Dass Sport dabei helfen kann, Krebs und Herzinfarkte zu vermeiden, ist nichts Neues. Wie wenig körperliche Aktivität dafür aber schon ausreicht, dürfte selbst den größten Couch-Potato motivieren.
Euer Patient, 63 Jahre, leicht adipös mit kardiovaskulärem Risikoprofil kommt in die Praxis zum Check-up. Seine Werte sind im Grenzbereich, Prävention ist gefragt. Für Sport habe er keine Zeit und sei auch sonst schwierig für Bewegung zu motivieren. Wenn euch die Ausflüchte von Patienten bekannt sind und ihr gleichzeitig immer mehr Patienten mit vergleichbarem Profil versorgt, könnte euch eine aktuelle australische Studie dabei helfen, die Unwilligen zu motivieren.
Das Forscherteam um Prof. Emmanuel Stamatakis beobachtete die Bewegungsmuster von 25.241 Nicht-Sportlern. Die in Nature Medicine veröffentlichte Studie ist die erste, die die gesundheitlichen Vorteile von „kräftig intermittierender körperlicher Aktivität im Lebensstil“ (VILPA) mittels Wearables aufzeichnete. Die im Durchschnittsalter 61,8 Jahre alten Probanden trugen dazu eine Woche lang entsprechende Geräte, die ihre Aktivitäten maßen. Im durchschnittlichen Nachbeobachtungszeitraum von 6,9 Jahren verglichen die Forscher Häufigkeit und Intensität der Bewegung mit kardiovaskulär und krebsbedingten bedingten Todesfällen sowie der Mortalität im Allgemeinen.
Die Schlussfolgerung von Stamatakis und Kollegen lautet: Alle drei Endpunkte waren nahezu linear mit den kurzen Ausbrüchen kräftiger intermittierender körperlicher Aktivität invers assoziiert.
Konkret errechneten die Forscher, dass Teilnehmer, die pro Tag 3 mal 1 bis 2 Minuten intensive Aktivität vorweisen konnten, ihr Krebssterblichkeitsrisiko um bis zu 38 bis 40 % reduzieren konnten. Die Wahrscheinlichkeit an kardiovaskulären Erkrankungen zu versterben konnte gar um 48 bis 49 % reduziert werden.
Auch die Ergebnisse für längere Aktivitäten zahlen sich dabei für die Untrainierten aus. Wer sich 4,4 Minuten am Tag anstrengt, verringert seine Krebssterblichkeit immerhin noch um 26 bis 30 % und sein kardiovaskuläres Mortalitätsrisiko um 32 bis 34 %.
In einem Vergleichsversuch mit trainierten Personen, die kräftige körperliche Aktivität (VPA) durchführen mussten, konnten ähnliche Werte aufgezeigt werden. Dies zeigt, dass geringe Mengen an intensiver körperlicher Aktivität ohne körperliche Betätigung (wie Sport) bei Nichttrainierenden ähnliche Wirkungen hervorzurufen wie VPA bei Trainierenden.
Dass auch die WHO derweil den medizinischen Nutzen von VILPs erkannt hat, zeigt die Korrektur der Richtlinien, die sie 2020 unternahm. Die bis dahin geltende Empfehlung, dass sportliche bzw. körperliche Betätigung ab einem Intervall von 10 Minuten beginnen sollte, um positive Effekte auf die Gesundheit zu haben, wurde gestrichen und zugunsten des Passus „alle Aktivitäten zählen“ ersetzt – durch den Vorsitzenden des zugehörigen Ausschusses, Prof. Stamatakis.
Zu einem guten Teil geht der Studien-Erfolg auf die verwendete Technik zurück. So konnten die Forscher mit ihren Wearables Bewegungsmuster tracken, die zuvor gar nicht erfassbar waren. Im Mittelpunkt wissenschaftlicher Studien zum Thema Auswirkungen von körperlicher Aktivität auf Mortalitäts- und Morbiditätsrisiken standen und stehen zumeist Versuchsanordnungen, die eine gezielte körperliche Aktivität messen.
„Die Fähigkeit tragbarer Technologie, ‚Mikromuster‘ körperlicher Aktivität aufzudecken, […] birgt ein enormes Potenzial für das Verständnis der praktikabelsten und zeiteffizientesten Möglichkeiten, wie Menschen von körperlicher Aktivität profitieren können, unabhängig davon, ob sie zur Erholung oder als Teil des Alltags durchgeführt wird“, fasst Stamatakis die innovative Methode zusammen.
Und auch wenn die Mikro-Workouts durchaus empfehlenswert sind, bleibt, dass in Sachen Sport mehr auch wirklich mehr ist. So verbesserten eine höhere Dauer wie auch eine stärkere Intensität der Einheiten deren Wirksamkeit. Personen mit einem wöchentlichen Pensum von mindestens 15 Minuten weisen eine um 18 % geringere Mortalitätsrate sowie eine um 15 % niedrigere Morbiditätsrate gegenüber den Kurzzeitlern auf. Wer on top die Intensität steigerte und die wöchentliche Trainingszeit auf 53 Minuten erhöhte, wies sogar eine um 36 % geringeres Sterberisiko jeglicher Ursache auf.
„Die Studie kann durchaus als Impuls verstanden werden, die eigene sportliche Aktivität im Alltag zu steigern und einen niederschwelligen Einstieg und Freude an der Bewegung zu finden. Die Aussage ‚every activity counts‘ stimmt vollkommen. Sie sollte jedoch nicht so interpretiert werden, dass wenige Minuten tägliche Bewegung genügen, sondern mit ‚the more, the better‘, kombiniert werden“, ergänzt Eva-Maria Risse, Sportmedizinerin am Olympia Stützpunkt Heidelberg.
Auch die Studienautoren kommen zu dem Schluss und fassen zusammen: „Größere Vorteile wurden bei größeren VILPA-Mengen festgestellt, was darauf hindeutet, dass mehr auch wirklich besser ist.“
Am Ende darf eine entscheidende Limitierung der Studie nicht unerwähnt bleiben: Es handelt sich um eine Beobachtungsstudie, was bedeutet, dass die Forscher Ursache und Wirkung nicht direkt feststellen konnten. Zwar nutzten sie mit den Wearables zuverlässige Messinstrumente unter Anwendung strenger statistische Maßnahmen, doch letzte Gewissheit ist damit nicht zu erreichen. Es bleibt die Möglichkeit, dass unterschiedliche Gesundheitszustände oder Prädispositionen einen entscheidenden Einfluss auf die Bedeutung der Sterblichkeitsraten hatten.
Prof. Paul Leeson von der Universität von Oxford beschreibt die Grenzen der Arbeit: „Die größte Einschränkung besteht darin, dass diese Daten Beobachtungsdaten sind. Daher sagt es uns nicht, ob das Hinzufügen von kurzen Ausbrüchen kräftiger Aktivität in Ihren Lebensstil, falls Sie dies nicht bereits tun, Ihr Risiko senkt. Die Ergebnisse zeigen uns nur, dass die Art von Menschen, die einen Lebensstil haben, der aus welchen Gründen auch immer kurze Ausbrüche intensiver Aktivität beinhaltet, dazu neigen, die gleichen Menschen zu sein, die länger leben und Herzinfarkte vermeiden.“
Letztlich ging es den Autoren der Studie aber auch keinesfalls darum, den Nutzen sportlicher Betätigung in Abrede zu stellen, sondern vielmehr darum, eine validierte Grundlage für einen so häufigen ärztlichen Rat schaffen wollten – dass jede Aktivität zählt und es im Grunde keine Ausreden gibt, da es „keines zeitlichen Engagements, keiner Vorbereitung, keiner Vereinsmitgliedschaft und keiner besonderen Fähigkeiten [bedarf]. Es geht einfach darum, das Tempo beim Gehen zu erhöhen oder die Hausarbeit mit etwas mehr Energie zu erledigen.“
Bildquelle: James Toose, Unsplash