Je mehr Gehirnfalten, desto klüger ist der Hirnbesitzer – zumindest wird das immer gesagt. Stimmt prinzipiell auch, wenn man Mensch und Tier vergleicht. Aber was passiert, wenn wir zu viele Hirnfalten haben?
Die charakteristische faltige Oberfläche des Gehirns ist im Allgemeinen ein Indikator für eine höhere kognitive Funktion. Eine zu starke Faltung kann jedoch das Gegenteil bewirken.
Die Großhirnrinde, die durch ihre ausgeprägten Hirnwindungen und Sulci gekennzeichnet ist, steuert die kognitiven und exekutiven Funktionen – vom bewussten Denken, über die Sprache, bis hin zur emotionalen Kontrolle. Die meisten Tiere mit großen Gehirnen weisen eine kortikale Faltung auf, die es ermöglicht, eine sehr große Fläche des Großhirnrindengewebes innerhalb der Grenzen des Schädels zu verdichten. Je mehr Falten, desto fortgeschrittener und komplexer sind die kognitiven Funktionen der jeweiligen Art.
Bei einigen Menschen ist die übermäßige Faltung der Großhirnrinde jedoch nicht mit größeren kognitiven Fähigkeiten verbunden, sondern mit einer Verzögerung der neurologischen Entwicklung, geistiger Behinderung und epileptischen Anfällen. Die Gene, die diese Faltung steuern, sind weitgehend unbekannt. Eine aktuelle Studie, die in PNAS veröffentlicht wurde, bringt nun neue Erkenntnisse zur menschlichen Gyrifizierung.
Ein Forscherteam rund um Dr. Joseph Gleeson, Professor für Neurowissenschaften an der UC San Diego School of Medicine, führte über einen Zeitraum von zehn Jahren Genomanalysen an fast 10.000 Familien mit pädiatrischen Hirnerkrankungen durch, um nach neuen Krankheitsursachen zu suchen. „In unserer Kohorte fanden wir vier Familien mit Polymikrogyrie. Sie haben also zu viele Hirnwindungen, die zu dicht gepackt sind“, so Gleeson. „Bis vor kurzem haben die meisten Krankenhäuser, die Patienten mit dieser Erkrankung behandelten, nicht auf genetische Ursachen getestet. Das Konsortium war in der Lage, alle vier Familien gemeinsam zu analysieren, was uns bei der Entdeckung einer Ursache für diesen Zustand geholfen hat.“
Konkret wiesen alle vier Familien Mutationen in einem Gen namens Transmembranprotein 161B (TMEM161B) auf, das ein Protein mit bisher unbekannter Funktion auf Zelloberflächen produziert. „Nachdem wir TMEM161B als Ursache identifiziert hatten, machten wir uns daran zu verstehen, wie die übermäßige Faltung zustande kommt“, sagt Erstautor Dr. Lu Wang. „Wir entdeckten, dass das Protein das zelluläre Skelett und die Polarität kontrolliert – und diese steuern die Faltung.“
Mit Hilfe von Stammzellen, die aus Hautproben von Patienten gewonnen wurden, und mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mäusen identifizierten die Forscher dann Defekte in den neuronalen Zellinteraktionen in einem frühen Stadium der Embryogenese. „Wir haben herausgefunden, dass das Gen für die Veränderungen des Zytoskeletts, die für die Interaktion der Nervenzellen untereinander erforderlich sind, notwendig und ausreichend ist“, so Wang. „Es war interessant, dass das Gen in der Evolution zuerst in Schwämmen auftauchte, die nicht einmal ein Gehirn haben – also muss das Protein offensichtlich andere Funktionen haben. Hier haben wir eine entscheidende Rolle bei der Regulierung der Anzahl der Falten im menschlichen Gehirn gefunden.“
Die Studienautoren betonten, dass genetische Entdeckungsstudien wichtig sind, weil sie die Ursachen menschlicher Krankheiten aufzeigen. Sie sagen aber auch, dass es viele Jahre dauern kann, bis diese Entdeckungen in neuen Behandlungsmethoden umgesetzt werden. „Wir hoffen, dass Ärzte und Wissenschaftler unsere Ergebnisse nutzen können, um die Diagnose und Behandlung von Patienten mit Hirnerkrankungen zu verbessern“, so Gleeson.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der University of California – San Diego. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: David Clode, unsplash