CRISPR/Cas-Systeme eröffnen völlig neue Behandlungsmethoden für genetisch bedingte Krankheiten. Der molekulare Werkzeugkasten wurde nun um eine neue Funktion erweitert.
Seit einigen Jahren sorgt die Genschere CRISPR/Cas9 in Wissenschaft und Medizin für Furore. Ihren Ursprung hat dieses neue Werkzeug der Molekularbiologie in einem uralten, bakteriellen Immunsystem. Es schützt Bakterien vor einem Angriff sogenannter Phagen, also Viren, die Bakterien infizieren. Forscher der Universität Bonn und ihre internationalen Kooperationspartner haben nun eine neue Funktion der Genschere entdeckt. Die Studie wurde gestern in Nature publiziert.
Bakterien und Phagen liefern sich auf der Erde seit Urzeiten einen Kampf um Leben und Tod. Injiziert ein angreifender Phage seine Erbsubstanz in ein Bakterium, zwingt er dieses, neue Phagen zu produzieren, die wiederum weitere Bakterien infizieren. Einige Bakterien haben als Antwort darauf die CRISPR-Genschere entwickelt. Mit diesem bakteriellen Immunsystem wird die Phagen-Erbsubstanz erkannt, zerschnitten und damit unschädlich gemacht.
Gleichzeitig werden die entstandenen Bruchstücke in das Genom des Bakteriums integriert. Dadurch entsteht eine Art Bibliothek, auf die das CRISPR-Immunsystem immer wieder zurückgreifen kann und damit für zukünftige Angriffe gewappnet ist. Darüber hinaus wurde entdeckt, dass sogenannte Typ-III-Varianten der Genschere bei der Entdeckung von Phagen-Erbsubstanz kleine Signalmoleküle herstellen, mit deren Hilfe die Bakterien einen komplexen Notfallplan anschalten. Dieser sorgt dafür, dass ein Virus optimal und auf breiter Front bekämpft werden kann.
Wie das genau funktioniert, haben jetzt Forscher am Institut für Strukturbiologie des Universitätsklinikums Bonn (UKB) und der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn in Kooperation mit Wissenschaftlern der Partneruniversität St. Andrews in Schottland und des European Molecular Biology Laboratory in Hamburg untersucht. Das Forscherteam hat entdeckt, dass die kleinen, von der Genschere hergestellten Signalmoleküle unter anderem an ein Protein namens CalpL binden, welches dadurch zu einer aktiven Protease wird. Dies sind Enzyme, die Proteine spalten und somit als Proteinscheren arbeiten. „Proteasen werden auch im menschlichen Immunsystem benutzt, um Informationen rasend schnell weiterzugeben“, sagt Niels Schneberger, einer der beiden Erstautoren der Studie.
Schließlich fanden die Forscher auch das Ziel dieser neu entdeckten Proteinschere. Sie zerschneidet ein kleines Eiweißmolekül namens CalpT, das wie eine Sicherung für CalpS, ein drittes Eiweißmolekül, wirkt: „CalpS ist ein gut bewachter Sigma-Faktor. Solche Proteine führen zur Anschaltung von bestimmten Genen, was den Stoffwechsel der Bakterie auf Verteidigung umstellt. Wir sind schon sehr neugierig, welche Gene das genau sind“, erläutert Erstautor Christophe Rouillon. Die Forscher haben mit dieser komplizierten Signalkaskade einen ganz neuen Aspekt der CRISPR-Systeme aufgedeckt.
Das tolle an CRISPR-Systemen ist auch, dass sie sich sehr gut für biotechnologische und medizinische Zwecke umprogrammieren lassen. Mithilfe von CRISPR kann die DNA gezielt verändert – also Gene oder ganze Genketten eingefügt oder ausgeschnitten – werden. Einige Krankheiten wie z. B. Spinale Muskelatrophie (SMA) können mithilfe der Genschere heute bereits therapiert werden. „Mit dieser CRISPR-aktivierten Proteinschere gibt es jetzt ein nagelneues Werkzeug im Baukasten der Molekularbiologie“, sagt Dr. Gregor Hagelueken, Arbeitsgruppenleiter am Institut für Strukturbiologie des UKB. „Und vielleicht kann man CRISPR damit in Zukunft noch vielseitiger anwenden.“
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung des Universitätsklinikums Bonn. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Alex Gruber, unsplash.