Der Kunde füllt online einen Fragebogen aus, spricht per Videocall mit einem Arzt – und schon kann er sich Cannabis nach Hause bestellen. Wie kann dieses Geschäftsmodell legal sein?
Cannabis ganz legal im Internet bestellen, geht das? Mit dem Geschäftsmodell von Can Ansay ist das gar kein Problem. Der Kunde meldet sich nur bei der Seite dr.ansay.com an, füllt einen Fragebogen aus, wird per Videocall mit einem Arzt verbunden und erhält anschließend entweder das gewünschte Rezept, oder kann gleich bequem über die gleiche Plattform das verordnete Medikament bestellen.
Diagnose, Aufklärungsgespräch und Produkt direkt aus einer Hand quasi, das Edikt von Salerno komplett ausgehebelt – genau wie die hierzulande noch geltende Drogenpolitik und Rechtsprechung. Dem ein- oder anderen mag hier das Wort „dealen“ auf der Zunge liegen, aber es handelt sich hier einfach um einen sehr diskussionswürdigen Marktplatz, der, wie andere Medikamentenplattformen auch, noch nicht höchst-richterlich legalisiert wurde, aber dennoch ebenfalls gewachsen ist. Doch wer ist für die Einhaltung der geltenden gesetzlichen Bestimmungen, die dem Schutz von Patienten und/oder Verbrauchern dienen, überhaupt verantwortlich?
Der Rechtsanwalt Dr. Can Ansay ist bekannt geworden mit seiner Plattform „AU-Schein.de“, auf der man seit dem Jahr 2020 eine Online-Krankschreibung mit oder ohne virtuellen Arztkontakt für den Preis von 19–29 € erhalten kann. Wie steht nun ein Apotheker zu dieser online Cannabis-Plattform, der sich mit dem Thema Cannabis mehr als die meisten anderen beschäftigt hat?
Johannes Ertelt aus Bisingen (Zollernalbkreis) ist sehr engagiert auf diesem Gebiet. Obwohl eine Legalisierung des Cannabiskonsums grundsätzlich unter bestimmten, d. h. kontrollierten und vor allem auch kontrollierbaren Bedingungen für ihn vorstellbar ist, ist ihm ein solches – im wahrsten Sinne des Worte – Geschäftsmodell über reine Internetkanäle ein Dorn im Auge. Der Besitzer der Ertelt Apotheken ist seit den Anfängen der medizinischen Cannabis-Anwendung mit dem „Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“, das im März 2017 in Kraft trat, dabei, berät persönlich und versorgt in seinen Apotheken all die Patienten, die mit schwerwiegenden Erkrankungen und bei fehlenden Therapiealternativen von ihrem Arzt Cannabis-Arzneimittel verordnet bekommen. Er ist zudem Gründungsmitglied des Verbandes der Cannabis versorgenden Apotheken e.V.
Ertelt sieht hier ganz klar die sinnstiftenden, da Patienten-schützenden, Grenzen der Digitalisierung überschritten. Für ihn ist gerade in der Versorgung der kranken Menschen innerhalb dieses noch sehr jungen Therapiefeldes der persönliche Kontakt mit nichts zu ersetzen. Einem Missbrauch, wenn sowohl der Arzt- als auch Apothekerkontakt ausschließlich online stattfindet, sei ansonsten Tür und Tor geöffnet.
Die Frage ist hierbei auch, wer welchem Wohl dient und ob die Akteure solcher Plattformen, die häufig im Ausland angesiedelt sind, wirklich unabhängig handeln, und in persönlicher Haftung stehen, wie es die Berufsordnungen hierzulande voraussetzen und bei Verstößen auch zu ahnden haben. „Durch Angebote wie diese werden Arzneimittel insgesamt – insbesondere hier sogar Betäubungsmittel – und die dazugehörige Beratung bagatellisiert und trivialisiert“, meint Ertelt. Das komplex anmutende Wesen der persönlichen Drei-Ecks-Beziehung aus Patient, Arzt und Apotheker mit den damit bewusst und gesetzlich installierten Kontrollmechanismen soll mit den so smart und einfach gehaltenen Bestrebungen diverser Online-Plattformen, die offensichtlich weniger kontrolliert werden, ersetzt werden? So hätten es die Investoren solcher digitaler Plattformen gerne. Dennoch: sehr viel bleibt hier bei einem reinen digitalen Angebot im unsichtbaren Bereich. Ein Fragebogen kann niemals den persönlichen Kontakt komplett ersetzen.
„In der Beratung ist immer auch mein Bauchgefühl gefragt. Wie nehme ich den Menschen wahr? Sind alle Angaben plausibel? Sind bestimmte Umstände wie z.B. Alkohol-Ausdünstung oder Körperhaltung zu berücksichtigen? Wie ist sein ganzes Auftreten bei uns in der Apotheke? Wenn beispielsweise zwei Achtzehnjährige ohne erkenn- und belegbare Indikation kichernd ein Cannabis-Rezept aus dem Internet vorlegen und in der persönlichen Beratung keinen medizinischen Hintergrund erkennen lassen, dann sind wir angehalten, eine Belieferung auch abzulehnen. Dies kann aber nicht die Aufgabe der Apotheke sein, hier sind die Verordner in der Pflicht.“
„Es stimmt sehr bedenklich, wie viele privatärztliche Anbieter bzw. Plattformen mit involvierten Privat-Ärzten für die Ausstellung von Betäubungsmittel-Rezepten über Medizinal-Cannabis in kürzester Zeit entstanden sind, die nichts Anderes machen.“ Dass bei soviel Entgegenkommen der Plattformen hier nicht nur Patienten, sondern auch Konsumenten versuchen, Rezepte zu erhalten, wird bei den Plattformen weniger gern thematisiert.
Ertelt fragt sich, warum Politik und Behörden hier nicht aktiv werden, da durch solche und ähnliche Internetplattformen die persönliche Versorgung von Patienten, wie sie durch wohnortnahe Apotheken sichergestellt wird, gefährdet ist.
Er sieht bei solchen Plattformen auch einen Missbrauch der ärztlichen Therapie-Hoheit, die eigentlich für therapeutische Möglichkeiten verliehen wird, um die gesundheitliche Situation von kranken Patienten zu verbessern. Er stellt an dieser Stelle die provokante Frage, warum man dann überhaupt noch Ärzte braucht, wenn anscheinend alles über Fragebogen und eine aussortierende KI möglich gemacht werden kann. Oder anders gesagt: Welcher Arzt ist auf eine solche Plattform überhaupt angewiesen?
Interessant ist für ihn hierbei grundsätzlich auch die Frage, wie viele der Menschen, die bei dr.ansay.com einen Fragebogen und eine Erstdiagnose durch einen niedergelassenen Arzt einreichen, anhand dieser Daten angenommen oder abgelehnt werden. Im Grunde sei diese Seite nichts anderes als zahlreiche weitere Plattformen, die in den vergangenen Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, und auf denen man sich verschreibungspflichtige Haarwuchsmittel oder Mittel gegen Erektionsstörungen frei Haus bestellen und liefern lassen kann, ohne jemals einen echten Arzt real gesehen zu haben.
„Das Ziel des Cannabisgesetzes ist, Patienten einen legalen Zugang auf ein Rezept zur Behandlung von verschiedenen Erkrankungen zu ermöglichen – idealerweise mit Kostenübernahme durch die Krankenkassen.“ Sicher mag es auch liquide Patienten geben, die es sich auf Dauer leisten können, ihre Therapie selbst zu tragen. Es gibt auf diesem Gebiet der Selbstzahler aber auch Menschen, die nur am ‚Waffenschein – BtM-Rezept‘ interessiert sind und weniger an einer Therapie. Warum auch immer … Für diese sind derartige Verschreiber-Plattformen eine helfende Hand. Und es scheint niemanden zu interessieren, warum die beteiligten Ärzte ausschließlich BtM-Rezepte über Cannabisblüten am Fließband ausstellen. Cannabis-Extrakte zur oralen Anwendung spielen – wenn überhaupt – bei diesen fleißigen Verordnern nur eine sehr untergeordnete Rolle. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Die Hürden einer Verordnung von Cannabis-Arzneimittel dagegen liegen bei niedergelassenen Haus- und Fach-Ärzten deutlich zu hoch, da eine Erstattung auf Kassenrezept nur nach einem erfolgreichen Genehmigungsantrag möglich ist und viele Ärzte, diesen bürokratischen Aufwand scheuen. Die dadurch entstehende Versorgungslücke echter Patienten wird durch diese Plattformen gerne aufgegriffen und dient gleichsam als plausible Tarnung.
Ertelt sieht die Apotheken grundsätzlich als kompetente und niederschwellige Einrichtung, Cannabis nach der Legalisierung für Konsumzwecke an die Erwachsene abzugeben: „Wir kennen uns schließlich mit Wechsel- und Nebenwirkungen aus und können die richtigen Fragen stellen.” Er würde es begrüßen, die Freigabe THC-abhängig von der THC-Konzentration zu gestalten. Auch, damit die hochpotenten Sorten der Therapie von Krankheiten vorbehalten bleiben und damit weiterhin der ärztlichen Kontrolle und der Verschreibungspflicht unterstehen. In den Apothekenlaboren kann zudem auch die Qualität bzw. Identität der angelieferten Sorten überprüft werden.
Er sieht durchaus auch die Gefahr, dass die Krankenkassen bei einer generellen Cannabis-Freigabe die Bezahlung der Therapie nicht mehr in der gleichen Weise übernehmen wie bisher. Doch bis es so weit ist und Lauterbachs Eckpunktepapier zur Verhandlung steht, muss in seinen Augen noch viel passieren. So wie es bislang formuliert ist, sieht Ertelt hier wenig Chancen für die Ideen des Gesundheitsministers. Das „Cannabisgesetz für die Medizinische Anwendung“ muss, ob mit oder ohne Legalisierung, verbessert und geändert werden.
Natürlich stellt sich für viele Ärzte und Apotheker die Frage: Wie stark ist eine solche Plattform eigentlich frequentiert? Der DAZ teilte Herr Dr. Ansay mit, dass seit Januar dieses Jahres bereits ein paar tausend Rezepte über seine Seite ausgestellt worden seien, täglich derzeit etwa 80 Rezepte. Bevor seine Ärzte ein Rezept ausstellen, müssen die Patienten immer erst die Diagnose eines anderen Arztes online einreichen. Ein Algorithmus errechne dann die individuelle Suchtgefahr, ein „smarter Anamnese-Fragebogen“ sortiere mittels einfacher künstlicher Intelligenz die Fälle aus, für die eine Online-Cannabis-Therapie zu kompliziert oder zu riskant sei. Der Videochat mit einem Arzt, der das Cannabis-Privat-Rezept ausstellt, kostet 59 Euro. Das bzgl. Qualität hochreine, medizinische Cannabis – wie auch immer es letztendlich genutzt wird – ist nicht erstattungsfähig.
Doch Dr. Ansay denkt bereits weiter. Wie er der DAZ berichtete, plant er, nach der geplanten Legalisierung des Cannabis-Konsums seine Seite weiter zu betreiben und statt für Verschreibungen dann für den Verkauf zu nutzen. Das wäre genau das, was Johannes Ertelt sich für die Zukunft der Cannabiskonsumenten nicht wünscht. Eine Beratung zu Wechselwirkungen mit Arzneimitteln oder ein gemeinsames Abwägen, welche Sorte mit welchem THC- beziehungsweise CBD-Gehalt für welche Grunderkrankung – oder auch nur zur Entspannung – am geeignetsten ist, eine Altersprüfung und die Qualitätssicherung der verschiedenen Blütensorten ließe sich über das Apothekennetz mit seinem qualifizierten Personal am besten durchführen, ist er sich sicher.
„Selbst, wenn sich erst einmal nur 3- oder 4.000 von den verbliebenen 18.000 Apotheken in Deutschland hier engagieren würden, hätten wir dennoch ein unabhängiges und wohnortnahes Netzwerk zur Verfügung.“ Brauchen wir dann solche Online-Plattformen wirklich?
Bildquelle: Diyahna Lewis, unsplash