Um ihr Monopol vor generischen Pendants zu sichern, nutzen Arzneimittelhersteller häufig Patent-Tricks. Ein Experte erklärt, wie Firmen legal Patente manipulieren können und was die USA von Europa lernen kann.
Im Wettbewerb zwischen Markenarzneimitteln und ihren generischen Pendants nutzen Hersteller häufig Patentspielereien, um sich einen Vorteil zu verschaffen, so Patentexperte Sean Tu der West Virginia University. Der Juraprofessor befasst sich vor allem mit Patenten und deren Einfluss auf die Preise und Entwicklung von Arzneimitteln. Tu erforscht, wie Markenunternehmen das Patentsystem manipulieren, um Monopolrechte an Arzneimitteln auf unzulässige Weise aufrechtzuerhalten, was sich auf das Wohl der Patienten auswirken kann. Seine Ergebnisse veröffentlichte er nun im New English Journal of Medicine.
„Da mit Medikamenten viel Geld verdient wird, setzen Pharmaunternehmen Patente als Waffe ein, um ihre Gewinne zu schützen“, so Sean Tu. Die Strategie: Sie schaffen ein großes Patentdickicht – das bedeutet mehrere Patente, die dasselbe Produkt abdecken. „Dieses Dickicht soll den Markteintritt von Wettbewerbern verzögern oder verhindern", erklärt Tu. Möchte ein Generika-Hersteller eine kostengünstige Version auf den Markt bringen, müssen erst all diese Patente berücksichtigt werden.
Zwischen 2000 und 2018 haben Pharmaunternehmen 8,6 Billionen Dollar erwirtschaftet und damit deutlich mehr als die viele andere Branchen, so Experte Tu. Sobald jedoch Generika auf den Markt kommen, können die Arzneimittelpreise um 90 % sinken, was die Gewinne der Markenhersteller schmälert.
Ein Beispiel ist das jahrelang umsatzstärkstes Medikament der Welt – Humira® – das allein im Jahr 2021 einen Umsatz von fast 21 Milliarden Dollar erzielte. Der Hersteller AbbVie nutzt ein Patentdickicht, um das Immunsuppressivum – das zur Behandlung von Krankheiten wie Arthritis und Morbus Crohn eingesetzt wird – zu schützen. „Das sind etwa 57 Millionen Dollar pro Tag“, sagt Tu. „Wie haben sie das geschafft? Sie haben ein Patentdickicht aufgebaut: Sie haben mindestens 247 Patente für Humira® angemeldet und besitzen derzeit über 132 Patente für das Medikament.“
Eine zweite, manchmal mit dem Dickicht verbundene Strategie ist das sogenannte Evergreening. Dabei melden Unternehmen serienweise Patente an, um die Lebensdauer des Produkts zu verlängern. Bei Humira® wurden ca. 90 % der Patente angemeldet, nachdem das Medikament bereits auf dem Markt war. Evergreening und Patentdickichte sind auf dem US-amerikanischen Medikamentemarkt am weitesten verbreitet. In Europa ist es schwierig, mehrere Patente auf ein und dasselbe Produkt zu erhalten, was den Markteintritt von Generika oder eng verwandten Medikamenten erleichtert.
„In Europa sind Humira®-Generika bereits auf dem Markt – und zwar seit 2018“, sagt Tu. „In den USA wird es erst 2023 ein Biosimilar geben. Das liegt zum großen Teil daran, dass die Pharmaunternehmen diese Patentspiele spielen“. Die komplexe Gesetzgebung des Patentrechts macht Forschungen wie die von Tu kompliziert: „Was diese Firmen tun, ist völlig legal. Allerdings nutzen diese Firmen das Patentsystem aus und manipulieren es, um Dinge zu tun, für die es nie gedacht war“, sagt der Experte.
Obwohl Dickichte und Evergreening den Unternehmen einen unfairen Vorteil verschaffen, glaubt Tu an das Patentsystem: „Ich glaube, dass es wirklich dazu beiträgt, Innovationen auf den Markt zu bringen. Es schafft Anreize für die Entwicklung neuer lebensrettender Medikamente, insbesondere im pharmazeutischen Bereich, wo die Kosten für Forschung und Entwicklung sehr hoch sein können. Das Patentsystem ist dazu da, die Wettbewerbsbedingungen auszugleichen. Das ist die gute Geschichte. Derzeit wird es jedoch nicht nur als Innovationsanreiz genutzt, sondern auch manipuliert, um dem Wettbewerb zu schaden, und das ist die schlechte Geschichte - und nicht die ursprüngliche Absicht.“ Tu hofft nun, dass seine Forschung helfen kann, das amerikanische System gerechter zu gestalten.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der West Virginia University. Hier findet ihr die Originalpublikation.
Bildquelle: Chris Abney, unsplash.