Die meisten Impfstoffe gelangen durch eine Injektion in den menschlichen Körper. Nanopartikel könnten künftig diese Aufgabe übernehmen und potenzielle Impfstoffe in Form einer schmerzfreien Creme- oder Salbenrezeptur über die Haarfollikel in die Haut transportieren.
Gegen eine Reihe von ansteckenden Krankheiten bietet eine Impfung den besten Schutz. Doch die intramuskuläre Injektion der Impfstoffe per schmerzhaftem Nadelstich und häufig auch die Angst vor vermeintlichen Nebenwirkungen schrecken viele Menschen davor ab. „Die zunehmende Impfmüdigkeit in der Bevölkerung führt dazu, dass potenziell gefährliche Krankheiten wie Masern in Deutschland wieder vermehrt auftreten“, sagt Claus-Michael Lehr, Leiter der Abteilung Wirkstofftransport am Helmholtz Institut für Pharmazeutische Forschung und Professor für Biopharmazie und Pharmazeutische Technologie an der Universität des Saarlands. Lehr und viele andere Forscher suchen deshalb seit einiger Zeit nach neuen Impfmethoden. Dabei wollen sie insbesondere das immunologische Potenzial der Haut nutzen: Im Gegensatz zum Muskel liegen in Epidermis und Dermis die für die Auslösung der Immunantwort notwendigen dendritischen Zellen in großer Zahl vor. Es ist allerdings nicht einfach, Impfstoffe dorthin zu bringen, ohne die Haut zu verletzen.
Nun ist es dem Team um Lehr gelungen, mit einem Modellantigen beladene Nanopartikel in die intakte Haut von Mäusen einzuschleusen und eine Immunantwort hervorzurufen. Die Nanopartikel bestehen aus Chitosan, das aus Krabbenschalen gewonnen wird, und PLGA, einer Substanz auf Milchsäurebasis, die unter anderem als Nahtmaterial in der Chirurgie verwendet wird. Als Antigen enthalten die Nanopartikel zusätzlich das Protein Ovalbumin, das in großer Menge im Eiklar von Hühnern vorkommt. Wie Lehr und seine Kollegen in der Fachzeitschrift „Nanomedicine“ mitteilen, gelangen die Nanopartikel über die Öffnungen der Haarfollikel ins Innere der Haut. „Die mit Ovalbumin bepackten Nanopartikel sind zu groß, um direkt durch die Haut zu gehen, haben aber die merkwürdige Eigenschaft, sich in den Haarfollikeln anzureichern“, berichtet Lehr. „Dort sind sie in unmittelbarer Nähe zu den dendritischen Zellen, die das Antigen erkennen und in sich aufnehmen.“ Die aktivierten Immunzellen wandern anschließend in die umliegenden Lymphknoten und präsentieren dort das Antigen den Immunzellen des adaptiven Immunsystems, vor allem den T-Lymphozyten.
Für ihre Versuche verwendeten die Forscher normale Mäuse. Um die Nanopartikel mitsamt dem Antigen auf die Haut der Tiere gut auftragen zu können, entfernten sie mit einer Enthaarungscreme einen Teil des Fells. Zwei Tage später und dann wieder im Abstand von 14, 28 und 42 Tagen massierten die Forscher eine kolloide Lösung von Ovalbumin-haltigen Nanopartikeln in das fellfreie Hautareal ein. Es zeigte sich, dass mithilfe der Nanopartikel alleine keine ausreichende Menge des Antigens in die Haut der Tiere gelangte, um eine nennenswerte Immunantwort auszulösen. Das Problem lösten die Forscher, indem sie zusätzlich ein Adjuvans hinzufügten. Diese Zusatzstoffe verstärken die Wirkung von Antigenen und sind Bestandteil vieler Impfstoffe. „Dank des Adjuvans war die Stärke der Immunantwort auf Ovalbumin deutlich erhöht, ohne dass die Hautbarriere geschädigt worden wäre“, sagt Prof. Carlos Alberto Guzman, Leiter der Abteilung Vakzinologie und Angewandte Mikrobiologie des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig.
Guzman und seine Mitarbeiter, die für den immunologischen Teil der Experimente verantwortlich waren, fanden heraus, dass im Blut von geimpften Mäusen, die zusätzlich das Adjuvans erhalten hatten, in großen Mengen gegen Ovalbumin gerichtete Antikörper vorkamen. Aus Lymphknoten und Milz dieser Tiere isolierten die Forscher zudem Extrakte von immunkompetenten Zellen, die sich durch die Zugabe von Ovalbumin stimulieren ließen. „Das von uns verwendete Adjuvans auf Nukleotidbasis führt sowohl zu einer humoralen als auch einer zellulären Immunantwort, was wichtig ist, um einen möglichst breiten Impfschutz zu erzielen“, sagt Guzman. Er und sein Team wollen nun die Versuche mit einem richtigen Impfstoff wiederholen. Dieser ist gegen das Grippevirus gerichtet und soll die Mäuse nicht nur wirkungsvoll immunisieren, sondern auch vor einem Ausbruch der Krankheit bewahren. „Auch wenn wir bisher auf Basis der Nanopartikel noch keinen Impfschutz gegen einen pathogenen Erreger erreicht haben, zeigen die Ergebnisse der neuen Studie, dass es möglich sein sollte, Impfstoffe zu entwickeln, die ganz ohne Injektion angewendet werden können“, sagt Lehr. Nicht nur bei Mäusen, sondern auch bei Menschen: In einer früheren Studie haben die Forscher bereits gezeigt, dass unbeladene Nanopartikel in die Haarfollikel von gesunden Probanden gelangten. Noch nicht endgültig ist die Frage geklärt, in welcher Darreichungsform die Nanopartikel am besten auf die menschliche Haut aufgetragen werden sollten: „Eine Creme ist zwar auf der Haut gut verteilbar, enthält aber Wasser, das die Nanopartikel schnell zersetzt“, erklärt Lehr. „In einer fetthaltigen Salbe dagegen wären die Nanopartikel um einiges stabiler, da dort keine Hydrolyse stattfindet.“
Im Rahmen klinischer Studien, so der Forscher, müsse aber neben der Wirksamkeit auch die Hautverträglichkeit der neuartigen Impfstoff-Formulierung gründlich getestet werden. Laut Lehr könnte für eine Impfung eine tropfengroße Menge einer Nanopartikel-haltigen Creme oder Salbe ausreichen. Diese seien, findet er, deshalb deutlich günstiger in der Herstellung als die bisherigen Impfstoff-Injektionslösungen und benötigten vor allem kein geschultes Personal, um sie einzusetzen. „Gerade bei der Eindämmung von Epidemien in Entwicklungsländern würden solche Impfstoffe einen erheblichen Fortschritt bedeuten“, so Lehr.