Private Investoren übernehmen immer mehr Arztpraxen – vor allem MVZ wecken Begehrlichkeiten. Die BÄK hat jetzt Stellung bezogen. Wir haben für euch einen exklusiven Blick ins Positionspapier geworfen.
Das Problem ist weder neu noch unbekannt: Immer mehr Arztpraxen sehen sich mit der Übernahme durch private Investoren konfrontiert. Ein Zustand, den die Politik ebenso auf dem Schirm hat wie die Ärztevertreter. Letztere haben ihren Vorschlag dazu jetzt in einem Positionspapier niedergeschrieben. Darin zeigen sie auf, wie MVZ davor geschützt werden könnten, zu lukrativen Spekulationsobjekten zu werden.
Mit der Veröffentlichung des GKV-Modernisierungsgesetz am 1. Januar 2004 tauchte das Konzept der MVZ erstmals im deutschen Gesundheitswesen auf. Der Plan dahinter: „Die Errichtung fachübergreifender institutioneller Leistungserbringer, in denen angestellte Ärzte arbeiten.“ Die zweite Neuerung stellt dabei das modell-charakteristische Problem und damit Einfalltor für Privatinvestoren da: Bewusst wurde der „Kreis potenzieller Inhaber dieser institutionellen Leistungserbringer nicht auf niedergelassene (Vertrags-)Ärzte beschränkt“. So sollte die ambulante Versorgung entzerrt werden.
Und es sah lange aus, als funktioniere das wie gewünscht – bis peu á peu Facharztverbände die Sorge vor verstärktem wirtschaftlichem Interesse einzelner Investoren äußerten. Augen- und Zahnarztpraxen gehörten zu den ersten betroffenen Einrichtungen. Kein Wunder, lassen sich Eingriffe hier besonders gewinnbringend durchführen.
Dass die Anzahl der Übernahmen exponentiell steigt und insbesondere die vergangenen beiden Jahre stark von solchen Investitionen geprägt waren, zeigt das Rechtsgutachten von 2020, das den „Stand und Weiterentwicklung der gesetzlichen Regelungen zu medizinischen Versorgungszentren (MVZ)“ darstellt. Die vom BMG beauftragten Gutachter kommen darin zu dem Schluss, dass „angesichts der vielfältigen – sich gegenseitig ergänzenden und verstärkenden – Vorschriften aller Rechtsbereiche“ die bestehenden Regulierungsrahmen für MVZ ausreichend seien. „Die Einführung neuer Maßnahmen zum Schutz der Behandlungstätigkeit in MVZ vor sachfremden Einflüssen der Trägerebene ist nicht erforderlich.“ Das ist das wohl eine Einschätzung, die Minister Lauterbach nun korrigieren möchte.
Dass die ursprünglichen Pläne keinesfalls per se abgetan werden sollten, zeigt nicht nur die Annahme des Modells durch die ärztliche Seite – so ist der Wunsch nach geregelten Arbeitszeiten bzw. einem Angestelltenverhältnis größer denn je. Laut BÄK arbeiteten 26.000 Ärzte am 31. Dezember 2021 in MVZ, 93 Prozent davon als Angestellte (gegenüber 16.000 in 2016).
Auch sehen Ärztevertreter den möglichen positiven Effekt von Investitionen. Vor allem notwendige technischen Neuerungen sind oft kostspielig und können nicht überall durchgeführt werden. Entsprechend steht vor der Thematisierung des Problems, dass „die hinter der Einführung stehende Idee einer interdisziplinären und sektorenverbindenden Versorgung an einem Ort sinnvoll und mehr denn je zeitgemäß“ ist.
Dass die Öffnung der MVZ für private Investoren bereits im Gedankenspiel eine Kommerzialisierung mit sich bringt, ist von vornherein klar. Dass dies wiederum einen wirtschaftlichen Druck erzeugen kann, dem nicht alle Häuser standhalten, ist ebenfalls systemimmanent. Naheliegend also, wenn private Gelder verlocken. Und weiter geht’s in der leicht nachzuvollziehenden Kausalkette: Private Geldgeber sind selten generöse Altruisten – viel eher erwarten sie Gewinn. Gewinne im Gesundheitssystem werden nun wieder durch aufwendige Behandlungen und Operationen erwirtschaftet. Will heißen: Sind am Ende des Monats nicht genügend OPs gelaufen, kann es eng werden. Und so lauten die Renditevorgaben mancher Investoren 10 Prozent und mehr.
Wenn es darum geht, die Medizin gegenüber der Wirtschaft wieder in den Vordergrund zu stellen, ist Captain Lauterbach nicht weit. Was der Gesundheitsminister unlängst zur Klinikreform angekündigt hatte, führt er auch im ambulanten Bereich fort: „Wenn Sie zehn Prozent Rendite oder mehr rausholen, dann ist das mit seriöser Medizin kaum möglich. […] Kliniken dürfen nicht zum Einheitspreis abrechnen. Sonst macht das Krankenhaus mit der schlechten Billig-OP viel Gewinn, während die Uni-Klinik mit der Hightech-OP Minus einfährt. Die Discounter-Gewinne gehören abgeschafft. Aber mit Top-Qualität soll eine Klinik Gewinne erwirtschaften“, fasst Lauterbach das Problem gegenüber der Bild am Sonntag zusammen.
Auch wenn die Politik die schwierige Lage erkannt hat, sind es die Ärzte selbst, die nun konkrete Vorschläge zur Besserung der Situation haben. Ihr Positionspapier baut dazu auf einige wichtige Punkte. Unter struktureller Neuerung kann man verstehen, dass ausschließlich fachübergreifende MVZ zugelassen werden – was die ursprüngliche Intention aufgreift und stärkt. Auch die Voraussetzung eines örtlichen und fachlichen Bezugs zwischen Krankenhaus und MVZ sehen die Ärzte als notwendig an. Beides baut darauf, dass die Patienten in einer freien Facharztwahl gestärkt werden.
Daneben sollen mit einer Begrenzung der Marktanteile und Überprüfung der Versorgungsaufträge möglichen regionalen und überregionalen Monopolstellungen vorgebeugt werden. Vor allem aber soll durch die Prüfung des Versorgungsauftrags vermieden werden, dass MVZ sich „auf einzelne, besonders lukrative, oftmals prozedurale Leistungen des Fachgebiets“ konzentrieren. Sollte das Urteil nach Prüfung negativ ausfallen, soll eben jenen MVZ auch die Zulassung entzogen werden können.
Die unter Umständen schärfste Klinge im Kampf gegen die Investoren-Flut findet sich zwar auch im Positionspapier der BÄK, kommt aber bereits aus dem Gutachten von 2020 – so sollen „umfassende Informationen über zugelassene medizinische Versorgungszentren, deren Träger sowie deren wirtschaftlich Berechtigte und ärztlichen Leiter am Vertragsarztsitz und weiteren Orten vertragsärztlicher Tätigkeit“ gewährleistet und zugänglich gemacht werden. Im Zweifelsfall haben Patienten damit die Möglichkeit, sich über die wirtschaftlich Verantwortlichen des MVZ selbst zu informieren und daraus ihre Schlüsse zu ziehen, so die Ärztekammer.
Darüber hinaus hat die BÄK eine Reihe weiterer Vorschläge an die Politik herangetragen, die gleichzeitig die initiale Idee aufrechterhalten und die bestehende Struktur widerstandsfähiger gegen Privatinvestments macht. Das soll den medizinischen Versorgungsauftrag in den Mittelpunkt rücken – durch zum Beispiel das Verbot von Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträgen, die Stärkung der Stellung des ärztlichen Leiters sowie die Streichung der Konzeptbewerbung von MVZ.
Wohin die Reise in Sachen ambulante Versorgung und MVZ-Struktur geht, wird der Jahresverlauf zeigen. Nach Vorlage des Positionspapieres ist es jetzt an Minister Lauterbach, die Vorschläge in Gesetze zu gießen.
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