Ärzte bieten eine Basissprechstunde für Geflüchtete an, eine Frau kämpft um ihr Kind und ein Lied der Hoffnung geht um die Welt. Warum Menschen auch in schwierigen Zeiten nicht aufgeben und was wir daraus lernen können.
Das Jahr geht zu Ende – und war für viele Menschen eines ihrer härtesten: Wir leben nach drei Jahren Pandemie, Krieg in Europa, Flüchtlingsströmen und Klimasorgen in einer Zeitenwende, die viele Menschen in eine depressive Grundstimmung versetzt. Aber Hoffnungslosigkeit und Resignation helfen nicht weiter, Anpacken und Optimismus dagegen schon. Lest hier ein paar Geschichten, die Mut machen.
Eine junge Frau kam vor fünf Jahren zur Krebsvorsorgeuntersuchung in die Praxis. Der Gynäkologin fiel eine kleine knotige Erhabenheit in der Brust auf. Die anschließende Mammasonographie ergab eine echoarme, unscharf begrenzte Raumforderung mit verstärkter Perfusion. In der Stanzbiopsie wurde ein invasives Karzinom mit begleitendem DCIS festgestellt. Für die zweifache Mutter brach eine Welt zusammen. Nach der brusterhaltenden Operation mit Sentinel-Node-Biopsie erfolgten Chemotherapie und Bestrahlung. Bei positivem Rezeptorstatus wurde eine endokrine Therapie mit Tamoxifen begonnen. In den ersten drei Jahren erfolgten die Nachsorgeuntersuchungen alle drei Monate, anschließend halbjährig. Die humangenetische Untersuchung war unauffällig, ebenso sämtliche bildgebende Diagnostik.
Trotz einer völlig unerwarteten, zunächst niederschmetternden Diagnose, blieb die Patientin immer zuversichtlich. „Meine Leidenschaft war schon immer die Musik. Damit habe ich mich am Laufen gehalten. Jetzt sind die fünf Jahre um“, erzählt sie mit einem Strahlen im Gesicht. Nach einem fünfjährigen, unauffälligen Verlauf gilt die Patientin als geheilt. Diese Zuversicht hat sie mit „Won´t let myself down“ vertont. Ein Leuchtturm der kämpferischen Hoffnung, der mittlerweile um die Welt geht und in 30 Ländern im Radio zu hören ist.
Für Entwicklungshilfe muss man nicht mehr um die halbe Welt fliegen, mittlerweile kommen Menschen aus aller Welt zu uns. Die meisten von ihnen befinden sich in einer Notlage, flüchten vor Krieg, Nahrungsverknappung aufgrund klimatischer Veränderungen oder Verfolgung durch diktatorische Systeme. Für Mitarbeiter im Gesundheitswesen geht es in erster Linie um Akuthilfe bei medizinischen Problemen, fernab von politischen oder weltanschaulichen Barrieren. Ärzte ohne Grenzen arbeiten im übertragenen Sinn nun auch in ortsansässigen Turnhallen, Eventhäusern oder anderen öffentlichen Lokalitäten.
Normalerweise sind hier Messen und Kulturveranstaltungen an der Tagesordnung. Seit einigen Monaten ist ein großflächiges Eventzentrum im Südwesten Deutschlands zu einer Aufnahmestelle für 500 Geflüchtete geworden. Von dort finden nach einigen Tagen, manchmal auch Wochen, die Weiterverteilungen statt. Im Moment bekommen hier Menschen aus der ganzen Welt für einige Tage einen warmen Schlafplatz, regelmäßige Mahlzeiten, Winterkleidung und medizinische Hilfe. Dreimal pro Woche findet eine ärztliche Sprechstunde statt. An allen anderen Tagen, einschließlich Wochenenden und Feiertage, gibt es eine Rufbereitschaft. Hierfür tragen sich berufstätige oder berentete Ärztinnen und Ärzte in einen online-Dienstplan ein. Einweisungen in das ungewohnte, spannende Arbeitsfeld finden per E-Mail, in Online-Konferenzen und bei einer Vorab-Hospitation statt.
Die provisorische Praxis ist spartanisch, aber hält alles Notwendige bereit: Untersuchungsliege, Wundversorgung, Abstrichmaterial, Infusionszubehör und Medikamentenschublade. Darin finden sich Arzneien gegen Erkältung, Schmerzen, Übelkeit und Infektionen. Die Dokumentation erfolgt analog. Wer schon einmal in einem weniger entwickelten Land medizinisch tätig war, fühlt sich ein wenig dorthin zurückversetzt. Allerdings mit dem Unterschied, dass hier bei Bedarf ein Klinikum der Maximalversorgung in nur drei Kilometer Entfernung den Rücken stärkt.
In dieser Basissprechstunde wird man mit Krankheitsbildern konfrontiert, die man nur aus dem Lehrbuch kennt. Juckende Skabies, umgangssprachlich Krätze genannt, ist häufig. Die multiplen, typischen Läsionen an den Extremitäten, verursacht durch Hautdiphterie, dagegen seltener. Hiervon werden Abstriche entnommen und, wenn nötig, eine Therapie verordnet. Superinfizierte Blasen an den Füßen werden desinfiziert und verbunden, kleine Abszesse gespalten. Sind Medikamente nicht vorhanden oder individuelle Dauermedikationen dringend erforderlich, holt sie ein Fahrdienst aus einer benachbarten Apotheke. Bei Diphterie oder Tuberkulose wird eine Isolationsunterbringung organisiert.
Die größte Hürde ist das Verständigungsproblem. Bei manchen Sprachen hilft selbst der Google-Übersetzter nicht mehr weiter, viele Patienten sind zudem Analphabeten. Englisch beherrschen nur wenige. Bisher fanden sich im Team der Security immer wieder Angestellte, die übersetzten konnten. Aus der Befürchtung heraus, durch Übersetzungsfehler könnten Konsequenzen entstehen, wurde das nun verboten. Die diensthabende, äußerst engagierte Ärztin kommentiert das neue Verbot so: „Ich hoffe, die Verantwortlichen kommen niemals in eine medizinische Notlage, in der sie sich sprachlich nicht verständigen können. Es geht hier um Menschen, nicht um kleinkarierte Regeln.“
So kann niemand dem 27-jährigen Nazir aus Afghanistan verständlich machen, dass er sich wegen eines positiven Befundes auf Hautdiphterie isolieren muss, um andere zu schützen. „Willkommen im Land der unbegrenzten Bürokratie“, meint die Ärztin trocken. Davon abgesehen überwiegt der sehr positive Gesamteindruck: Das Engagement der Ärzte, MFAs und Sanitäter im Aufnahmelager wirkt wie ein Leuchtturm der Menschlichkeit in schwierigen Zeiten.
Auch in der normalen Gynpraxis gibt es solche starken Erlebnisse. Eine 32-jährige Patientin erlebt mit 8+3 SSW eine Fehlgeburt. Zuvor hatte sie unter einem kombinierten oralen Ovulationshemmer eine Unterschenkelvenenthrombose erlitten. Die Thrombophiliediagnostik ergab eine heterozygote Faktor-V-Leiden-Mutation. Deshalb erhielt sie ab positivem Schwangerschaftstest niedermolekulares Heparin. Die zweite Schwangerschaft war unkompliziert und es wurde ein gesundes Mädchen geboren. Zwei Jahre später erlebte die Patientin eine erneute Fehlgeburt mit 10+3 SSW. Sechs Monate danach erlitt sie eine Extrauteringravidität, die laparoskopisch operiert wurde. Die betroffene Tube konnte nicht erhalten werden. Zwei Jahre später ereignete sich eine erneute Fehlgeburt mit 12+3 Schwangerschaftswochen.
Daraufhin stellte sich die Patientin in einem reproduktionsmedizinisch-endokrinologischem Zentrum und in der universitären Humangenetik vor. Beide Untersuchungen ergaben keinerlei pathologische Befunde. In der Beratung flossen Tränen, aber sie wiederholte auch immer wieder die Aussage: „Ich kämpfe für mein zweites Kind!“ Im Mai dann der positive Test und eine Zeit voller Hoffen und Bangen mit Blutungen in der Frühschwangerschaft, Frühgeburtsbestrebungen und beginnender Präeklampsie. Eigentlich galt der 24. Dezember als Entbindungstermin, aber mit 37+3 Schwangerschaftswochen wurde die primäre Sectio aus mütterlicher Indikation nötig. Seiner glücklichen, nie die Hoffnung verlierenden Mutter konnte dann pünktlich zu Nikolaus ein kleiner Junge in die Arme gelegt werden. Auch so eine Alltags-Leuchtturm-Geschichte.
Gerade in angespannten Zeiten, wie wir sie gerade erleben, sind Leuchttürme der Hoffnung so unverzichtbar. Menschen, die neben ihrem eigentlichen Job noch Zeit und Energie finden, um anderen in Not zu helfen. Andere, die in aussichtslos scheinenden Situationen zuversichtlich bleiben. Und solche, die trotz aller Bedrohung an einen guten Ausgang ihrer Geschichte glauben und ein Lied um die Welt schicken. Anstatt uns von einer allgemeinen pessimistischen Grundhaltung vereinnahmen zu lassen, könnten auch wir, da wo wir sind, zu Leuchttürmen werden.
Bildquelle: Prateek Gautam, unsplash