Ältere Männer geben häufiger Genmutationen und somit Erbkrankheiten an ihre Nachkommen weiter. Die Mechanismen dahinter sind nicht vollständig geklärt. Wissenschaftler konnten nun ein wenig Licht ins Dunkel bringen.
Das männliche Fortpflanzungssystem ist ein Hotspot der Entstehung neuer Gene, was erklären könnte, weshalb Mutationen häufiger von Vätern als von Müttern vererbt werden. Unklar ist aber, warum ältere Väter mehr Mutationen weitergeben als jüngere. Die Mechanismen, die diesem gut dokumentierten Phänomen zugrundeliegen, blieben lange Zeit ein Rätsel. Eine neue Studie zeigt nun, warum ältere männliche Fruchtfliegen mit größerer Wahrscheinlichkeit Mutationen an ihre Nachkommen weitergeben. Die Ergebnisse lassen Rückschlüsse auf das menschliche Fortpflanzungssystem und somit auf die Entstehung von Erbkrankheiten zu.
Ein Team um die Wissenschaftlerin Li Zhao untersuchte darin Mutationen, die während der Spermienproduktion aus Keimzellen – der Spermatogenese – auftreten. Sie fanden heraus, dass in den Hoden sowohl junger als auch älterer Fruchtfliegen Mutationen generell häufig vorkommen. Bei älteren Fliegen jedoch waren die Mutationen von vornherein zahlreicher als bei den Jüngeren. Bei den jungen Fliegen schienen viele dieser Mutationen während der Spermatogenese durch körpereigene Reparaturmechanismen entfernt zu werden – in den Hoden älterer Fliegen wurde diese Technik nicht beobachtet.
„Wir wollten herausfinden, ob die ältere Keimbahn bei der Reparatur von Mutationen weniger effizient ist oder ob die Keimbahn der älteren Fliegen von Beginn an einfach mehr Mutationen aufweist“, erklärt Erstautor Evan Witt den Forschungsansatz. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass eigentlich beides der Fall ist. In jedem Stadium der Spermatogenese kommen bei älteren Fliegen mehr Mutationen pro RNA-Molekül vor als in jüngeren Fliegen.“
Genome betreiben durch ihre Reparaturmechanismen Selbstfürsorge: Wenn es um die Hoden geht, müssen sie jedoch häufig Überstunden machen, da dort die Genexpressionsrate im Vergleich zu anderen Organen am höchsten ist. Gene, die in der Spermatogenese stark exprimiert werden, weisen tendenziell weniger Mutationen auf als solche, die nicht exprimiert werden. Das klingt kontraintuitiv, ist aber durchaus sinnvoll: Ein Erklärungsansatz, warum die Hoden so viele Gene exprimieren ist, dass es sich dabei um eine Art genomische Überwachungsstation handeln könnte – eine Möglichkeit, riskante Mutationen zu entdecken und auszusortieren. Bei älteren Spermien scheinen die Reparaturmechanismen jedoch ins Stocken zu geraten. Frühere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass ein fehlerhafter transkriptionsgekoppelter Reparaturmechanismus, der lediglich transkribierte Gene repariert, dafür verantwortlich sein könnte.
Um zu diesen Erkenntnissen zu gelangen, sequenzierten die Wissenschaftler die RNA aus den Hoden von etwa 300 Fruchtfliegen, von denen etwa die Hälfte jung (48 Stunden) und die andere Hälfte alt (25 Tage) war. Um herauszufinden, ob es sich bei den entdeckten Mutationen um somatische Mutationen handelt oder um De-novo-Mutationen – solche, die im Keim der einzelnen Fliege entstehen – sequenzierten sie anschließend das Genom jeder Fliege. Die Wissenschaftler konnten nachweisen, dass jede Mutation ein echtes Original war: „Wir können eindeutig sagen, dass diese Mutation der DNA in den somatischen Zellen derselben Fliege nicht vorhanden war“, sagt Witt. Es muss sich also um eine De-novo-Mutation handeln. „Dies ist eine gute Möglichkeit, die Mutationslast zwischen Zelltypen zu vergleichen, weil man sie während der Spermatogenese verfolgen kann“, lobt Witt das unkonventionelle Vorgehen zur Bestimmung der genomischen Mutationen.
Im nächsten Schritt soll die Analyse auf weitere Altersgruppen ausgedehnt werden, um den Transkriptionsreparaturmechanismus zu testen und die dafür verantwortlichen Signalwege zu identifizieren. Die Forscher wollen klären, welche Gene den Unterschied zwischen alten und jungen Fliegen in Bezug auf die Mutationsreparatur wirklich antreiben. „Es ist weitgehend unbekannt, ob eine stärker mutierte männliche Keimbahn mehr oder weniger fruchtbar ist als eine weniger mutierte. Außer auf Bevölkerungsebene gibt es dazu nicht viel Forschung – und wenn Menschen mehr Mutationen von alternden Vätern erben, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass de novo genetische Störungen oder bestimmte Krebsarten auftreten“, erläutert Witt. Die Untersuchung der Mutationsmuster sollen auch neue Erkenntnisse über die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit bringen.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Rockefeller University. Hier findet ihr die Originalpublikation.
Bildquelle: Gianluca Carenza, unsplash.