Zeit für eine Zwischenbilanz: Digitale Gesundheitsanwendungen sind nicht wirklich in der Regelversorgung angekommen. Was läuft schief? Und welche Lösungen gibt es?
Ein kurzer Rückblick, Oktober 2020. Mit großem Brimborium hat der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn den digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) den Weg bereitet. Apps oder Online-Tools auf Rezept sollten die Behandlung zahlreicher Erkrankungen revolutionieren. Nach mehr als zwei Jahren ist von der damaligen Aufbruchstimmung nicht mehr viel zu spüren. Das liegt vor allem an einigen konzeptionellen Schwächen.
© BfArM
Zum Hintergrund: DiGA unterstützen „die Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten oder die Erkennung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen“, schreibt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Reine Wellness- oder Lifestyle-Anwendungen fallen nicht darunter.
Haben Firmen eine DiGA entwickelt, prüft das BfArM, ob das Tool technische Standardanforderungen erfüllt. Als weitere Voraussetzung müssen Hersteller positive Versorgungsaspekte nachweisen. Fehlen ihnen die Daten, gibt es aber zumindest plausible Hinweise auf einen Benefit, kann das BfArM einer befristeten Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis zustimmen. Sprich: Herstellern bleiben in der Regel zwölf Monate Zeit, um Nachweise anhand von Studien zu erbringen. Gelingt das nicht, verschwindet eine DiGA wieder aus dem Verzeichnis und kann von Ärzten oder Psychotherapeuten nicht mehr zu Lasten gesetzlicher Krankenkassen verordnet werden.
Jetzt ist die Zeit reif für eine Zwischenbilanz. Laut GKV-Spitzenverband sind DiGA noch nicht in der Regelversorgung angekommen. Die Verordnungszahlen haben sich seit Beginn der „DiGA auf Rezept“ praktisch kaum verändert.
Seit Anfang 2022 bewegt sich die monatliche Zahl der bei GKVern eingelösten Freischaltcodes auf einem nahezu gleichen Level bei 10.000 bis 12.000 DiGA. Viele dieser Anwendungen sind nur befristet im DiGA-Verzeichnis. „Die unverändert hohe Quote von DiGA auf Probe zeigt aber, dass oftmals noch offenbleibt, was die Angebote wirklich bringen“, sagt Stefanie Stoff-Ahnis vom GKV-Spitzenverband.
Sie verweist auf die mangelnde Evidenz bei DiGA. Eine ältere, erst jetzt veröffentlichte Analyse bestätigt dies: Forscher haben die Datenlage zu fünf bereits Mitte 2021 ins DiGA-Verzeichnis aufgenommene Apps untersucht. Bei vier dieser Anwendungen hätten Studien ein „beträchtliches Verzerrungspotenzial“ aufgewiesen, heißt es in der Veröffentlichung.
Die Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB), sie war an der Studie beteiligt, schreibt als Kommentar: „Die jetzt vorliegende Analyse zeigt, dass Wirksamkeitsstudien der DiGA den wissenschaftlichen Standards nicht genügen und folglich keine Grundlage haben, in Bezug auf die Wirksamkeit dauerhaft in die ärztliche und psychotherapeutische Versorgung zu gelangen.“
Aber auch die Preisgestaltung bereitet Kopfzerbrechen. Im ersten Jahr der Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis können Entwickler einen beliebig hohen Obolus festlegen, unabhängig vom Nutzen. Momentan sind es zwischen 119 Euro für eine Einmallizenz und 952 Euro für 90 Tage. Im Durchschnitt kosten Tools rund 500 Euro pro Quartal.
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Besonders auffällig ist: Vor allem bei DiGA in Erprobung mit befristeter Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis steigen die Kosten für GKVen an; bei dauerhafter Aufnahme verringern sie sich. „Es gibt augenscheinlich keinen Zusammenhang zwischen Preishöhe und Nutzen“, erklärt Stoff-Ahnis. „Ganz im Gegenteil: Selbst bei DiGA, die ihren Patientennutzen nicht innerhalb eines Jahres belegen konnten und deren Erprobungszeitraum deshalb verlängert wurde, kam es zu deutlichen Preiserhöhungen.“
Zwei Beispiele:
Die falsche Antwort wäre jetzt, DiGA generell zu verteufeln. Doch weiter wie bisher kann es auch nicht gehen. Jetzt ist es an der Zeit, Fehler aus früheren Jahren zu beheben. Zwei Ideen: Bereits zur Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis sollte der medizinische Nutzen klar erwiesen sein, und zwar durch hochwertige Studien. Solche Daten wiederum sind eine gute Grundlage für Preisverhandlungen. Sprich: Auch die befristete freie Preisgestaltung durch Hersteller muss aus Sicht der Gesundheitsökonomie gekippt werden.
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