Die Zahl der herzchirurgischen Eingriffe steigt stetig – Begleiterkrankungen und erhöhte Sterblichkeit inklusive. Die Gabe des Spurenelements Selen galt als Risikominimierer. Ob das wirklich so ist, untersuchte jetzt ein Forscherteam.
Wie lassen sich Komplikationen wie zum Beispiel Multiorganversagen nach komplexen Herzoperationen reduzieren? Eine Hoffnung lag bislang im Spurenelement Selen, da es als essenzieller Kofaktor vieler anti-entzündlich wirksamer Enzyme die körpereigenen Abwehrmechanismen stärken kann und auf klinische Vorteile bei Patienten mit komplexen herzchirurgischen Eingriffen hinwies.
In einer multizentrischen, randomisierten, doppelt verblindeten und placebo-kontrollierten Studie haben Forscher nun gezeigt, dass die intravenöse Gabe hochdosierten Selens vor, während und nach der Operation nicht zu einer signifikanten Verringerung der Mortalität und Morbidität führt. Die Studie wurde im Journal der American Medical Association (JAMA Surgery) veröffentlicht.
Die Hintergründe des Forschungsprojekts beschreibt Prof. Christian Stoppe, Erstautor und Initiator der Studie, vom Universitätsklinikum Würzburg: „Die Zahl an Herzoperationen steigt jedes Jahr weltweit weiter an, trotz Zunahme von minimalinvasiven Verfahren in der Kardiologie. Das hat nicht nur demografische Gründe, sondern liegt auch an den verbesserten Operationsmethoden, schonenderen Narkosen und einer verbesserten sich anschließenden intensivmedizinischen Behandlung. Aufgrund des allgemein steigenden Durchschnittsalters der Patientinnen und Patienten und der zunehmenden Begleiterkrankungen, werden die herzchirurgischen Eingriffe jedoch oft komplexer und länger, wodurch die Gefahr für lebensbedrohliche Komplikationen steigt. So entwickeln sich oft postoperative Organdysfunktionen, die umfassende intensivmedizinische Maßnahmen erfordern.“
In einer vorhergehenden Studie hatten Stoppe und Kollegen bereits herausgefunden, dass Herzoperationen unter Verwendung einer Herz-Lungen-Maschine zu einem Rückgang von antioxidativen Spurenelementen führen. Es entsteht oxidativer Stress, der eine Entzündungsreaktion auslöst, die sich wiederum negativ auf die Funktion der Blutgefäße und Organsysteme auswirkt.
„In der Beobachtungsstudie konnten wir niedrige Selenspiegel mit postoperativen Multiorganversagen in Verbindung bringen“, berichtet Stoppe. „In einer nachfolgenden Anwendungsbeobachtung zeigten sich klinische Vorteile einer Selen-Supplementierung bei herzchirurgischen Patienten.“ Das Spurenelement trägt zu entzündungshemmenden und immunstimmulierenden Prozessen im Körper bei.
Um die Selen-Therapie in die Leitlinien aufnehmen zu lassen, fehlte jedoch ein höheres Maß an Evidenz. Daher hat Stoppe gemeinsam mit Prof. Daren Heyland von der Clinical Evaluation Research Unit am kanadischen Kingston General Hospital die sustainCSX-Studie ins Leben gerufen. An 23 Standorten in Deutschland und Kanada wurden insgesamt 1.394 Herz-Patienten, die nach dem EuroSCORE II ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko aufzeigten (> 5 Prozent) oder bei denen mehrere chirurgische Eingriffe geplant waren, untersucht. Nach dem Zufallsprinzip erhielt die Hälfte von ihnen 2.000 Mikrogramm Natriumselenit vor der Herz-Operation, gefolgt von 2.000 danach und weitere 1.000 Mikrogramm Natriumselenit täglich auf der Intensivstation für maximal 10 Tage. Die Vergleichsgruppe erhielt ein Placebo.
Das Ergebnis zeigte: Die hochdosierte Selen-Supplementierung konnte die Entwicklung von Organfunktionsstörungen nicht signifikant reduzieren. 4,2 Prozent der Studienteilnehmer verstarben innerhalb von 30 Tagen nach der Operation in der Selengruppe, 5 Prozent in der Placebogruppe.
„Eine Selen-Supplementierung kann aber möglicherweise die Notwendigkeit zur Wiederaufnahme auf eine Intensivstation verringern“, gibt Stoppe zu Bedenken. „Ebenso bleibt aufgrund des technischen Fortschritts und der stetigen Verbesserungen im Bereich der Herzchirurgie offen, ob sich zukünftige Interventionen nur auf Patienten mit erhöhtem Risikoprofil fokussieren sollen. In der klinischen Praxis wird es immer wichtiger, Strategien zu entwickeln, um Patienten mit erhöhter Komplikationsgefahr frühzeitig zu identifizieren und nur ihnen etwaige Nährstoffe zu verabreichen.“
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des Universitätsklinikums Würzburg. Hier findet ihr die Originalpublikation.
Bildquelle: Alexander Grey, unsplash