert sich mit ihren neuesten Forschungsergebnissen, die sie in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) vor kurzem im Fachmagazin Nature Biotechnology veröffentlicht hat.
„Wir haben eine computergestützte Analysemethode entwickelt, mit der sich die funktionellen Auswirkungen von somatischen Struktur-Variationen entdecken und identifizieren lassen“, erklärt Sanders. Auf diese Weise konnte das Team die molekularen Folgen einzelner somatischer Mutationen bei verschiedenen Leukämiepatienten nachvollziehen und neue Erkenntnisse über die individuellen Unterschiede gewinnen. Diese Ergebnisse ließen sich wiederum für die Therapie nutzen, um gezielt die mutierten Zellen zu treffen. „Daraus ergeben sich spannende Möglichkeiten für die personalisierte Medizin“, sagt Sanders.
Die Grundlage für ihre Berechnungen sind Daten aus dem Strand-Sequencing (Strand-seq) – einer speziellen Einzelzell-Sequenzierungsmethode, die das Genom einer Zelle deutlich detaillierter untersuchen kann als konventionelle Einzelzell-Sequenzierungstechnologien. Denn die Strand-seq-Methode analysiert die beiden elterlichen DNA-Stränge unabhängig voneinander.
Mit herkömmlichen Sequenzierungsmethoden ist die Unterscheidung solcher Homologe – also Chromosomen, die sich hinsichtlich Form und Struktur ähneln, aber nicht identisch sind – nahezu unmöglich. „Durch die Unterscheidung der einzelnen Homologe in einer Zelle können somatische Struktur-Variationen deutlich besser als mit anderen Methoden identifiziert werden“, erklärt Sanders. Den dazu verwendeten Ansatz veröffentlichten die Forscherin und ihre Kollegen 2020 in Nature Biotechnology.
Aufbauend auf dieser Arbeit konnte das Team nun auch die Positionen der Nukleosomen in jeder Zelle bestimmen. Nukleosomen sind Einheiten aus DNA und Histonen, die für die Organisation der Chromosomen von Bedeutung sind. Während der Genexpression kann sich die Position von Nukleosomen verändern und die Art der Wicklung gibt Auskunft darüber, ob ein Gen aktiv ist oder nicht. Sanders und ihre Kollegen verglichen dann die Genaktivität von Patientenzellen mit und ohne somatische SV-Mutationen mit Hilfe eines von ihnen entwickelten selbstlernenden Algorithmus und konnten so die molekularen Auswirkungen der Struktur-Variationen bestimmen.
„Wir können nun eine Probe von einem Patienten oder einer Patientin nehmen, darin nach denjenigen Mutationen suchen, die zur Krankheit geführt haben und zusätzlich die Signalwege identifizieren, die durch die krankheitsverursachenden Mutationen gestört werden“, fasst Sanders zusammen.
Auf diese Art und Weise fand das Team beispielsweise bei einem Leukämiepatienten eine seltene, aber sehr aggressive Mutation. Die Nukleosom-Analyse verriet den Forschern etwas über die beteiligten Signalwege – Informationen, die sie nutzten, um das Wachstum von Zellen mit dieser Mutation gezielt zu hemmen. „Mit einem einzigen Test erfahren wir also etwas über die zellulären Mechanismen, die bei der Entstehung einer Krebserkrankung beteiligt sind“, sagt Sanders. „Dieses Wissen können wir schließlich nutzen, um maßgeschneiderte Behandlungen zu entwickeln, die sich an der individuellen Krankheit eines jeden Patienten orientieren.“
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Naomi Suzuki, Unsplash