Optische Reize haben einen Nacheffekt auf reale Bewegungen. Sie beeinflussen die vom Vestibularsystem aufgenommenen Informationen. Das zeigt, dass gemeinsame neurale Mechanismen verwendet werden – und diese Mechanismen sich aneinander anpassen.
Bewegte Bilder können Illusionen erzeugen – und das nicht nur im Kino: Wer länger eine gleichförmig gerichtete Bewegung, etwa einen Wasserfall, fixiert und anschließend eine ruhende Oberfläche betrachtet, für den bewegt sich diese scheinbar entgegengesetzt zum Wasserfall. Dieser sogenannte Nacheffekt funktioniert auch über verschiedene Sinnessysteme hinweg, wie die LMU-Wissenschaftler Luigi Cuturi und Paul MacNeilage im Journal Current Biology berichten. „Solche optischen Täuschungen sind nicht nur Kuriositäten des Alltags, sondern sie geben auch wichtige Hinweise darauf, wie Sinneswahrnehmungen im Gehirn verarbeitet werden“, erklärt MacNeilage. Nacheffekte entstehen, weil sich unser Wahrnehmungsapparat bei der Reizverarbeitung im Gehirn anpasst: Wenn ein Reiz längere Zeit besteht, „ermüden“ die an der Reizverarbeitung beteiligten Nervenzellen, sodass der vorangegangene Reiz die Verarbeitung des nachfolgenden beeinflusst. Ein Beispiel dafür ist die Empfindlichkeit für Licht: Ein Raum erscheint dunkler, wenn man ihn nach einem Aufenthalt an der Sonne betritt, als wenn man aus dem Keller kommt. Meistens betrifft diese Anpassung dasselbe Sinnessystem, sodass etwa optische Reize auch optische Nacheffekte verursachen. „Wir haben nun experimentell untersucht, ob die Anpassung an einen visuellen Reiz auch einen anderen Sinn beeinflussen kann, und zwar den Vestibularapparat, der den Gleichgewichtssinn sowie die Orientierung und physikalische Bewegung im Raum koordiniert“, sagt MacNeilage.
Für ihre Untersuchungen setzten die Wissenschaftler ihre Probanden auf eine bewegliche Plattform und zeigten ihnen schnell wechselnde Bildsequenzen, die entweder die Illusion einer vorwärts- oder rückwärtsgerichteten Bewegung vermittelten. Anschließend wurde der Raum verdunkelt und die Plattform bewegt. Die Probanden sollten diese Bewegung durch eine Ausgleichsbewegung wieder rückgängig machen. Dabei zeigte sich, dass die Ausgleichsbewegung von dem zuvor gesehenen visuellen Reiz beeinflusst wurde, sodass es zu Fehleinschätzungen bezüglich der tatsächlichen Bewegung der Plattform kam. Dieser sogenannte crossmodale Nacheffekt – also ein Nacheffekt über verschiedene Sinnessysteme hinweg – zeigt, dass sowohl die visuellen als auch die vom Vestibularsystem kommenden Bewegungsinformationen durch gemeinsame neurale Mechanismen verarbeitet werden – und diese Mechanismen passen sich aneinander an. „Unser Ergebnis hat auch Konsequenzen für die Entwicklung neuer Virtual Reality-Technologien wie etwa von Datenbrillen“, sagt MacNeilage. „Wenn visuelle Reize, die die Illusion von Bewegung erzeugen, Nacheffekte hervorrufen, die unsere tatsächliche Bewegung im Raum beeinflussen, wirft das Fragen auf, die beim Entwurf von Sicherheits- oder Gebrauchsanweisungen solcher Geräte berücksichtigt werden sollten.“ Originalpublikation: Optic flow induces nonvisual self motion aftereffects Paul MacNeilage et al.; Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2014.10.015; 2014