Die Engpässe bei Paracetamol, Ibuprofen und vielen weiteren Arzneimitteln sind doch nicht so schlimm, oder? Das können kreative Apos kinderleicht abfangen! Nun ja, mein Zeitfresserzettel sagt da was anderes.
Die Lieferengpässe rauben uns Zeit. Wie viel Zeit, das habe ich gestern einmal versuchsweise festgehalten, indem ich mir am Vormittag einen Fresszettel in die Tasche gesteckt und bei jedem Engpassproblem eine Notiz vermerkt habe. Wieso? Weil ich glaube, dass vielen da draußen gar nicht bewusst ist, wie sehr sich die Apotheken vor Ort deshalb wieder einmal ins Zeug legen!
Hier seht ihr, was ich mir an diesem Tag auf meinem Zettel notiert habe:
Was bedeutet das? Hier kommen die Stories zu jedem Punkt.
Clonid ophtal®: Es lag ein Rezept einer Augenklinik über einzeldosierte Augentropfen mit der Menge 60 Stück vor. Diese sind nicht lieferbar, aber wir haben eine 120-Stück-Packung am Lager. Nur: Braucht der Patient wirklich so viele? Sollte ich lieber 60 Stück auseinzeln? Aber werde ich dann die angebrochene Packung los? Ich habe also die Klinik angerufen, nur war dort kein Arzt greifbar, den man hätte fragen können. Man versprach einen Rückruf, ich habe mir die Telefonnummer des Patienten aufgeschrieben und die Packung zurückgelegt. Zwei Stunden später wurde ich tatsächlich zurückgerufen (eine echte Seltenheit, wenn man es mit Kliniken zu tun hat), die größere Packung wurde bestätigt. Dann habe ich mich wieder beim Patienten gemeldet, der das Medikament später abholte.
Kanamytrex®: Akut benötigt für ein Kind mit Augenentzündung, nicht lieferbar. Die Mutter hatte bereits in vier anderen Apotheken gefragt und war der Verzweiflung nah. Unsere Partnerapotheken haben auch kein vergleichbares Medikament da. Ich habe der Mutter zuliebe herumtelefoniert und bin bei der dritten Apotheke fündig geworden. Sie legen die Packung zurück und ich erkläre der Kundin den Weg zur Konkurrenz. Sie ist sehr dankbar und ich hoffe, dass sie uns wenigstens in positiver Erinnerung behält (eine Versandapotheke gibt sich einen solchen Aufwand sicher nicht).
Ambroxol-Saft: Ein Rezept über den Saft zum Hustenlösen für ein Kind liegt vor. Wieder sind wir nicht die erste Apotheke, die der Vater besucht, und wieder sind auch wir ausverkauft. Wir haben noch genau eine Flasche Mucosolvan®, allerdings in anderer Dosierung als auf dem Rezept. Der Vater verzichtet auf das Rezept und kauft die Flasche selbst, nachdem ich ihm erklärt habe, dass ich nicht einfach eine andere Dosierung auf das gleiche Rezept abgeben darf, weil wir sonst retaxiert werden. Der Kinderarzt ist telefonisch nicht zu erreichen. Ich gebe dem Vater den Tipp, den Kassenbon aufzubewahren und mit einem neuen Rezept wiederzukommen, das wir dann verrechnen können. Ich habe den Eindruck, er glaubt mir nicht und denkt, wir wollten ihn abzocken. Auch schön.
Lamotrigin, Ramipril, Bisoprolol: Hier fasse ich mal zusammen – das waren drei unterschiedliche Vorgänge, die jeweils mit „Aut Idem“ gekennzeichnet, aber so nicht lieferbar waren. In jedem Fall habe ich mit der Arztpraxis gesprochen, um das „Aut Idem“ streichen zu können. Jedes Mal hieß es: „Ach, ich weiß auch nicht, warum wir da ein Kreuz gemacht haben. Streichen Sie es halt.“ Aber wehe dem, ich würde das ohne Rücksprache machen. DANN wäre es sicher lebensnotwendig gewesen. Es würde eine irre Zeit sparen, wenn man die Formalitäten ernst nimmt und das Kreuz echt nur dann setzt, wenn es wirklich notwendig ist! In zwei Fällen ging es übrigens um Bestellungen per App, die ich dann schriftlich darüber in Kenntnis setzen musste, dass ich etwas nach ärztlicher Rücksprache geändert habe. Das frisst zusätzlich Zeit.
Paracetamol: Der Wirkstoff ist als Saft und Zäpfchen bekanntlich derzeit nicht lieferbar. Wir haben daher 250 g Substanz eingekauft, um Zäpfchen und Saft selbst herzustellen, wenn alle Stricke reißen. Schön und gut, aber wir bekommen derzeit weder die Hydroxyethylcellulose, um die Säfte anzudicken, noch ausreichende Mengen an Hartfett, um die Zäpfchen herzustellen. Ich telefonierte mit drei verschiedenen Großhändlern, um wenigstens eine kleine Menge davon zu ergattern. Ach ja: Hartfett ist in der letzten Zeit echt teuer geworden. Seltsam, nicht wahr?
So – und nun soll mir nochmal jemand sagen, dass Lieferengpässe nicht so viel Zeit fressen, dass die Apotheken dafür einen Ausgleich verdient hätten. Schade, dass es dafür keine Sonder-PZN gibt, die man aufdrucken kann, sobald man mit einem Arzt telefonieren oder ein Produkt irgendwie aufwändiger beschaffen muss. Wieso eigentlich nicht?
Bildquelle: Luke Brugger, unsplash