Das ausführliche Arzt-Patienten-Gespräch kommt in der täglichen Praxis aufgrund von Zeitmangel häufig zu kurz. Doch worauf kommt es bei der Kommunikation zwischen Behandler*innen, also den Expert*innen für die Erkrankung, und Patient*innen, Expert*innen für ihr eigenes Leben an? Darüber haben wir mit PD Dr. Andreas Jähne, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Ärztlicher Direktor der Fachklinik Rhein-Jura in Bad Säckingen, diskutiert. (Bildrechte© Felix Groteloh)
Ein gutes Gespräch zwischen Behandler*innen und Patient*innen ist essenziell, um die korrekte Diagnose zu stellen und somit eine passende Therapie zu finden. Wie sieht die Realität in den Praxen aus?
Dr. Jähne: Die Realität ist so, dass der Patient nach sieben Sekunden vom Arzt das erste Mal unterbrochen wird. In der Regel haben die Ärzte ca. fünf Minuten Zeit für alles, also inklusive Therapie, Empfehlung und Rezept ausstellen. Das bedeutet, sie müssen ganz schnell zum Punkt kommen. Dementsprechend bleibt für den Patienten wenig Zeit, seine Sicht der Dinge und seine Ideen zu schildern. Das zeigt sich dann häufig in einer schlechten Adhärenz, weil die Patienten nicht wirklich davon überzeugt sind, dass das, was sie hier tun, das ist, was ihnen hilft. Beziehungsweise sie waren eben auch nicht in der Lage, das mitzugestalten. Zum Beispiel sollte man als Arzt hinterfragen, ob der Patient überhaupt dreimal am Tag Medikamente einnehmen kann? Vielleicht ist er Schichtarbeiter. Das wird oft nicht erfragt.
Welche Hürden in der Kommunikation sollten sich Behandler*innen bewusst machen?
Dr. Jähne: Der Patient braucht das Gefühl, wirklich verstanden zu werden. Er wird sich nur dann öffnen, wenn er das Gefühl hat, ihm hört einer zu und nimmt ihn ernst. Sehr schnell sind wir Ärzte dabei zu werten, Dinge einzuordnen: Gut, schlecht, richtig, falsch. Daher resultiert auch oft das schnelle Unterbrechen der Patienten. Das signalisiert dem Patienten aber „ich nehme dich nicht ernst“. Mein Tipp: Ich muss den Patienten wirklich annehmen, wie er ist. Er hat einen guten Grund, warum er Dinge so macht, wie er sie macht, auch wenn sie aus meiner Sicht ggf. falsch sind. Die muss ich erstmal akzeptieren. Nehme den Patienten erstmal ernst, dann bekommst du auch schnell die Informationen, die du brauchst und gelangst dann meistens auch schnell ans Ziel.
Wie können Behandler*innen ein Gespräch möglichst effektiv und zeitsparend gestalten, ohne dabei gehetzt zu wirken?
Dr. Jähne: Man muss sich selbst klar werden, was man in diesem Gespräch machen und erreichen will. Was ist das für ein Gespräch? Handelt es sich um ein Anamnese-Gespräch? Dann muss ich eventuell mehr Zeit einplanen. Die Selbststrukturierung ist wichtig. Was sind meine drei Punkte für dieses Gespräch, die ich behandeln muss?
Tipp Nr. 1: Man kann zum Beispiel mit den Patienten über die zur Verfügung stehende Zeit sprechen: „Wissen Sie, Sie sind jetzt in der offenen Sprechstunde. Ich habe tatsächlich nur fünf Minuten. Das tut mir leid, aber wir müssen jetzt damit leider umgehen. Was können wir in diesen fünf Minuten besprechen? Und für die anderen Themen, da machen wir bitte lieber noch einen Termin. Da habe ich dann auch eine Viertelstunde für Sie Zeit.“ Oder: „Lassen Sie uns dieses Thema mal ausklammern. Wir machen lieber das Thema, weil hier kommen wir jetzt voran.“ Auch das wäre eine Möglichkeit. Also die begrenzte Zeit transparent machen. Die meisten Patienten verstehen das und können das auch einordnen.
Tipp Nr. 2: Das Entscheidende ist nicht der Patient, sondern der Arzt, dass du dir als Arzt die Ziele für das Gespräch und die Inhalte vorstrukturierst und dann versuchst genau das zu machen. Das kann natürlich schief gehen, wenn der Patient ein komplett neues Thema mitbringt, dann kann es nicht wie geplant funktionieren. Aber auch dann kann man das mit den fünf Minuten aus Tipp Nr. 1 machen. Wenn du unstrukturiert reingehst und wenn du versuchst, zu viel zu erreichen oder zu viele Themen abzudecken, dann wirkt es gehetzt.
Do´s:
Don´ts
Das Interview in voller Länge
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