Die kindliche Psyche leidet unter der Pandemie – das ist nicht neu. Jetzt zeigt aber eine Untersuchung, dass neben Angst- und Traumasymptomen auch Hinweise auf posttraumatisches Wachstum bei Kindern zu finden sind.
Bereits wenige Monate nach Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 stand das psychische Befinden von Kindern im Alter zwischen drei und zwölf Jahren im Fokus einer wissenschaftlichen Untersuchung unter der Leitung von Kathrin Sevecke, Direktorin der Innsbrucker Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter. Mehr als zwei Jahre und vier Online-Befragungen später liegt nun der Abschlussbericht aus insgesamt 4.480 ausgefüllten Fragebögen vor, der im Rahmen des Kinder- und Jugendpsychiatriekongresses in Innsbruck präsentiert wird.
Mit ihrem Team hat Sevecke anhand von Online-Fragebögen, die von Kindern selbst (ab dem 8. Lebensjahr) sowie von Eltern und Elementarpädagogen (für Kinder von 3 bis 12) in Tirol und Südtirol ausgefüllt wurden, eindeutige Erkenntnisse darüber gewonnen, wie Kinder die COVID-19-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen erlebt und bewältigt haben. „Wir konnten eine Hochrisikogruppe von Kindern mit klinisch relevanten Traumasymptomen und COVID-19-bezogenen Ängsten identifizieren, die einer besonderen Unterstützung bedürfen. Dazu kommt, dass sich die Ergebnisse zur psychischen Gesundheit sowohl von Vorschul- als auch von Schulkindern im Untersuchungszeitraum deutlich verschlechtert haben. Die gute Nachricht ist, dass wir auch positive Veränderungen unter den Kindern festgestellt haben“, berichtet Sevecke.
Als positive Veränderung wurde etwa ein gestärkter Zusammenhalt in der Familie, der Erwerb neuer Fähigkeiten oder von Selbständigkeit erlebt. Posttraumatisches Wachstum nennt sich dieses Phänomen, das traumatische Erfahrungen nicht nur als Defizit, sondern als Ressource von persönlichen Entwicklungsprozessen beschreibt. „Eine gezielte Unterstützung traumatisch gefährdeter Kinder kann die längerfristige Entwicklung von psychischen Problemen verhindern und die psychosoziale Widerstandsfähigkeit einer Gesellschaft stärken. Die nachhaltige Förderung von posttraumatischem Wachstum bei Kindern kann zur psychischen Gesundheit beitragen, dahingehende Ressourcen müssen unbedingt genutzt werden“, so Sevecke.
Die Belastung der Kinder und Jugendlichen in der Pandemiezeit hat auch die Ressourcen von therapeutischen und stationären Einrichtungen an ihre Grenzen gebracht. „Es gibt überzeugende therapeutische und vorbeugende Ansätze, die die Sensibilität für die Bedürfnisse von Kindern stärken und Belastungsstörungen frühzeitig verhindern können, sodass eine oft als stigmatisierend erlebte Psychotherapie gar nicht erst nötig wird“, weiß Ann-Christin Jahnke-Majorkovits, die sich als klinische Psychologin an der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hall vor allem mit Bindungsforschung und der Interaktion zwischen Eltern und Kind beschäftigt. Die Eltern-Kind-Beziehung ist oft Ursache für die Störungsanfälligkeit von Kindern. „Wir sind in Österreich die ersten, die eine Ausbildung in frühem Hometreatment in Form einer bindungsbezogenen Behandlung von ein- bis sechsjährigen Kindern und ihren Eltern auf der Basis von Videos anbieten“, berichtet Jahnke-Majorkovits.
Das vor allem bei Kleinkindern wirksame und an der Universität Leiden entwickelte Konzept der videobasierten Intervention VIPP-SD (Video-Feedback Intervention to Promote Positive Parenting and Sensitive Discipline) zielt darauf ab, Eltern frühzeitig in ihrer Feinfühligkeit zu unterstützen, um die Entwicklung von Selbstvertrauen und Sicherheit beim Kind zu fördern. Dabei werden im Zeitraum von sechs Monaten alltägliche Interaktionen zwischen Mutter oder Vater und Kind – wie spielen, essen oder aufräumen – gefilmt und bei Hausbesuchen im Abstand von zwei bis drei Wochen durch geschultes Personal gemeinsam analysiert.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Medizinischen Universität Innsbruck.
Bildquelle: Natalia Luchanko, unsplash