Nach medialem Getöse zur Einflussnahme auf die Politik in Sachen PCR-Tests wehren sich jetzt die Labormediziner. Sie fühlen sich zu Unrecht an den Pranger gestellt – was ist dran?
Mit investigativen Recherchekollektiven und deren Projekten ist das so eine Sache. Einerseits führen diese Recherchen, bei denen typischerweise mehrere Redaktionen kooperieren, immer wieder zu wichtigen Enthüllungen. Mitunter verselbstständigen sich Themen im Rahmen solcher Recherchen aber auch: Es wird sehr viel Arbeit reingesteckt, und es muss irgendetwas dabei rauskommen – selbst wenn sich der Skandalwert am Ende in Grenzen hält. An der am Wochenende publizierten Recherche zu den Preisen der SARS-CoV-2-PCR-Tests in Deutschland und zum Agieren der akkreditierten Labore in der Medizin (ALM) lässt sich diese Gratwanderung gut illustrieren.
Was ist geschehen? Ein Recherchekollektiv von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung hat dazu recherchiert, wie die ALM und das Bundesgesundheitsministerium im vor allem ersten Jahr der Pandemie in Sachen Kosten für PCR-Tests und in Sachen Gesetzesvorhaben interagiert haben, die auf eine eventuelle Ausweitung der PCR-berechtigten Institutionen in Richtung weiterer (tiermedizinischer) Labore und anderer Akteure zielten. Anhand von teils öffentlich einsehbaren, teils bis dato nicht bekannten Dokumenten vertreten die Journalisten in unterschiedlichen Publikationen die These, dass die Corona-PCR-Tests in Deutschland „wohl Milliarden Euro zu teuer“ gewesen seien, weil die ALM so erfolgreich lobbyiert habe. Der Hinweis auf hinter mehreren der großen Laboranbieter stehende Kapitalgesellschaften darf da nicht fehlen.
Das Ganze hat natürlich mehrere Seiten. Dass die ALM eine Lobby-Organisation ist, ist unstrittig. Allerdings war sie nicht nur als Vereinigung von Laboren, die in großem Umfang PCR-Tests zur Verfügung stellen konnten, in der Pandemie präsent, sondern auch als einer der sich regelmäßig zu Wort meldenden Datenlieferanten. Insbesondere in der früheren Phase der Pandemie, um die es bei der ganzen Diskussion wesentlich geht, waren die Daten der ALM oft schneller verfügbar als andere und wurden zusätzlich in zahllosen Pressekonferenzen sehr gut interpretiert und kommuniziert.
Die ALM gehört daher eindeutig zu den Organisationen, die sich um die Pandemiebekämpfung in Deutschland verdient gemacht haben. Und sie ist natürlich nicht die einzige Lobby-Organisation, die in der Pandemie auch eigene Interessen vertreten hat. Tagessätze für Ärzte von 1.000 Euro und mehr in den Impfzentren fielen nicht vom Himmel. Apotheker haben dank Lobbyarbeit am Maskenverkauf sehr gut verdient. Und dass die Impfstoffindustrie nicht nur sehr gute Preise verhandelt, sondern auch bemerkenswert günstige Verträge erreicht hat, ist ebenfalls kein Geheimnis – genauso wenig wie die Tatsache, dass die Politik durch die Öffentlichkeit unter enormen Handlungsdruck gesetzt wurde.
Die ALM hat jetzt auf die Vorwürfe der Journalisten mit einer fünfseitigen Stellungnahme reagiert. Unter anderem sieht sich die Organisation zu Unrecht zur alleinigen Zielscheibe gemacht, da inhaltlich in vielen Fällen gleich oder ähnlich lautende Stellungnahmen von unter anderem dem Berufsverband Deutscher Laborärzte (BDL), dem Berufsverband der Ärztinnen und Ärzte für Mikrobiologie (BÄMI) sowie Fachgesellschaften und der KBV nicht erwähnt würden. Die Laborärzte weisen auch darauf hin, dass im Sommer 2020 in einem global zu diesem Zeitpunkt extrem angespannten In-vitro-Diagnostik-Markt hohe Investitionen in teilautomatisierte Hochdurchsatzsysteme nötig gewesen seien, um die politisch gewünschten PCR-Kapazitäten in kurzer Zeit aufzubauen und die entsprechenden Untersuchungen qualitätsgesichert anbieten zu können. Gleichzeitig sei die finanzielle Situation für die Labore temporär schwierig gewesen, da die angeforderten Standard-Laborleistungen pandemiebedingt zeitweilig um bis zu 40 Prozent einbrachen, während auf der anderen Seite ein 24/7-Betrieb bei den Corona-PCRs erwartet wurde.
Anders als vom Rechercheverbund suggeriert, hätten die durchschnittlichen Reagenzkosten im Sommer 2020 nicht einige wenige Euro, sondern rund 23 Euro betragen, wenn die durchschnittlichen Vollkosten als Berechnungsgrundlage genutzt werden, betont die ALM. Der Vergleich mit den Kosten sogenannter Point-of-Care-PCR-Systeme sei nicht zielführend, da es sich um vollkommen andere Testsysteme mit nicht direkt vergleichbaren Anwendungsbereichen handele.
Hinsichtlich der politisch zunächst geplanten, dann aber nicht umgesetzten Einbeziehung veterinärmedizinischer Labore in die PCR-Diagnostik betont die ALM, dass die im November vorgetragenen, fachlichen Argumente gegen eine Erweiterung des Kreises der SARS-CoV-2-PCR berechtigten Leistungserbringer von mehreren anderen Verbänden und Körperschaften in analoger Weise vorgebracht worden seien. Verschwiegen werde zudem, so die ALM, dass eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes den Veterinärmedizinern zu einem späteren Zeitpunkt die SARS-CoV-2-PCR ermöglichte. Diese Erweiterung des Anbieterspektrums habe „keinen signifikanten Effekt bei der Bekämpfung der Pandemie“ gehabt.
Hier stellt sich unabhängig davon die Frage, inwieweit eine Mengenausweitung bei den PCR-Tests das deutsche Pandemiemanagement verbessert hätte. Möglicherweise wäre es auch durch die Zunahme von rund einer Million PCR-Tests pro Woche in den ALM-Laboren auf von einigen ins Spiel gebrachte 4–5 Millionen pro Woche einfach nur (noch) teurer geworden, selbst wenn der Preis pro Einzel-PCR gesunken wäre. Dieser inhaltliche Punkt ist strittig und auch nicht Thema der veröffentlichten Artikel. Insbesondere das No-Covid-Lager hat immer stark für eine Ausweitung der PCRs, u. a. in Richtung Schul-Screening, lobbyiert, während ALM (und viele andere) für ein gezieltes (PCR-)Testen plädiert hatten. Das war die Position, die sich in Deutschland am Ende politisch weitgehend durchsetzte.
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